Familienförderung im kirchlichen Arbeitsrecht

Eine Arbeitshilfe erarbeitet im Auftrag des Rates der EKD, EKD-Texte 92, 2007

4. Regelungen zur Familienförderung konkret

Die Ansprüche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen oder Tarifverträgen festzulegen; auf dieser Grundlage getroffene Dienstvereinbarungen können die betrieblichen Gegebenheiten konkreter berücksichtigten.

4.1. Notwendigkeit einer Bedarfsanalyse

Die Ermittlung des tatsächlichen Bedarfs an familienorientierten Regelungen und Maßnahmen muss am Anfang aller Bemühungen um mehr Familienfreundlichkeit stehen. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Einrichtung oder Dienststelle haben Kinder, pflegebedürftige Angehörige oder andere Personen, die auf ihre Betreuung angewiesen sind? Welche bereits bestehenden gesetzlichen oder betrieblichen Möglichkeiten zur Vereinbarkeit der Lebensbereiche werden genutzt? Wo liegen Grenzen und Probleme? Welche Vorstellungen haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wie sich ihre Situation erleichtern ließe? Die Antworten auf diese Fragen werden je nach Dienststelle oder Einrichtung unterschiedlich ausfallen. Erst wenn der Bedarf ermittelt ist, können passgenaue und effiziente Unterstützungen entwickelt werden. Auf der Basis dieser Analyse kann entschieden werden, wie - mit welchen Gestaltungsmitteln, mit welchem Grad der Planungssicherheit und auf welcher Ebene - dem Bedarf Rechnung getragen wird.

Eine kollektiv-rechtliche Regelung in Arbeitsrechtsregelungen oder Tarifverträgen sollte hierfür den Rahmen schaffen und die Dienstvereinbarungspartner zur Durchführung einer solchen Bedarfsanalyse und einer daraus abgeleiteten Vereinbarung motivieren. So kann sicher gestellt werden, dass - unabhängig vom Engagement Einzelner - alle Dienststellen und Einrichtungen im Bereich der Kirche eine moderne Arbeitskultur entwickeln und passende Lösungen erarbeiten. (Beispiele für Fragebögen zur Erhebung des Bedarfs und Hinweise auf Beratungs- und Auditierungsangebote finden sich im Anhang 1.)

4.2. Arbeitszeit flexibel gestalten

4.2.1. Aktuelle Situation und Handlungsbedarf

Die Dauer und Lage der Arbeitszeit sowie die Möglichkeit, sie familiär bedingten Bedürfnissen anzupassen, sind ein wichtiger Punkt, an dem eine Familienförderung ansetzen muss. In diesem Bereich kann die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur erheblich gefördert, sondern sie kann hier auch deutlich verfehlt werden. So ist der aktuelle Trend auch in Kirche und Diakonie, die wöchentliche Arbeitszeit bei gleichbleibenden Bezügen zu erhöhen, eine Entwicklung, die dem Bemühen um eine verbesserte Balance von Beruf und Familie entgegenläuft.

Menschen mit Familienaufgaben haben spezifische Bedürfnisse im Bereich der Erwerbsarbeitszeit. Der Umfang der üblichen Vollzeitarbeit - in Kirche und Diakonie beträgt sie i.d.R. zwischen 39 und 41 Stunden - wird vielfach als zu lang empfunden. Aber auch Flexibilität - also das Verlassen starrer Arbeitszeitmuster - spielt eine entscheidende Rolle.

Zwar ist Deutschland bereits heute Weltmeister in der Arbeitszeitflexibilisierung; gegenüber der betrieblichen Praxis der Flexibilisierung werden aber folgende Kritikpunkte vorgebracht [7]:

  • Die Wünsche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Dauer und Lage der Arbeitszeit werden unzureichend berücksichtigt. So wünschen sich z.B. Teilzeitbeschäftigte überwiegend eine längere Arbeitszeit als die Hälfte der Vollzeitarbeitszeit. Auch die in den Betrieben schon weit verbreiteten Flexibilisierungen hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit orientieren sich in der Regel an den betrieblichen Bedürfnissen, weniger an denen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Familienpflichten.
  • Familienbedingte Erwerbsunterbrechungen und Teilzeitarbeit mit geringem Stundenumfang haben negative Folgen für die beruflichen Chancen, für Einkommen und soziale Sicherheit. Diese einschneidenden Nachteile sind immer noch in sehr hohem Ausmaß geschlechtsspezifisch zu Lasten der Frauen verteilt.
  • Mit den Regelungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes und des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes sind erste Erfolge erzielt worden, um diesen Problemen zu begegnen. Aber noch immer nehmen Väter diese Möglichkeiten selten wahr. Häufig fehlt auch die gezielte Ermutigung der Väter. In der betrieblichen Praxis stoßen insbesondere die flexiblen Teilzeitwünsche häufig noch auf Vorbehalte. Zudem gibt es für die Berücksichtigung der Wünsche von Vollzeitbeschäftigten nach flexibler Gestaltung von Arbeitsbeginn und Arbeitsende keine gesetzlichen Vorgaben.

Besonders schwierig ist die Situation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit pflegebedürftigen Angehörigen. Bislang fehlt es an gesetzlichen Regelungen, die - vergleichbar der Elternzeit - einen Anspruch auf befristete vollständige oder teilweise Freistellung von der Arbeit schaffen und eine Lohnersatzleistung für diese Zeit einführen. Aktuelle Vereinbarungen der Regierungskoalition sehen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Pflege von Angehörigen einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeit für die Dauer von sechs Monaten vor. Kleinbetriebe mit weniger als i.d.R. zehn Beschäftigten sollen von der Regelung allerdings ausgenommen werden. Diese „Betriebsgröße“ ist in Kirche und Diakonie häufig vorzufinden. In kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen kann daher ein identischer Anspruch auf unbezahlte Beurlaubung zugunsten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser „Kleinbetriebe“ vorgesehen werden. Es versteht sich von selbst, dass die Bewilligung daran geknüpft sein muss, dass betriebliche Gründe der Freistellung nicht entgegen stehen.

Für die Zukunft kommt es wesentlich darauf an, Arbeitszeiten in ihrer Dauer, ihrer Absenkung bzw. Unterbrechung und ihrer Lage so zu regeln, dass die - wechselnden - familialen Bedürfnisse der jeweiligen Lebensphase befriedigt werden können. Das setzt voraus, dass kollektiv vereinbarte Module bestehen, auf die zurückgegriffen werden kann. Die im weiteren vorgeschlagenen Regelungen zur Dauer, zur Unterbrechung und zur Lage der Arbeitszeit können als Bestandteile solcher Module genutzt werden.

4.2.2. Betriebliche Anlaufstelle für Arbeitszeitfragen

Die Erfahrungen mit der Umsetzung bestehender gesetzlicher Ansprüche auf Flexibilisierung belegen, dass oft zu schnell betriebliche Belange vorgebracht werden, etwa um einen Antrag auf Teilzeitarbeit oder auf Bewilligung einer unüblichen Arbeitszeit abzulehnen. Organisationsmühen werden gescheut, aber oft fehlen auch Kreativität und Modelle, mit denen die Wünsche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach familienkompatiblen Arbeitszeitmodellen umgesetzt werden können. Die Einschaltung einer neutralen Anlauf- und Beratungsstelle kann helfen, einen Kompromiss zwischen betrieblichen Belangen und dem Wunsch nach familienangepassten Arbeitszeiten zur beiderseitiger Zufriedenheit zu finden. Es muss sich um ein niedrigschwelliges Angebot handeln, auf das zugegriffen werden kann, bevor es zu einer konflikthaften Auseinandersetzung kommt. Die Einrichtung einer solchen Anlaufstelle sollte durch eine Arbeitsrechtsregelung vorgesehen und für die Dienststelle oder Einrichtung in einer Dienstvereinbarung konkretisiert werden. Den Dienststellen und Einrichtungen sollte es überlassen bleiben, die Anlaufstelle auszugestalten und dabei bereits bestehende Strukturen (Mitarbeitervertretung, Gleichstellungsbeauftragte) zu nutzen.

4.2.3. Aufstockung der Arbeitszeit

Durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz und das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz ist ein Anspruch auf familienbedingte Teilzeitarbeit gesetzlich abgesichert. Sofern betriebliche Belange (Teilzeit- und Befristungsgesetz) oder dringende betriebliche Belange (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz) nicht entgegenstehen, ist Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Betrieben mit mehr als 15 Mitarbeitenden auf Antrag Teilzeitarbeit zu gewähren. Dem Recht auf Reduzierung der Arbeitszeit nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz steht allerdings kein Anspruch auf Aufstockung gegenüber, was sowohl eine Anpassung an die Voraussetzungen unterschiedlicher Lebensphasen erschwert als auch eine Inanspruchnahme durch Väter. Teilzeitbeschäftigte, die ihre Arbeitszeit (wieder) erhöhen möchten, sind bei der Besetzung entsprechender Stellen lediglich bevorzugt zu berücksichtigen. Hier sollte kollektivrechtlich - analog zur Verkürzung der Arbeitszeit nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz - ein Anspruch auf Aufstockung der Arbeitszeit vorgesehen werden, sofern dringende betriebliche Gründe nicht entgegen stehen. Für Kleinstbetriebe, die wegen der geringen Personalkapazitäten besondere Planungssicherheit benötigen, kann stattdessen eine Regelung vorgesehen werden, die es Mitarbeitenden im Falle der Geltendmachung eines Teilzeitanspruchs gleichzeitig ermöglicht, zu vereinbaren, zu welchem Zeitpunkt sie wieder Vollzeit oder mit erhöhter Stundenzahl arbeiten wollen.

4.2.4. Flexible Arbeitszeitlage

Unter Work-Life-Balance-Aspekten sind betriebliche Arbeitszeitregelungen immer dann optimal, wenn die Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den betrieblichen Erfordernissen in Übereinstimmung gebracht werden. Welche Formen flexibler Gestaltung der Arbeitszeitlage ermöglicht werden können, ist von den jeweiligen betrieblichen Abläufen abhängig und daher am besten auf der Ebene der Dienststellen und Einrichtungen zu regeln. Kollektivvertraglich sind die Rahmenbedingungen, d.h. die Erfassung der Arbeitszeit auf Zeitkonten sowie die Modalitäten verschiedener Zeitkontenmodelle, festzulegen.

Auf einem Zeitkonto werden die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden in Form von Arbeitszeitguthaben oder Arbeitszeitschulden erfasst. Hierdurch wird auch den betrieblichen Interessen nach Kapazitätsanpassung Rechnung getragen. Wird Gleitzeit vereinbart, können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter innerhalb eines festgesetzten Rahmens selbst wählen, wann sie am Arbeitsplatz erscheinen und wann sie ihn verlassen und die so gewonnene Zeitflexibilität innerhalb festgelegter Grenzen (maximales Zeitguthaben bzw. maximale Zeitschuld) für familiäre Belange nutzen.

Statt des monatlichen Abgleichs der Arbeitszeit kann ein Jahresarbeitszeitkonto eingerichtet werden. Dieses erlaubt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die vereinbarte Jahresarbeitszeit in Absprache mit der Einrichtung oder Dienststelle weitgehend selbstbestimmt zu erbringen. Die Lage der individuellen Arbeitszeit kann entsprechend den familialen Erfordernissen gewählt werden.

Auf einem Langzeitkonto werden Ansprüche auf bezahlte Freistellung über ein Kalenderjahr hinaus festgehalten. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern können nicht nur über die Vertragsarbeitszeit hinaus geleistete Plus- oder Mehrarbeitsstunden, sondern auch Entgeltbestandteile (z.B. Sonderzahlungen oder Zeitzuschläge) gutgeschrieben werden. Langzeitkonten bieten den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verschiedene Möglichkeiten der individuellen Lebensarbeitszeitgestaltung (z.B. Ausstieg auf Zeit zur Pflege von Angehörigen oder bei anderen besonderen familiären Situationen). (Beispiele für Regelungen finden sich im Anhang 2.)

4.2.5. Zeit-Bonus für Pflege und Betreuung

Berufliche Anforderungen mit den Erfordernissen der Sorge für die Kinder oder pflegebedürftige Angehörige zu verbinden, führt - neben der Freude, an beiden Lebensbereichen teilhaben zu können - i.d.R. zu Zeitnot und kollidierenden Terminen. Zusätzliche Freistellungsmöglichkeiten können diese Situation entschärfen. Vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die eine Reduzierung der Arbeitszeit nicht über den Familienzuschlag finanzieren können, da sie ihn nicht bekommen, ist gedient, wenn sie ihre Arbeitszeit auf Antrag um eine Stunde wöchentlich bei gleich bleibenden Bezügen reduzieren können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die finanziellen Auswirkungen eines solchen Zeitbonus in einer diakonischen Einrichtung, die ihren „Dienst am Menschen“ rund um die Uhr sicherstellen muss, voraussichtlich deutlich höher sein werden als in einer kirchlichen Verwaltung. Der Anspruch setzt eine verbindliche Regelung voraus. Verbindlich zu regeln sind auch die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme (bis zu welchem Alter der Kinder, Pflegestufe der Angehörigen?).

4.2.6. Beurlaubungen und Arbeitsbefreiungen in familiären Ausnahmesituationen

4.2.6.1. Längerfristige Beurlaubungen

Die Möglichkeit, sich längerfristig beurlauben zu lassen, findet sich in den meisten tarifvertraglichen und arbeitsrechtlichen Regelungen von Kirche und Diakonie. Die Zeit kann für persönliche und familiäre Belange genutzt werden. Hierbei sind allerdings auch die negativen Auswirkungen (z.B. für die Altersversorgung) zu bedenken.

4.2.6.2. Arbeitsbefreiung wegen Erkrankung des Kindes und Zuschuss zum Kinderpflegekrankengeld

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Kindern unter 12 Jahren haben nach § 45 SGB V einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung durch den Arbeitgeber. In dieser Zeit haben in einer gesetzlichen Krankenkasse Versicherte einen Anspruch auf Krankengeld gegenüber der Krankenkasse, wenn es nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, dass sie/er zur Betreuung und Pflege des Kindes der Arbeit fern bleibt und eine andere im Haushalt lebende Person die Betreuung/Pflege nicht übernehmen kann. Dieser Anspruch besteht in jedem Kalenderjahr längstens für 10 Arbeitstage je Kind, für Alleinerziehende längstens für 20 Arbeitstage. Das Kinderpflegekrankengeld beträgt 70 Prozent des Bruttoverdienstes begrenzt auf 90 Prozent des Nettoverdienstes.

Diese Regelungen sind in unterschiedlicher Hinsicht verbesserungsfähig. Solange hier keine ergänzenden gesetzlichen Regelungen getroffen werden, sollten kollektivrechtliche Maßnahmen getroffen werden.

Für Eltern ist es hilfreich, wenn ergänzend zu den Ansprüchen des § 45 SGB V einige Tage bezahlte Freistellung zur Betreuung und Pflege kranker Kinder gewährt werden. Dadurch würden dem pflegenden Elternteil keine Einkommenseinbußen entstehen, weil statt des Krankengeldes der Lohn fortgezahlt wird.

Eine Reihe von Tarifverträgen aus der Privatwirtschaft gewähren solche Freistellungen bereits, oft auch über das 12. Lebensjahr des Kindes hinaus. Sinnvoll sind darüber hinaus auch tarifliche Regelungen, die einen Zuschuss des Arbeitgebers in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem nachgewiesenen Krankengeld und dem Nettoverdienst gewähren. Außerdem ist zu überlegen, ob in jedem Fall die Vorlage eines ärztlichen Attestes notwendig ist. Für Eltern entfiele der Zwang, bei jeder Erkrankung des Kindes sofort eine Arztpraxis aufsuchen zu müssen. Von der Vorlage eines Attestes sollte im gleichen Rahmen abgesehen werden wie bei der Erkrankung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern selbst. (Beispiele für bereits existierende Tarifregelungen finden sich im Anhang 3.)

In gleicher Weise wie bei der Erkrankung von Kindern sollten Regelungen getroffen werden, die eine bezahlte Freistellung gewähren, wenn pflegebedürftige Angehörige wegen einer zusätzlichen Erkrankung besonders betreut und versorgt werden müssen. Weil die Vereinbarkeit von Pflege und Berufstätigkeit zur Zeit noch nicht die Aufmerksamkeit erfährt wie die Verbindung von Beruf und Kindererziehung, fehlen bislang noch Praxisbeispiele für tarifliche Regelungen.

4.3. (Alternierende) Telearbeit

Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten, kann es sinnvoll sein, Arbeitsformen zu vereinbaren, bei denen die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter die zu leistende Arbeit nicht im Betrieb, sondern ganz oder teilweise von zuhause aus erbringt.

Vorteile für die Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter sind die Ersparnis von Wegezeiten, sowie die Möglichkeit, die Arbeitszeit zuhause flexibel mit den Bedürfnissen der Familie abzustimmen. Telearbeit ist jedoch kein Ersatz für Kinderbetreuung. Auch im Rahmen der häuslichen Arbeit müssen die zeitlichen Freiräume vorhanden sein, um die zugewiesenen beruflichen Aufgaben erfüllen zu können.

Für den Arbeitgeber wird ein höheres Maß an Arbeitszufriedenheit durch mehr Selbstverantwortung der Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter bei der Gestaltung und Durchführung der Arbeit erreicht. Dadurch können familienbedingte Erwerbsunterbrechungen mit den bekannten negativen Folgen weitgehend vermieden werden. Aufwändige und kostspielige Bewerbungsverfahren für die Neubesetzung der Stelle bleiben dem Dienstgeber erspart. Die eingesparten Kosten können mit den erforderlichen Ausgaben für die Einrichtung eines Telearbeitsplatzes weitgehend gegen gerechnet werden.

Die Vereinbarung von Telearbeit und alternierender Telearbeit bedarf einer klaren Vereinbarung, die der besonderen Situation des häuslichen Arbeitsplatzes Rechnung trägt. Hierbei müssen die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen gleichermaßen berücksichtigt und zu einem fairen Ausgleich gebracht werden. Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter muss auch bei der Telearbeit mit den erforderlichen technischen Geräten und Kommunikationsmitteln ausgestattet werden. Außerdem muss für eine strukturierte Kommunikation zwischen Leitung und Mitarbeiterin oder Mitarbeiter gesorgt werden. (Ein Beispiel für eine Arbeitsrechtsregelung findet sich im Anhang 4.)

4.4. Elternzeit als Beschäftigungszeit

Durch Erziehungsarbeit von Müttern und Vätern werden soziale Kompetenzen erworben, die sich für die berufliche Qualifikation vorteilhaft auswirken. Daraus ist stets die Forderung abgeleitet worden, dass Elternzeit in gewissem Umfang als berufsrelevante Qualifikation anzuerkennen ist. Das neue Tarifrecht stellt bei der Bemessung der Vergütung auf die beim Arbeitgeber verbrachte Beschäftigungszeit ab. Dies führt dazu, dass Elternzeit sich auf die Vergütung negativ auswirkt. Diese finanzielle Benachteiligung sollte beseitigt werden, in dem Elternzeit - wie für den Wehr- und Ersatzdienst bereits vorgesehen - bei der Festsetzung der Entgeltstufen anerkannt wird.

4.5. Unterstützungs- und Serviceleistungen

4.5.1. Betrieblich unterstützte Kinderbetreuung

In Deutschland, insbesondere in den alten Bundesländern, klafft zwischen dem Angebot öffentlicher Betreuungsplätze für Kinder und der Nachfrage der Eltern eine Lücke. Besonders groß ist das Defizit bei der Kleinkinderbetreuung und bei der Ganztagsbetreuung von Schulkindern. Zudem fehlt es häufig an längeren und flexiblen Öffnungszeiten von Betreuungseinrichtungen und an Angeboten für die Ferienzeiten [8]. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit aktiven Sorgeaufgaben stehen vor der oft nicht lösbaren Aufgabe, eine Kinderbetreuung zu finden und zu bezahlen, die den qualitativen und zeitlichen Anforderungen für den Nachwuchs in den unterschiedlichen Altersgruppen entspricht. Neue Anforderungen entstehen daraus auch für Kinderbetreuungseinrichtungen in kirchlich-diakonischer Trägerschaft. Sie stehen nicht nur vor der Herausforderung, die Qualität der in Kindertageseinrichtungen geleisteten Bildungs- und Erziehungsarbeit zu sichern und weiterzuentwickeln, sondern müssen ihre Angebot zunehmend flexibel an den zeitlichen Erfordernissen der Familien in ihrem Einzugsbereich orientieren.

Der Aufbau einer flächendeckenden, bedarfs- und qualitätsorientierten Kinderbetreuungsstruktur ist eine dringliche Aufgabe der öffentlichen Hand, die trotz von der Politik inzwischen anerkannter hoher Priorität noch mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird. Angesichts dieser Situation hat eine betrieblich unterstützte Kinderbetreuung eine besondere Bedeutung. Darunter ist nicht nur der klassische vor allem in Großbetrieben zu findende Betriebskindergarten, sondern jegliche Form der Unterstützung bei der Betreuung zu verstehen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Kindern regelmäßig, in Ausnahmesituationen oder in den Ferienzeiten in Anspruch nehmen können.

Für die Entscheidung, ob und wenn ja, welches Modell betrieblich unterstützter Betreuung realisiert werden soll, sind neben dem Bedarf der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Gegebenheiten und Möglichkeiten des Arbeitgebers und das örtliche Umfeld zu berücksichtigen. Altersübergreifende Angebote, bei denen wie in der Familie Kinder unterschiedlicher Altersgruppen gemeinsam betreut werden und die zusätzlich die tages- oder stundenweise Betreuung in Ausnahmesituationen ermöglichen, decken die Bedürfnisse vieler Eltern ab.

Ausgaben von Arbeitgebern für Kinderbetreuung bringen auch steuerliche Vorteile. So sind die Kosten für betrieblich organisierte Kinderbetreuung als Betriebskosten zum Teil steuerlich absetzbar. Nach § 3 Nr. 33 EStG sind Leistungen des Arbeitgebers, die für die Unterbringung eines nicht schulpflichtigen Kindes bestimmt sind, einkommenssteuerfrei. Dies gilt unabhängig davon, ob diese für einen betriebsfremden oder betriebseigenen Kindergarten o.ä. aufgewendet werden. Entscheidend ist, dass die Leistung des Arbeitgebers zusätzlich zum Gehalt ausgezahlt und für diesen Zweck verwendet wird. Dies muss entsprechend nachgewiesen werden. Der Arbeitgeber kann die Leistung aber auch direkt an den betrieblichen oder betriebsfremden Kindergarten erbringen.

4.5.1.1. Regelmäßige Betreuung

Eltern benötigen betriebsnahe Einrichtungen zur regelmäßigen Betreuung der Kinder vor allem dann, wenn das wohnortnahe Angebot nicht dem Bedarf entspricht. Dies gilt häufig für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren in den alten Bundesländern. Weiterhin besteht ein Bedarf nach arbeitsplatzkompatiblen Betreuungszeiten.

Am bekanntesten ist das Modell der betriebseigenen Kindertagesstätte. Dieses Modell ist geeignet, wenn viele Eltern mit Kindern und einem ähnlichen Betreuungsbedarf (räumlich, zeitlich, pädagogisch) in einer großen Dienststelle oder Einrichtung, z.B. einer großen diakonischen Einrichtung, beschäftigt sind. Die Einrichtung ist Träger der Kindertagesstätte und stellt pädagogische Fachkräfte ein. (Modellbeispiele siehe Anhang 5.)

Für mittlere Dienststellen und Einrichtungen, die die Kapazitäten einer betriebseigenen Kindertagesstätte nicht benötigen, kann ein Kooperationsmodell besser geeignet sein. Bei diesem Modell stellen mehrere im gleichen Umfeld ansässige Betriebe oder Ämter gemeinsam ein Angebot für die Kinder ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung. Die Trägerschaft wird bei diesem Modell häufig an einen anerkannten fachkundigen Jugendhilfeträger übergeben, was die Arbeitgeber von vielen Aufgaben im Zusammenhang mit dem Betrieb der Tagesstätte entlastet. Um die eigenen Ressourcen und die spezifischen Kompetenzen der evangelischen Kirche auf dem Feld zu nutzen, bietet sich eine kirchliche Trägerschaft an. (Modellbeispiel siehe Anhang 6.)

Je nach landesgesetzlicher Regelung können für das betriebseigene wie für das Kooperationsmodell Landeszuschüsse und/oder kommunale Zuschüsse eingeworben werden.

Eine weitere Form der betrieblich unterstützten Kinderbetreuung für mittlere und kleinere Dienststellen und Einrichtungen ist die Reservierung von Belegplätzen in einer in der Nähe liegenden kirchlichen oder öffentlichen Kindertagesstätte. Die Bereitschaft der Träger mit Betrieben entsprechende Verträge zu schließen, hat in der letzten Zeit deutlich zugenommen. Die Modalitäten der Zusammenarbeit sind von Fall zu Fall sehr unterschiedlich geregelt. Bei manchen Modellen beteiligen sich die Betriebe einmalig an den Investitionskosten, bei anderen Modellen stellen die Betriebe kostenlos Räumlichkeiten oder Grundeigentum zur Verfügung, in einer dritten Fallgruppe wird für die Bereitstellung der Plätze ein Entgelt gezahlt. Da die evangelische Kirche selbst Träger vieler Kindertagesstätten ist, ergeben sich hier gute Möglichkeiten für eine nutzbringende Zusammenarbeit. (Ein Modellbeispiel siehe Anhang 7.)

Die Familienkrippe ist ein Modell der betrieblich unterstützten Kinderbetreuung, das ein privatwirtschaftlich tätiges Unternehmen für Kinderbetreuung entwickelt hat. Bei diesem Modell betreut eine speziell qualifizierte und ausgestattete Tagesmutter maximal 5 (Klein-)Kinder von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eines Arbeitgebers. Diese Modell ermöglicht eine arbeitsplatznahe, flexible und bedarfsgerechte Kinderbetreuung auch für kleinere Betriebe. Kooperationen mit anderen Arbeitgebern sind auch hier möglich. Sie kommen besonders für kleinere kirchliche Arbeitgeber in Betracht. (Ein Beispiel findet sich im Anhang 8.)

Zu den Kosten, die im Einzelfall für unterschiedliche Modelle betrieblich unterstützter Kinderbetreuung entstehen, lassen sich keine pauschalen Aussagen machen. Je nach gewählter Lösung werden sie zu unterschiedlichen Anteilen vom Arbeitgeber, von den Eltern der zu betreuenden Kinder und durch öffentliche Zuschüsse gedeckt.

4.5.1.2. Betreuungsangebote für Ausnahmesituationen und Ferienzeiten

Der Ausfall „regulärer“ Betreuungsarrangements oder zusätzliche Anforderungen des Arbeitsplatzes in Ausnahmesituationen stellen erwerbstätige Eltern vor erhebliche organisatorische Herausforderungen. Diese Notsituationen entstehen beispielsweise, wenn

  • die haushaltsführende Person oder die Tagesmutter erkrankt,
  • Krabbelstube, Spielkreis, Kindergarten, Hort oder Grundschule geschlossen haben,
  • Eltern unerwartete berufliche Termine wahrnehmen müssen oder an einer Fortbildung mit anderen Zeitanforderungen teilnehmen,
  • Eltern keine Betreuung für die Ferienzeiten haben.

Gestiegene Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen haben zur Folge, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Kindern bei Betreuungsnotfällen oft nicht auf die Unterstützung von Großeltern oder anderer Familienangehöriger, die am selben Ort wohnen, zurückgreifen können, sondern andere Ersatzlösungen organisieren müssen. Arbeitgeber, die ein Ausnahme-Betreuungsangebot bereithalten, leisten nicht nur einen Beitrag zur familiären Planungssicherheit, sondern verbessern auch die Arbeitsproduktivität. Erste Untersuchungen zeigen, dass solche Angebote vergleichsweise oft auch von Vätern in Anspruch genommen werden, und sich zudem auf die beruflichen Chancen von Frauen positiv auswirken [9]. Häufig wechselnde Notfalllösungen sind zudem auch für Kinder wenig förderlich. Auch aus pädagogischer Sicht ist ein Ausnahmebetreuungsangebot daher eine attraktive Alternative.

Wie bei der regulären Betreuung gibt es auch für die Betreuung in Ausnahmefällen verschiedene Modelle. Welches Modell im Einzelfall geeignet ist, hängt von Faktoren wie der absoluten Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der regionalen Betreuungsinfrastruktur und dem Alter der Kinder der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab. Nur bei sehr großem Bedarf ist eine betriebseigene Kinderbetreuungseinrichtung für Ausnahmefälle ein realistisches Modell, oft eignet sich eher ein Kooperationsmodell. (Beide Modelle wurden bei der regelmäßigen Betreuung 4.5.1.1. bereits vorgestellt.) Für kleinere Einheiten ist auch der Ankauf von „Notbetreuungskontingenten“ bei einer auf diese Form der Unterstützung spezialisierten Betreuungseinrichtung eine Alternative. Flexible Konzepte und Beratung bieten einige privatwirtschaftliche Dienstleister/Unternehmen an. (Ein Beispiel findet sich im Anhang 9.)

Immer mehr Arbeitgeber stellen einen großen Bedarf an Kinderbetreuung während der Ferienzeiten fest und reagieren mit unterschiedlichen Angeboten darauf. Viele Arbeitgeber entwickeln hier ein spezielles Angebot in den eigenen Räumlichkeiten, andere nehmen das Angebot spezialisierter Anbieter in Anspruch. (Beispiele finden sich im Anhang 10.)

4.5.2. Betreuung für pflegebedürftige Angehörige

Rund fünf Millionen Menschen in Deutschland benötigen Pflegeleistungen. Gegenwärtig werden etwa 70 Prozent von nahen Angehörigen versorgt. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird in den nächsten Jahren aufgrund des demographischen Wandels noch erheblich ansteigen. Diese Entwicklung wird die Situation von Familien in Zukunft prägen und die Anforderungen an die Unterstützung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Pflegeaufgaben durch den Arbeitgeber erhöhen.

Die Aufmerksamkeit, die Arbeitgeber diesem Thema entgegen bringen, nimmt erst seit kurzer Zeit zu. Daher gibt es erst wenige Modelle zur Unterstützung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit pflegebedürftigen Angehörigen. Die Bereithaltung von Belegplätzen in Einrichtungen der Tages- und Kurzzeitpflege ist eines der am häufigsten zu findenden Angebote, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit pflegebedürftigen Angehörigen in Notsituationen zu entlasten.

4.5.3. Beratung und Vermittlung

Die Suche nach geeigneten Lösungen für den familiären Unterstützungsbedarf ist für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mangels entsprechender öffentlicher Angebote zeit- und kraftaufwändig. Arbeitgeber, die ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Service einer hochwertigen Beratung und Vermittlung bieten, helfen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und sorgen zugleich dafür, dass sie „den Kopf bei der Arbeit“ haben können und nicht beim aktuellen familiären Versorgungsproblem.

Kirchliche und diakonische Arbeitgeber haben den Vorteil, dass sie für viele der angesprochenen Fragen auf eigene Expertise zurückgreifen können. Darüber hinaus gibt es mittlerweile auch privatwirtschaftliche Unternehmen, die Arbeitgebern diesen Service zur Verfügung stellen. (Beispiele finden sich in Anhang 11.)

4.5.4. Einrichtung einer Familienkasse

Für Kinder oder auch pflegende Angehörige zu sorgen, ist für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Kosten, oft auch mit Einkommenseinbußen verbunden. Etwa drei Viertel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kirche und Diakonie sind Frauen. Ein großer Teil ist in der unteren Hälfte des Vergütungsspektrums eingruppiert. Die Einkommenssituation erschwert in vielen Fällen die gute Versorgung und Förderung von Kindern und ermöglicht oft nicht das Anlegen eines für besondere Bedarfsfälle ausreichenden Finanzpolsters.

Eine beim Arbeitgeber eingerichtete „Familienkasse“ könnte für solche Situationen eine Hilfe bieten. Für die Familienkasse sollte ein jährlich zu bestimmender Betrag zweckgebunden zur Verfügung stehen. Diese Sozialleistung sollte mitbestimmt durch die Mitarbeitervertretungen verwaltet und vergeben werden. Die Dienstvereinbarungspartner sollten vereinbaren, ob die Inanspruchnahme der Familienkasse oder einzelner Leistungen daraus z.B. an eine Einkommensobergrenze geknüpft ist. Dabei ist jedoch zu vermeiden, dass die beantragenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Bittsteller auftreten müssen.

Je nach Situation können die Leistungen als (zinsloser) Kredit [10] oder als nichtrückzahlbarer Zuschuss gewährt werden. Möglich ist etwa die Gewährung von Schülerbeihilfen, Überbrückungsdarlehen bei Freistellungen für Pflegeaufgaben, die Übernahme der Gebühren für Beratung und Vermittlung von Pflegeleistungen, kostenloses Kantinenessen für Kinder, Zuschüsse zu Kindergartenbeiträgen etc. (siehe auch Abschnitt 5.3. Familienbudget). (Ein Beispiel für eine Zuschussregelung zu Kindergartengebühren siehe Anhang 12.)

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