Nachhaltig durch das Kirchenjahr

Materialien für Andachten und Gottesdienste zu den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030

Advent – Nachhaltigkeitsziel 7

Predigt zum Thema: Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens

Predigt

Gehalten am 3. Dezember 2018 im EKD-Kirchenamt. Am selben Tag begann im polnischen Katowice die UN-Klimakonferenz.

Liebe Hausgemeinde,

Advent ist eine schöne, aber auch eine anstrengende Zeit, oder?

Gibt es Dinge, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen – neben dem vielen Schönen – besonders anstrengend finden in der Adventszeit? Sind es die zusätzlichen Termine und Verpflichtungen? Weihnachtsfeiern und zu eng gewordene Rituale, die zwicken und kneifen wie zu eng gewordene Kleidungsstücke und in denen man sich unwohl fühlt? Besuche und Treffen mit Menschen, die zwar zur Familie oder zum Bekanntenkreis gehören, aber vor allem eines sind: zu intensiv und zu fordernd? Einem viel zu nahe rücken?

Mir geht es jedenfalls manchmal so und es kommt noch etwas Irritierendes für meine Arbeit als Theologin hinzu: Die klassischen Bibeltexte der Adventszeit begegnen mir mit einem unerwarteten und anspruchsvollen Ernst. Sie erinnern mich daran, dass die Adventszeit ursprünglich eine Zeit der Besinnung und der Buße, eine Fastenzeit gewesen ist. Eine Fastenzeit, die am Martinstag, dem 11. November, begann und am 6. Januar, dem ursprünglichen Weihnachtstermin der Alten Kirche, endete. Keine Zeit des zügellosen Genusses und des enthemmten Konsums wie bei uns heute, sondern ganz im Gegenteil eine Zeit des Verzichts und der Besinnung. Keine laute Zeit der Zerstreuungen und Vergnügungen, sondern eine leise Zeit der Konzentration auf die wichtigen Dinge im Leben. Eine Zeit des Wartens auf Gott, der Gutes für seine Welt im Sinn hat.

Dieser Ernst des Wartens, des Wartens auf den Erlöser, klingt in den schönen alten Adventsliedern auf, die wir auch heute Morgen miteinander singen, und er durchzieht genauso die biblischen Texte der Adventszeit. Ich lese Ihnen einen dieser schönen, aber auch ernsten Adventstexte aus dem Jesajabuch Kapitel 35, 3-10:

„Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen: ‚Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen!‘ 

Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch und die Zunge des Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.

Und es wird dort eine Bahn sein und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf herumirren. Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.“

Wir hören ein altes Adventswort. Ein strenges Gerichtswort über einen Gott, der Rache und Vergeltung kennt. Und gleichzeitig ein Wort für Menschen mit müden Händen, wankenden Knien und verzagten Herzen. Ein Wort für Menschen wie uns. Ein Wort für einen Menschen wie mich.

Ich werde am Anfang dieser Woche den beklemmenden Gedanken an den UN-Klimagipfel nicht los, der gerade heute in Katowice in Polen begonnen hat. Ich kann die Frage nicht abschütteln, was ein Scheitern der Verhandlungen dort für die Menschen dieser Erde, für uns alle, für meine Kinder oder meine kleine Enkeltochter bedeuten würde.

Wir haben in diesem Sommer erlebt, was eine Erderwärmung um durchschnittlich ein Grad, wie wir sie heute schon erreicht haben, für unvorstellbar bedrohliche Auswirkungen hat. Wasserleere Flussbetten ohne Schifffahrt – ein leerer Rhein, so etwas habe ich als Rheinländerin in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen; eine Elbe, die man zu Fuß durchqueren konnte; und schlimme Missernten bei uns, Stürme, Überschwemmungen, Wassernot, Dürren und verheerende Waldbrände an vielen anderen Orten der Welt.

Ich sehe es selbst allzu oft bei meinen Reisen in Lateinamerika, Afrika oder Asien, wie jahrzehntelange Erfolge in der Entwicklungszusammenarbeit durch die geduldige Arbeit von „Brot für die Welt“ und anderen Organisationen innerhalb kürzester Zeit durch den Klimawandel zerstört und Menschen ihrer Existenzgrundlage beraubt werden.

Liebe Hausgemeinde, Adventsandachten sind kein geeigneter Ort, um Katastrophen auszumalen, die Sie genauso gut kennen wie ich selbst. Adventsandachten sind vielmehr ein Ort, um gemeinsam Gott zu fragen, welche Zukunft er für uns will und auf welche Lebenswege er uns, unsere Kinder und Enkelkinder schickt. Und natürlich sind Adventsandachten eine Gelegenheit, sich von Gott die eigenen Hoffnungsreserven auffüllen zu lassen, biblische Hoffnungsbilder zu verinnerlichen und kraftvolle tröstende Worte zu inhalieren.

Dieser schöne Bibeltext benutzt als Hoffnungsbild die Verwandlung der Wüste in ein fruchtbares Land. Also das strikte Gegenteil zu dem, was wir an Verwüstung und Versteppung weltweit gerade erleben. Uns wird erzählt von dürren Ebenen, die durch Flüsse zum Grünen gebracht werden, von verdorrtem Land, wo mit einem Mal Brunnquellen mitten in der Wüste aufbrechen, Brunnen gegraben werden können und Teiche entstehen. Wie sehr brauchen wir Heutigen diese schönen alten biblischen Naturbilder, die in einem  so heißen und trockenen Land wie Israel/Palästina den Zuhörern und Zuhörerinnen des Propheten sofort einleuchteten, um uns selbst klar zu werden, welche Zukunft Gott für uns und für diese Welt im Blick hat. Wohin wir uns beherzt auf den Weg machen sollen. Wohin er uns in großer Treue begleiten wird.

„Und es wird dort eine Bahn sein und ein Weg, der der heilige heißen wird.“

Diesen Weg in die Zukunft und in der Zukunft bereitet Gott selbst, wir schaffen das nicht aus eigener Kraft. Deshalb heißt dieser Weg auch heilig. Ein heiliger Weg, weil Gott ihn der Welt bereitet. 

Diesen Weg gab es für die Menschen, die diese tröstlichen Worte des Propheten als erste hörten, und es gibt ihn auch für uns.

Was uns allerdings zu tun bleibt, ist, diesen Weg auch tatsächlich einzuschlagen, ihn unter die Füße zu nehmen und die selbstzerstörerischen Wege unserer eigenen Zeit zu verlassen.

Ich musste bei diesem heiligen Weg im Jesajabuch an den ökumenischen Pilgerweg denken, der vom Ort des letzten Klimagipfels in Bonn am 9. September 2018 mit Menschen aller Konfessionen und Religionen startete, durch das Rheinland, Westfalen, Niedersachsen, Mitteldeutschland, Sachsen, Berlin/Brandenburg bis nach Polen. Ein Sternmarsch über 78 Stationen von Bonn zu Fuß nach Kattowitz, unter der Schirmherrschaft des Berliner Bischofs Markus Dröge, des katholischen Erzbischofs Ludwig Schick und der ehemaligen Umweltministerin Barbara Hendricks. Diese Klimapilgerinnen und -pilger sind durch die großen Braunkohlegebiete im Rheinland, in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier bis zur letzten Station jetzt in Katowice gegangen, 1.700 km, im dauernden Gespräch mit den betroffenen Menschen und begleitet von vielen Gebeten weltweit. Auch im Hambacher Forst haben sie einen Gottesdienst gefeiert. In polnischen Bielsko-Biala haben sie mit Schülern und Schülerinnen eines evangelischen Gymnasiums über den Klimawandel diskutiert. Auf die Frage, wer schon einmal etwas vom Klimawandel gehört habe, meldeten sich gerade einmal zwei Schüler. Die vorherrschende Meinung war, dass für Polen die Kohleverfeuerung zur Erzeugung von Wärme und Strom die beste Lösung sei. Deutschland habe ja die Windkraft, im polnischen Binnenland gehe das nicht. So unterschiedlich sind unsere Ausgangspunkte schon in Europa. Unterwegs haben die Pilgerinnen und Pilger Unterschriften gesammelt, um sie in Kattowitz beim Klimagipfel zu übergeben. Auch manche von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Kirchenamt, waren an diesem kleinen Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens beteiligt, als er zwischen Paderborn und Leipzig hier in Hannover vorbeikam. Wie gut, dass es überall solche Aktionen und Zeichen der Hoffnung gibt.

Ich stelle mir vor, dass auch solche kleinen Weg-Etappen, wie auch immer sie in unserem persönlichen Leben aussehen mögen, ein Teil des großen heiligen Weges Gottes sind, von dem im Jesajabuch die Rede ist. Es sind wertvolle Wegerfahrungen mit anderen gemeinsam, die uns guttun und die die Hoffnung auf eine gerechte und menschenwürdige Zukunft stärken. Oder um es uns noch einmal mit den Worten des Jesaja zusagen zu lassen:

„Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen: ‚Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!‘“

Amen.


Autorin
Bischöfin Petra Bosse-Huber, 
Leiterin der Hauptabteilung Ökumene und Auslandsarbeit und Vize-Präsidentin im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover.

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