Statement auf der Rio+20 Auswertungstagung in Berlin

Nikolaus Schneider

Es gilt das gesprochene Wort.

Der Erdgipfel im Jahr 1992 sendete seinerzeit ein starkes Signal, sich Zukunftsthemen zuzuwenden. Er vermittelte Aufbruchsstimmung, damit wir uns als Weltgemeinschaft für die gemeinsame Bewahrung der Schöpfung einsetzen. Er mündete in der Verabschiedung von Grundprinzipien einer globalen Umwelt- und Entwicklungspolitik. Leitend waren dabei das Prinzip der Nachhaltigkeit und das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung. Die Weltgemeinschaft verpflichtete sich, den Entwicklungs- und Umweltbedürfnissen heutiger und künftiger Generationen in gerechter Weise zu entsprechen und gleichermaßen ökonomische, ökologische und soziale Ziele anzustreben.

Neben den Rio-Prinzipien konnten ein Aktionsprogramm – die Agenda 21 – und wichtige Regelwerke wie die völkerrechtlich verbindlichen Konventionen zum Schutz der Biodiversität und des Klimas verabschiedet werden.

20 Jahre später haben die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der EKD Anfang Juni in der Erklärung „Die von Gott geschenkte Erde für alle Geschöpfe bewahren“ ihre Hoffnungen und Erwartungen an die Konferenz der Vereinten Nationen für Nachhaltige Entwicklung „Rio + 20“ zum Ausdruck gebracht. Neben einer deutlichen Aufwertung und Stärkung der UN-Nachhaltigkeits-Institutionen haben wir die Vereinbarung von konkreten und verbindlichen Nachhaltigkeitszielen sowie Leitplanken eines „grünen Wirtschaftens“ zum Wohle aller Menschen und unter Anerkennung ökologischer Grenzen in den Mittelpunkt gestellt.

Nun müssen wir mit Enttäuschung feststellen, dass es der Staatengemeinschaft bei der am Freitag zu Ende gegangenen Weltkonferenz in Rio de Janeiro leider nicht gelungen ist, ein ebenso starkes Signal wie vor 20 Jahren zu senden. Wir vermissen Dynamik, Klarheit und Verbindlichkeit in der Beantwortung der großen Zukunftsfrage, wie die Wirtschaft in den Dienst des Menschen und in Einklang mit den natürlichen Rahmenbedingungen einer endlichen Welt gebracht werden kann.

Wir vermissen konkrete Antworten auf die Frage, wie ein umweltschonenderes Wirtschaften im Kontext von nachhaltiger Entwicklung und Armutsbekämpfung umgesetzt werden kann. Wir vermissen die Einigung auf politische Leitplanken, die darauf gerichtet sind, dass bei der Abstimmung unterschiedlicher und oft konkurrierender Zielvorstellungen dafür Sorge getragen wird, die Grundbedürfnisse aller Menschen dieser und der kommenden Generationen zu erfüllen.

Wir anerkennen, dass ein Prozess zur Entwicklung von nachhaltigen Entwicklungszielen beschlossen wurde, die die Millennium-Entwicklungsziele ablösen werden. Wir sehen aber viele Fragen nach Ausgestaltung und Verbindlichkeit der „Sustainable Development Goals“ unbeantwortet.

Wir begrüßen, dass die UN Umweltorganisation UN EP finanziell auf ein solideres Fundament gestellt wurde. Wir bedauern aber, dass das Umweltprogramm nicht zu einer UN-Sonderorganisation für Umweltfragen aufgewertet wurde. Vor allem hätten wir uns einen Rat für Nachhaltige Entwicklung gewünscht und nicht nur ein „High Level Forum“.

Wir stellen mit großer Sorge fest: Die Mehrzahl der Staaten hat nicht den politischen Willen aufgebracht, endlich zu beschließen, was beschlossen werden muss, um die Rio-Prinzipien in Handeln umzusetzen. So spiegelt das Gipfelergebnis einen Minimalkonsens wieder. Es zeichnet die Welt von heute, nicht aber die Welt, die wir morgen brauchen, um zukunftsfähig zu bleiben. Insbesondere wurden die Gerechtigkeitsfragen nicht beantwortet.

Rio+20 hat es also nur sehr begrenzt – wenn überhaupt - vermocht, Wegmarke des notwendigen, globalen Transformationsprozesses zu werden, der uns auch für Deutschland Orientierung und Rahmen bietet .

In diesem Scheitern liegt indessen auch eine Chance, gibt sie uns doch Anlass, unsere Aufmerksamkeit verstärkt auch dem Handeln im eigenen Hause zuzuwenden. Rio ist Auftrag und Herausforderung nicht nur für die Politik, sondern für alle von uns, auch für unsere Kirchen.

Als Christinnen und Christen sind wir überzeugt: Gott ist der Schöpfer der Welt und allen Lebens. Die Menschen in ihrer „Gott-Ebenbildlichkeit“ sind von Gott beauftragt, die Schöpfung zu bewahren und für Frieden und Gerechtigkeit auf der Welt Sorge zu tragen. Indem Christinnen und Christen sich dieser Aufgabe stellen, nehmen sie wahr, was in Rio auf dem Peoples‘ Summit - dem, Gipfel der Zivilgesellschaft - zu beobachten war: Gemeinsam mit Menschen anderer Religionen und Weltanschauungen teilen wir diese Verantwortung und diese Ziele. Trotz unterschiedlicher Wurzeln und Kulturen sind viele Menschen gemeinsam unterwegs zu einem friedlichen Miteinander der Menschen und Völker, zu einem Zusammenleben in sozialer Gerechtigkeit und zu einem nachhaltigen Wirtschaften in ökologischer Verantwortung.

Wir sehen uns als Christinnen und Christen in der Verpflichtung, das Prinzip der Nachhaltigkeit in gesellschaftlichem Handeln und in unserem persönlichen Lebensstil fest zu verankern. Unsere Verantwortung vor Gott und unsere Verantwortung für die Schöpfung und für unsere Nächsten rufen uns zu einer Umkehr in unserem Denken und Handeln und zur Abkehr von alten Lebensmustern.

Nachdrücklich begrüßen wir die vielen Initiativen in unseren Gemeinden und Einrichtungen, die sich für einen nachhaltigen Lebensstil z. B. in den Bereichen Energie, Mobilität, Ernährung und Konsum einsetzen. Diese Initiativen tragen dazu bei, dass wir als Kirchen glaubwürdiger in unseren Forderungen an die Politik werden.

Die Bibel lehrt Menschen, „Wohlstand“ und „Fülle des Lebens“ nicht ausschließlich und auch nicht in erster Linie materiell zu definieren. Mit einer "Ethik des Genug" wollen Theologie und Kirchen darauf aufmerksam machen. „Gut leben“ heißt nicht einfach „viel haben“, sondern auch „solidarisch leben“ und „mitmenschlich teilen“.

Unser Glaube hilft uns, „gut leben“ und „viel haben“ zu unterscheiden und uns in eine „Ethik des Genug“ und in eine Sensibilität für das dem Menschen zuträgliche Maß einzuüben. Wir sind überzeugt: Ohne einen nachhaltigen Lebensstil werden wir nicht zu der nötigen Transformation zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft beitragen können.

Die Kirchen sehen in der Verpflichtung zum Leitbild der nachhaltigen Entwicklung und in der Weiterführung des Rio-Prozesses eine notwendige Voraussetzung für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Umweltschutz-, Wirtschafts- und Entwicklungsfragen werden immer mehr zu Überlebensfragen für die Zukunft der Menschheit. Sich diesen Fragen zu stellen, ist vorsorgende Friedenspolitik.

Ein wichtiger theologischer Grundgedanke kam meines Erachtens bei den Verhandelnden in Rio zu kurz: Gott als den Schöpfer der ganzen Welt und als den Vater aller Menschen zu bekennen, heißt: Alle nationalen Interessen sind nur von zweitrangiger Bedeutung. Die Verantwortung von Christinnen und Christen endet nicht an den Grenzen ihres Nationalstaates. Weltweite Solidarität mit den Ärmsten und Schwächsten ist ein unaufgebbares christliches Gebot. Deshalb darf sich Europa nicht als eine Festung nach außen abschotten. Das Wort Gottes ruft uns in die Verantwortung, Frieden und Gerechtigkeit in allen Ländern der Welt weiter voran zu bringen. Mit „Brot für die Welt“, dem „Evangelischen Entwicklungsdienst“ und unseren anderen international tätigen Einrichtungen setzen wir diese Einsicht in konkretes Handeln um.

Es schreit zum Himmel, dass unvorstellbare Summen auf den Finanzmärkten verdient werden, während jeden Tag 25000 Menschen sterben, weil wir es nicht schaffen, medizinische Ressourcen und Nahrungsmittel allen Menschen so zugängig zu machen, dass sie gut leben können. Und wir müssen ein Wirtschaften beenden, dass nichts anderes ist als ein kalter Krieg gegen die Armen.

Die Frage der Ernährungssicherheit ist eines der zentralen Anliegen des Rio-Abschlussdokuments. Ohne die Überwindung des Hungers von nahezu 1 Milliarden Menschen kann nachhaltige Entwicklung nicht gelingen und bleibt die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung Makulatur.

Für eine verbesserte Ernährungssicherung spielen verlässliche und kalkulierbare Preise für Nahrungsmittel eine entscheidende Rolle. Zum einen sind kostendeckende Preise notwendig, damit auch Bauern in Entwicklungsländern langfristig ihre Produktion verbessern können, um die Bevölkerung vor Ort zu versorgen. Zum anderen benötigen die vielen armen Menschen in den Entwicklungsländern, die keine Landwirtschaft betreiben können, Nahrungsmittel zu erschwinglichen Preisen. Die Spekulation mit Nahrungsmitteln steht diesem Anliegen entgegen und verstärkt die Preisausschläge an den Märkten. Vor allem die Spekulation mit Grundnahrungsmitteln wie Weizen oder Mais hat Lebensmittel für Millionen von Menschen unerschwinglich gemacht und Bauern in den Ruin getrieben, wie die Weltbank und die Welternährungsorganisation FAO immer wieder anmahnen. Wir haben es hier mit „Spekulanten des Todes“ zu tun.

Deshalb ist es für uns als Christinnen und Christen ein zentrales Anliegen, die Spekulation einzudämmen. Wir plädieren für klare Regeln, die solche menschenfeindlichen Auswirkungen zukünftig verhindern. Die gerade anstehende EU-Reform der „Richtlinie und der Verordnung über Märkte für Finanzinstrumente“ wird dem hoffentlich Rechnung tragen und für mehr Transparenz und für eine verbesserte Überwachung der Märkte sorgen.

Konkret scheinen mir für diese Reform drei Punkte von zentraler Bedeutung zu sein:

  1. Für die Handelsoptionen von Finanzmarktakteuren müssen klare Obergrenzen eingezogen werden. Dies muss auch die außerbörslichen Märkte mit einbeziehen.
  2. Regulierungsbehörden müssen präventiv eingreifen können, um sich anbahnende Spekulationen mit Nahrungsmitteln zu verhindern.
  3. Märkte müssen transparent für alle Akteure der Nahrungsmittel- und Ernährungssektoren sein und die Öffentlichkeit ist entsprechend zu informieren.

Eine stringente Reform der Richtlinie wäre ein wichtiger Beitrag von uns Europäern für mehr Ernährungssicherheit. Sie würde dem Grundgedanke einer zukunftsfähigen Gesellschaft Rechnung tragen: Allen Menschen soll ein würdevolles Leben ermöglicht werden, ohne dabei die Natur zu zerstören.

Den Rio + 20-Gipfel ernst nehmen heißt für die christlichen Kirchen, die Transformations-Aufgabe mit neuer Dynamik aufzugreifen: Kirche will helfen, die Bedeutung und Dringlichkeit dieser Herausforderungen für Politik und Gesellschaft hervorzuheben; Z.B. durch ihre Kooperation beim „Transformationskongress“, der kürzlich in Berlin stattfand. Kirche will die Politik darin bestärken und ermutigen, dass sie die notwendigen politischen Rahmenbedingungen für einen Kurswechsel zu mehr Nachhaltigkeit schafft.

Auch bei der anstehenden Erarbeitung von nachhaltigen Entwicklungszielen wollen die Kirche und ihre Einrichtungen sich aktiv einbringen. Die Enttäuschung über den UN-Gipfel darf nicht zu einer Abkehr von der internationalen Nachhaltigkeitspolitik führen. Kulturelle Lebensstilveränderungen sind für die Bewahrung der Schöpfung lebens-notwendig. Kulturelle Veränderung brauchen aber immer auch politische Richtungsentscheidungen.

Als Christinnen und Christen sind wir überzeugt: Es gibt immer Alternativen, auch wenn sie oft nur von wenigen gedacht, geträumt, erhofft, erstritten und erarbeitet werden. Menschen können sich und ihre Welt verändern. Gottes Geist kann das Denken und Handeln der Menschen erneuern. Und wir sind überzeugt, dass dieser Geist des Lebens nicht nur in den christlichen Kirchen wirkt. Deshalb wollen wir mit allen zusammenarbeiten, die unterwegs sind zu sozialer Gerechtigkeit, nachhaltiger Wirtschaft und Bewahrung der Schöpfung.