Grußwort zur Eintragung ins Goldene Buch der Stadt Meißen

Nikolaus Schneider, Vorsitzender des Rates der EKD

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Raschke,

Dear Archbishop John,

Sehr geehrter Herr Michel (Schlossdirektor Albrechtsburg),

Lieber Bruder Dittrich (Dekan des kath. Bistums Meißen),

verehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Feierlichkeiten zum 20. Jubiläum der Unterzeichnung der Meissener Erklärung,

liebe Schwestern und Brüder,

es ist ein historischer Anlass, aus dem wir heute hier an diesem hoch hinaufragenden - und damit im wahrsten Sinne des Wortes hervorragenden - Ort der deutschen Geschichte stehen. Wir feiern ein Ereignis mit sowohl kirchlich-theologischer als auch mit politischer, also öffentlicher Dimension.

Sie, sehr geehrter Oberbürgermeister Raschke, haben die politische Tragweite aufgegriffen und es zu Ihrem Anliegen gemacht, den von Ihrer Stadt vor mehr als zwei Jahrzehnten ausgegangenen Prozess des Zusammenwachsens zweier ganz unterschiedlicher, aber doch gleichermaßen bedeutender Kirchen der Reformation öffentlich angemessen zu würdigen.

Darüber freuen wir uns und danken Ihnen für die freundliche Einladung! Wir sind, das kann ich für uns alle hier sagen, heute sehr gern zu Ihnen auf die Albrechtsburg in Meißen, an diese Wiege der sächsischen Geschichte, gekommen.

Als am 18. März 1988 von Meißen aus der Ruf zur vollen sichtbaren Einheit zwischen der Church of England, dem Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR und der Evangelischen Kirche in Deutschland ins Land ging, ahnte wohl niemand so recht, was sich in den darauf folgenden Jahrzehnten aus dieser „Meissener Gemeinsamen Feststellung“, wie sie damals hieß, entwickeln könnte.

Drei Jahre später, 1991, wurde die Meissener Erklärung unterzeichnet und war sofort ein ganz wichtiges Programm der Partnerschaft zwischen der Church of England und der Evangelischen Kirche in Deutschland, damit aber auch zwischen Deutschland und England insgesamt.

Dass wir heute, 20 Jahre nach der Unterzeichnung dieser wichtigen ökumenischen Erklärung wieder hier in Meißen zusammen sind, ist ein historisches und wunderbares Beispiel dafür, wie zwischen unterschiedlichen Kirchentraditionen, aber auch wie zwischen einstmals verfeindeten Völkern Versöhnung, Partnerschaft, ja: Freundschaft entstehen kann.

Von den Beteiligten am Meissen-Prozess wird oft daran erinnert: unsere Väter und Großväter standen sich noch in Waffen gegenüber und mussten sich gegenseitig bekämpfen. Heute feiern wir zusammen Gottesdienste, begegnen uns in Kirchen und Kathedralen, die wir uns einst gegenseitig zerstört haben – wobei uns Deutschen immer bewusst bleibt, dass die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts von Deutschland ausgingen.

Heute leben wir ganz bewusst aus gegenseitiger Vergebung unserer Schuld, und ich freue mich angesichts unseres Jubiläums ganz besonders darauf, morgen mit Ihnen, lieber Bruder John Sentamu, und natürlich auch mit allen gemeinsam, in der Dresdener Frauenkirche das heilige Abendmahl zu feiern. Ein Anlass und ein Ort, die mich mit großer Dankbarkeit, aber auch mit Demut erfüllen.

Heute sind wir als Kirchenvertreter hier an diesen Ort gekommen, der sich mit der sächsischen Geschichte eng verbindet und weit über unser Land hinaus bekannt ist.

Wir zeigen damit von neuem, dass Kirche und Welt, Glaube und Öffentlichkeit für uns zusammengehören.

Nicht nur in unserem Land sind Kirche und Staat aufeinander bezogen, sie behalten aber ihre spezifischen Aufgaben. Der Staat übt das Gewaltmonopol aus und soll unter den Bedingungen zeitlicher Begrenztheit für Recht und Frieden sorgen. Die Kirche erinnert ihn an Gottes Reich und Gerechtigkeit bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben. Gottes Wort und Weisungen für ein gelingendes Leben der Menschen zu bezeugen, das sehen wir als unverzichtbare Aufgabe der Kirchen für die Gesellschaft an. Die Stärke der Kirchen ist die Stärke ihres Auftrages. Auch als bedrängte Institution hat die evangelische Kirche der DDR ihren grundlegenden Beitrag zur friedlichen Revolution geleistet, und zwar durch Lied, Gebet und der Verkündigung des Wortes Gottes.

Verehrte Gäste, was seinerzeit, noch in der DDR, in der Evangelischen Akademie Meißen mit dem Konsultationsprozess zwischen unseren Kirchen als ganz innerkirchliche Veranstaltung begann, hat zwangsläufig Öffentlichkeit gewonnen.

Wir Christenmenschen leben nicht hinter verschlossenen Kirchentüren, sondern das Evangelium drängt uns in die Öffentlichkeit hinaus. Wir sollen – um mit dem Propheten Jeremia zu reden – „der Stadt Bestes suchen und für sie beten“ – so haben es viele Menschen in der DDR und ganz gewiss auch in Meißen getan. Und sie haben sich dabei – wie die Adressaten des Propheten Jeremia – häufig wie in einer „babylonischen Gefangenschaft“ gefühlt.

Der Stadt Bestes suchen und für sie beten: davon lebt der Meissen-Prozess. Vor vier Wochen fand auf Einladung des deutschen Botschafters in London ein wissenschaftliches Seminar zu Fragen von Interkulturalität statt, das die Meissen Kommission vorbereitet hatte. Interkulturalität, das wurde bei diesem Seminar in London sehr deutlich, ist ein Thema, das uns in Kirche und Gesellschaft in England und Deutschland gleichermaßen beschäftigt und daher auch im Meissen Prozess der kommenden Jahre eine wichtige Rolle spielen wird.

Ein weiteres öffentliches Thema der Zukunft des Meissen-Prozesses wird die Möglichkeit der Kooperation zwischen Religionslehrern und Religionslehrerinnen in England und Deutschland sein – ein Thema, von dem die Gesellschaften profitieren werden. Denn es geht um grundsätzliche Wertevermittlung und damit ein menschliches und soziales Gesicht unserer Gesellschaften.

Verehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Gäste: Meißen als Stadt ist durch den Meissen-Prozess der Church of England und der Evangelischen Kirche in Deutschland zu einem Markenzeichen für die Einheit im Glauben und für gemeinsame Weltverantwortung in unseren Ländern geworden.

Dafür danken wir Ihnen persönlich, Herr Oberbürgermeister, aber auch allen anderen, die weiterhin dieser Stadt Bestes suchen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.