UN-Mandat für Einsatz gegen IS-Terror. Schutz von Flüchtlingen hat höchste Priorität

UN-Mandat für Einsatz gegen IS-Terror. Schutz von Flüchtlingen hat höchste Priorität

Eine friedensethische Stellungnahme des Rates der EKD

Wir sind gegenwärtig Zeugen furchtbarer Verbrechen. Verübt von Kämpfern der Terrorgruppe IS, die inzwischen weite Landstriche im Norden des Irak und in Syrien unter ihre Kontrolle gebracht haben. Bilder von Vertreibungen ganzer Volksgruppen, von Massenmorden und anhaltendem Unrecht größten Ausmaßes versetzen uns in Schrecken. Unter dem Terror leiden unterschiedslos Menschen gleich welchen Glaubens: Muslime, Jesiden, Christen. Die über viele Jahrhunderte gewachsene gesellschaftliche und religiöse Vielfalt in der Region droht zu verschwinden und kann nur durch ein internationales Engagement aufrecht erhalten werden. Wir begrüßen, dass weltweit führende Repräsentanten des Islam die Gewalt des IS verurteilen und zu Respekt und Recht auffordern. Wir fühlen uns den leidenden Menschen zutiefst verbunden und setzen uns dafür ein, ihre Not zu lindern.

Aus Sicht christlicher Friedensethik sind Maßnahmen im Nordirak notwendig, die der unmittelbaren Bedrohung der Menschen, insbesondere der Christen und Jesiden, wirksam begegnen. Besonderer Aufmerksamkeit und dringender Schutzmaßnahmen bedürfen Frauen und Mädchen im Nordirak, die von der IS gefangen, entwürdigt und nicht selten als Sklavinnen verkauft werden. Die Verantwortlichen für alle Verbrechen müssen zur Rechenschaft gezogen und das Recht muss wieder hergestellt werden.

Es ist dringlich, jetzt zu handeln. Allein im Nordirak sind über eine Million Menschen auf der Flucht. Niemand weiß bisher, wie sie im kommenden Winter menschenwürdig untergebracht werden können. Viele dieser Menschen haben schon mehrere Fluchterfahrungen in der Vergangenheit hinter sich. Ihre Bereitschaft, in ihre Städte und Dörfer zurückzukehren, ist untrennbar verknüpft mit der Gewissheit, vor den IS-Milizen sicher zu sein.

Sie hoffen daher auf internationalen Schutz. Die internationale Gemeinschaft prüft zu Recht, welche Mittel einer effektiven Hilfe eingesetzt werden können. Luftstreitkräfte mehrerer westlicher Staaten fliegen Angriffe auf Stellungen der IS. Einige Staaten, darunter auch Deutschland, liefern Waffen an die kurdischen Peschmerga. Die kurdischen Milizen sind die einzigen lokalen Gegner, welche dem IS militärisch entgegentreten können. Militärische Mittel erscheinen in der gegenwärtigen Lage als die letzte verbliebene Möglichkeit, um wirksame und schnelle Hilfe zu bringen.

Nach evangelischem Verständnis kann militärische Gewalt zur Abwendung schwerster anhaltender Menschenrechtsverletzungen, angesichts von Völkermord und Vertreibung, als letzter Ausweg legitim sein, wenn alle anderen gewaltärmeren Mittel versagen. In ihrer Friedensdenkschrift aus dem Jahr 2007, „Aus Gottes Frieden leben, für gerechten Frieden sorgen“, hat die Evangelische Kirche in Deutschland das friedensethische Leitbild des „Gerechten Friedens“ formuliert. „Nur Recht schafft Frieden“ ist die für die christliche Friedensbotschaft zentrale Einsicht. Zur Urteilsbildung in der Anwendung militärischer Gewalt heißt es in Satz 112 der Denkschrift: „Bei Menschenrechtsverbrechen wie einsetzendem Genozid, Massenmord an Minderheiten, Massakern an ethnischen Gruppen und ethnischer Vertreibung, kollektiver Folter und Versklavung kann militärisches Eingreifen gerechtfertigt sein, wenn die weiteren Kriterien rechtserhaltender Gewalt erfüllt sind.“ Auch wenn die irakische Regierung die internationale Gemeinschaft um Unterstützung gebeten hat und daher ein Mandat des UN-Sicherheitsrates völkerrechtlich nicht zwingend notwendig ist, würde der Einsatz rechtserhaltender Gewalt durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates doch entscheidend an Legitimität gewinnen. Ein Mandat muss eingebettet sein in ein umfassendes politisches Konzept, das andere, besonders nichtmilitärische Maßnahmen einbezieht, die Ziele der Maßnahmen klar definiert und kurzfristig auf den Schutz der bedrohten Bevölkerungsgruppen, mittelund langfristig aber auf den Aufbau funktionsfähiger staatlicher und zivilgesellschaftlicher Strukturen ausgerichtet ist. Diese Perspektive muss jetzt schon alle www.ekd.de aktuellen Maßnahmen leiten. Nur stabile staatliche Institutionen, die durch eine umfassende Teilhabe der unterschiedlichen Volksgruppen und religiösen Gemeinschaften legitimiert sind, werden dauerhaft in der Lage sein, Freiheit, Versorgung, Sicherheit der Bevölkerung und kulturelle Vielfalt zu gewährleisten. Nach den uns zur Verfügung stehenden Informationen sind im Nord-Irak wesentliche friedensethische Prüfkriterien erfüllt, um zu dem Urteil zu kommen, dass ein militärisches Eingreifen zum unmittelbaren Schutz der bedrohten Bevölkerung legitim ist. Besondere Bedeutung für dieses Urteil hat auch das Konzept der Internationalen Schutzverantwortung, das die UN-Vollversammlung im Jahr 2005 angenommen und das auch Eingang in die ökumenische Friedensethik gefunden hat.

Wenn wir den Einsatz militärischer Gewalt zum Schutz vor Vertreibung und Massenmord in der gegenwärtigen Lage im Nord-Irak grundsätzlich für legitim halten, sind wir uns doch der Risiken für eine künftige Friedensordnung sehr bewusst. Umso wichtiger ist in der gegenwärtigen Situation die Rolle des UN-Sicherheitsrats. Es muss deutlich sein, dass es nicht um die Macht und die Interessen einer Großmacht, sondern um den Schutz der Menschen und um den Aufbau einer Friedensordnung geht. Dies wird betont, wenn militärisches Eingreifen polizeilichen Charakter hat im Sinne des in der ökumenischen Friedensethik entwickelten Begriffs des „just policing“. Dazu sollte der UN-Sicherheitsrat aktiv werden und den Irak dabei unterstützen, seine Schutzverantwortung für die eigene Bevölkerung wahrzunehmen, indem ein gesicherter Raum für die bedrohten Menschen eingerichtet wird. Dieser bedarf der militärischen Sicherung durch eine möglichst breite Koalition.

Die Situation in Syrien und im Irak bestätigt unsere seit Jahren geübte Kritik an der gegenwärtigen Waffenexportpraxis in Deutschland. Die Genehmigung von Waffenexporten in zahlreiche Länder, die die Menschenrechte verletzen, hat dazu beigetragen, dass die Region voll von Waffen in den falschen Händen ist. Die Zustimmung, die aus unseren Reihen zu Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga geäußert worden ist, widerspricht dieser grundsätzlichen Kritik nicht. Wenn nun angesichts der unmittelbaren Bedrohung für die Erfüllung der menschlichen Schutzpflicht Waffen geliefert werden, ist die Verpflichtung umso größer, in der Zukunft die Kanäle kommerziellen Waffenhandels auszutrocknen, die überhaupt erst zu dieser Situation geführt haben. Im Lichte Evangelischer Friedensethik müssen die gewaltärmeren politischen Möglichkeiten konsequent geprüft und genutzt werden. Für die Kirchen selbst ist es die vordringliche Aufgabe, humanitäre Hilfe zu leisten und für die bedrohten und schutzbedürftigen Menschen zu beten. Über zahlreiche ökumenische Beziehungen sind wir mit unseren Schwestern und Brüdern in der Region in engem Kontakt. Wir erkennen dankbar die großen Hilfsleistungen der kirchlichen Werke aus vielen Ländern, aus Deutschland der Diakonie-Katastrophenhilfe in Gemeinschaft mit der Caritas und vielen lokalen Partnerorganisationen. Eine besondere Last tragen die Ortsgemeinden im kurdischen Gebiet, die eine große Zahl an Binnenflüchtlingen aufnehmen, vielfach auch in Kirchen und auf kirchlichen Grundstücken. Die Unterstützung der lokalen und regionalen Verwaltungen in der Beschaffung und Verteilung der lebenswichtigen Ressourcen ist von großer Bedeutung, um zu vermeiden, dass neue Konflikte zwischen ansässiger Bevölkerung und Flüchtlingen entstehen.

Wir setzen uns auch hier in Deutschland für wirksame Hilfe und Unterstützung ein, wo Flüchtlinge aus der Krisenregion bei uns Zuflucht suchen. Es ist außerdem dringend geboten, ein Aufnahmekontingent für besonders verwundbare Flüchtlinge wie Angehörige religiöser Minderheiten, alleinstehende Frauen oder medizinische Notfälle einzurichten. Wir beten für die Menschen in den betroffen Ländern als Zeichen der Solidarität, das von den Christen dort als Stärkung empfunden wird. Und wir beten, weil wir dem Frieden Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, zutrauen, die Herzen der Menschen zu bewegen und ihre Füße auf den Weg des Friedens zu richten.

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