Grußwort des Ratsvorsitzenden beim „Treffpunkt Gendarmenmarkt“ zum Thema „Präimplantationsdiagnostik – eine Glaubensfrage?“

Nikolaus Schneider

Lieber Herr Prälat,
sehr geehrte Frau Ministerin, liebe Frau von der Leyen,
sehr geehrte Herren Professoren, lieber Herr Härle, lieber Herr Anselm,
sehr geehrte Frau Nicklas-Faust,
sehr geehrte Damen und Herren,

am 8. Februar 1929 begann Dietrich Bonhoeffer seinen Vortrag „Grundfragen einer christlichen Ethik“ mit dem Satz: „Nicht in dem Sinne um den Versuch zu unternehmen, der doch schlechterdings hoffnungslos ist, in den ethischen Fragen der Gegenwart christlich allgemeingültige Normen, Gebote aufzustellen, sondern vielmehr nur, um die eigentümliche Bewegung der ethischen Probleme der Gegenwart unter der Beleuchtung christlicher Grundideen zu sehen und an ihr teilzunehmen, werden wir heute von Grundfragen einer christlichen Ethik sprechen.“ (zitiert nach Gremmels/Huber (Hg), Dietrich Bonhoeffer Auswahl Bd 1, Gütersloh 2006, S. 96)

Das gilt, denke ich, auch heute, fast 82 Jahre später, für die ethischen Fragen und Probleme unserer Gegenwart: Christlicher Glaube und christliche Ethik können nicht zu allgemeingültigen Normen und nicht zu zeitlos gültigen Prinzipien führen. Christlicher Glaube und eine auf Christus bezogene Ethik halten vielmehr das Fragen der Menschen nach Gottes Wort und Willen offen.

Um es mit Bonhoeffers Worten zu sagen: „Der Sinn der gesamten ethischen Gebote Jesu ist vielmehr der, dem Menschen zu sagen: Du stehst vor dem Angesicht Gottes, Gottes Gnade waltet über dir, du stehst aber zum Andern in der Welt, musst handeln und wirken, so sei bei deinem Handeln eingedenk, dass du unter Gottes Augen handelst…“ (a.a.O., S.99f)

Ethische Entscheidungen, die sich unter Gottes Augen stellen, versuchen zwei theologische Grunderkenntnisse zusammenzuhalten. Zum einen: Gott ist der Schöpfer und Herr allen Lebens. In Demut und Erfurcht vor Gott sind Menschen gehalten, ihr menschliches Maß nicht zu überschreiten. Und zum anderen: Gott hat den Menschen „als sein Bild, als Bild Gottes“ (1. Mose 1, 27) geschaffen. Teil dieser Gottesebenbildlichkeit ist die Freiheit des Menschen, das Leben auf dieser Erde konkret zu gestalten.

Dabei war es schon Dietrich Bonhoeffer klar, dass die Freiheit eines Christenmenschen, sich unmittelbar Gott zu unterstellen, im Konkreten zu unterschiedlichen – oft sogar widersprüchlichen – ethischen Entscheidungen auch innerhalb der Kirche führen kann. Denn zu keiner Zeit und an keinem Ort war und ist es Menschen geschenkt, den Willen Gottes umfassend und absolut zu erkennen. Wie es der Apostel Paulus so schön formuliert: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild,…; jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“ (1.Kor 13,12).

Unsere ethischen Entscheidungen im Hier und Jetzt sind immer den Beschränkungen des Hier und Jetzt, unserem begrenzten Blick, unserem unvollständigen Erkennen, unterworfen – diese Spannung gilt es in der Pluralität aller ethisch verantwortbar zu gewinnenden Entscheidungen auszuhalten. Und gleichzeitig gilt, was wiederum Dietrich Bonhoeffer schreibt: „Nun werden wir aber Tag für Tag, Stunde für Stunde vor nie dagewesene Situationen geführt, in denen wir uns entscheiden sollen, und in denen wir immer wieder die eine überraschende und erschreckende Erfahrung machen, dass der Wille Gottes sich unseren Augen nicht so eindeutig enthüllt, wie wir hofften und das darum, weil offenbar der Wille Gottes in sich selbst widerspruchsvoll zu sein scheint…, dass wir nicht in der Lage sind zwischen Gut und Böse, sondern zwischen Böse und Böse zu wählen. Und hier liegen dann die eigentlich schwierigsten Probleme der Ethik.“ (a.a.O. S. 104)

Eines dieser schwierigsten Probleme unserer gegenwärtigen ethischen Debatte scheint mir die Frage nach der Zulassung, der teilweisen Öffnung oder dem gänzlichen Verbot der Präimplantationsdiagnostik zu sein: „Präimplantationsdiagnostik – eine Glaubensfrage?“ heißt darum völlig zu Recht der Titel des heutigen Abends.

Mit meinem Vorstoß, im Rat der EKD das Thema Präimplantationsdiagnostik neu zu beraten, geht es mir darum, die konkrete Not und entstehenden Fragen von Menschen ernst zu nehmen, die gegenwärtig mit der Möglichkeit und mit den Problemen, mit den Verheißungen und den Lasten der  Präimplantationsdiagnostik konfrontiert sind.

Neben der Betrachtung der befruchteten Eizelle darf deshalb die Situation der Mutter und der gesamten Familie nicht aus dem Blick geraten. Auch wenn dies dazu führen sollte, einmal getroffene ethische Entscheidungen noch einmal überdenken zu müssen. Für eine christlich-ethische Urteilsbildung müssen meiner Ansicht nach neben den theologischen immer auch seelsorgerliche Erwägungen Berücksichtigung finden. 

Dass ethische Überlegungen sich dabei auf der Höhe der medizinischen und biologischen Kenntnisse bewegen, ist selbstverständlich vorausgesetzt. Diese ethisch und seelsorgerlich verantwortbare Meinungsbildung ist auch Ziel unserer Diskussion heute Abend.
Ich bin sehr dankbar im gesellschaftlichen, insbesondere politischen Diskurs wahrzunehmen, wie ernsthaft und verantwortungsbewusst die Debatte um die PID in unserer Gesellschaft – in den Medien, in Kirchengemeinden und Landeskirchen, in politischen Parteien und im Bundestag sowie in der Wissenschaft – geführt wird.

Und ich möchte dem Bevollmächtigten nachdrücklich danken, dass er an diesem Abend - im Vorfeld der Beratungen im Rat der EKD - diese Diskussion ermöglicht hat.

Mir sei an dieser Stelle gleichsam als „Startschuss“ für die Diskussion um die PID ein theologischer Grundgedanke gestattet: Die Menschwerdung ist immer und in erster Linie Handeln Gottes. Ich gehe davon aus, dass Gott jeden einzelnen Menschen schon vor seiner Geburt ‚bei seinem Namen gerufen hat’, kennt und liebt. Wie es der Psalmbeter so wunderbar sagt: „Du hast mich gebildet im Mutterleibe“ (Ps. 139,13b).

Eine schwierige, vielleicht die schwierigste Frage dabei ist die Bestimmung des genauen Zeitpunkts für diese Personwerdung des Menschen vor Gott, die ihrerseits ethische und rechtliche Konsequenzen nach sich zieht. Gerade im Bewusstsein, dass all unser Erkennen auf Erden nur Stückwerk ist und vielleicht auch einige unserer drängendsten Fragen im Geheimnis Gottes aufgehoben bleiben, ist die Diskussion dieser Fragen dringend. Denn der Schutz des menschlichen Lebens ist uns aufgegeben – von Anfang an.

Ich bin gespannt auf den Austausch Ihrer Argumente heute Abend und danke Ihnen für Ihre Bereitschaft, uns alle daran teilhaben zu lassen!