Ansprache im Kapitelsaal des Augustinerklosters zu Erfurt anlässlich des Besuches von Papst Benedikt XVI.

Nikolaus Schneider, Vorsitzender des Rates der EKD

Von Herzen freue ich mich darüber, dass Sie, Eure Heiligkeit, lieber Bruder in Christus,  unsere Einladung nach Erfurt angenommen haben. Sehr gerne begrüße ich Sie und Ihre Delegation sowie die Geschwister aus den reformatorischen Kirchen heute in dem Raum, in dem Martin Luther in den Orden der Augustiner-Eremiten aufgenommen wurde. Das Augustinerkloster in Erfurt prägt unsere Begegnung.

Christinnen und Christen unserer beiden Kirchen leben in dieser Stadt in der Diaspora. Ihr Zusammenleben und ihr gemeinsames Zeugnis werden von dem Wissen und der Erfahrung gestärkt, dass uns viel mehr verbindet als trennt. Zu den gemeinsamen Gaben gehört unser Verständnis der Heiligen Schrift als ‚Wort des lebendigen Gottes’. Sie leitet unsere Kirchen dazu an, Gott als den Schöpfer und Herrn der Welt ‚zu fürchten und zu lieben’ und ein dem Leben zuträgliches Maß menschlicher Lebensentfaltung zu finden.

In der Heiligen Schrift ermutigt uns im Epheserbrief die Bitte, „… dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid.“ Damit auch die daraus folgende Verheißung wahr wird: „So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle.“ (Eph. 3,17f)

Im Vertrauen auf dieses Gebet beschreiten wir unseren ökumenischen Weg. Daraus gewinnt das Ringen um ökumenische Gemeinschaft Zuversicht und unser Christuszeugnis seine überzeugende Kraft.

Denn gerade in der Diaspora stärkt ökumenische Gemeinschaft uns in unserem Auftrag, ’Botschafter und Botschafterinnen an Christi statt zu sein’; weil wir gemeinsam einladen: „Lasst euch versöhnen mit Gott“ (2. Kor. 5, 20).

Das Vertrauen auf das Wirken dieser Fürbitte hält die Hoffnung lebendig, unseren „Eigen-Sinn“ überwinden zu können und getrennt gewachsene Traditionen als gemeinsame Gaben zu verstehen. Danach sehnen sich viele Menschen in allen Regionen Deutschlands - vor allem die Gläubigen, die in konfessionsverbindenden Ehen und Familien leben. Für uns alle wäre es ein Segen, ihnen in absehbarer Zeit eine von  Einschränkungen freiere eucharistische Gemeinschaft zu ermöglichen.


Der Geist Gottes hat uns dahin geleitet und der nüchterne Blick auf unsere Geschichte hat uns dahin geführt, dass wir die Feindschaft gegeneinander überwunden haben. Unseren Glauben leben wir in vielerlei Gestalt schon jetzt  gemeinsam.

Das ist ein großer Fortschritt! In getrennten Kirchen sind wir freundschaftlich verschieden – dafür sind wir dankbar.

Aber damit können wir nicht zufrieden sein – nicht im Blick auf Christi Gebet um die ‚Einheit in seiner Nachfolge, damit die Welt glaube’ (vgl. Joh. 17,21) und auch nicht im Blick auf die großen gemeinsamen Herausforderungen angesichts von Gott-Vergessenheit, Orientierungslosigkeit und Verunsicherung.

Deswegen ist es an der Zeit für eine „Ökumene der Gaben“, in der unsere Charismen sich ergänzen und einander erhellen.

Über unsere Erkenntnisfähigkeit sagt der Apostel Paulus: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild;“ (1. Kor. 13,12). Es entspricht dem Realismus dieser Aussage, dass wir einander ergänzen müssen, um das Bild aufzuhellen. Sie, lieber Bruder in Christus, haben wesentlich Anteil daran, dass dies in der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre gelungen ist. Auch der „Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen“ trägt dazu bei, dass unsere Stimmen in versöhnter Verschiedenheit zusammenklingen und nun praktische Früchte tragen können.

Im Zusammenklang unserer je besonderen Gaben mag es gelingen, so von Gott zu reden, dass Menschen in ihm eine Adresse für ihre Sehnsüchte, Fragen und Ratlosigkeiten wie auch für ihre vermeintlichen Sicherheiten wahrnehmen.


Wir erkennen das Sakrament der Taufe wechselseitig an. Menschen in die Kirche als dem Leib Christi einzugliedern, trauen wir einander zu und vertrauen wir einander an. Darauf können wir bauen und weitere konkrete Schritte zu mehr Gemeinsamkeit wagen. 

Die Kirchen der Reformation verstehen sich als „Kirche der Freiheit“. Damit meinen wir eine Freiheit, die sich im „Ja“ zu Jesus Christus gründet - nicht eine unverbindliche Beliebigkeit. Denn wir haben von den Reformatoren und im Grunde vom Kirchenvater Augustinus gelernt, dass nur die Freiheit, die im Zusammenspiel von Freiheit und Bindung begriffen wird, wahre Freiheit ist.

Diese augustinisch gegründete Theologie der Reformation ist unsere besondere Gabe in einer weltweiten Christenheit.

Wenn Ihre Diagnose zutrifft, dass von der spätmittelalterlichen Theologie des vereinzelten, tief über Gott und Welt verunsicherten Menschen Linien in die Moderne führen, dann gilt doch auch, dass das theologische Konzept Luthers und der Reformatoren, sich von Gott Gewissheit angesichts aller solcher Verunsicherung schenken zu lassen, so aktuell ist wie nie. Das gilt für die evangelischen Kirchen. Aber gilt das nicht auch für unsere römisch-katholische Schwesterkirche und für die ganze anders- und nichtglaubende, aber ebenfalls zutiefst verunsicherte Welt – gerade in dieser äußerst krisenhaften Zeit?


Lieber Bruder in Christus, die Steine können es bezeugen: Martin Luther wurde an diesem Ort Augustiner-Eremit. Im Dom wurde er zum Priester geweiht, in der Klosterkirche las er seine Primiz, die erste Messe.
 
Verbindet ihn nicht Wesentliches mit der römisch-katholischen Kirche, das auch bleibt? Ist der Erfurter Augustinermönch Martin Luther nicht auch als ein Scharnier zwischen unseren Kirchen zu verstehen, weil er zu beiden Kirchen gehört?

Die Reformatoren haben die Reformation als Umkehr der Kirche zu Christus verstanden. Reformation als Umkehr zu Christus ist uns Christenmenschen, allen kirchlichen Amtsträgern und Amtsträgerinnen und doch auch den Institutionen täglich aufgetragen!

Ich werbe dafür, von 2000 Jahren gemeinsamer Kirchengeschichte zu sprechen, und nicht allein von 1500 Jahren. Auch nach 1517 blieben wir als „Westliche Kirchen“ in besonderer Weise aufeinander bezogen - im Guten und im Bösen, in heilsamem Wirken miteinander aber auch in tödlicher Feindschaft gegeneinander.

Es ist meines Erachtens an der Zeit, im Blick auf das bevorstehende Reformationsjubiläum 2017 die Erinnerungen an die gegenseitigen Verletzungen in der Reformationszeit und der ihr folgenden Geschichte unserer Kirchen zu heilen und konkrete Wege der Aussöhnung zu gehen. Dazu möchte ich Sie gerne einladen.
 
Der Geist triumphalistischer Großspurigkeit wird das Reformationsjubiläum nicht prägen. Vielmehr laden wir alle Christenmenschen ein, sich gemeinsam mit uns darüber zu freuen, dass Gott der ganzen Kirche eine starke Theologie der Gewissheit in Zeiten höchster Verunsicherung geschenkt und für die ganze Christenheit in den letzten fünfhundert Jahren lebendig gehalten hat.

Daher möchte ich Sie, lieber Bruder in Christus, bitten, den 31. Oktober 2017 als ein Fest des Christusbekenntnisses zu verstehen und mit den Kirchen der Reformation zu feiern, so dass wir alle in ökumenischer Verbundenheit Christus bezeugen, „damit die Welt glaube“.

Ich freue mich auf den Gottesdienst, den wir gleich gemeinsam feiern werden. Gott segne Sie und unsere ökumenische Gemeinschaft.