Evangelische Schulseelsorge in der EKD

Ein Orientierungsrahmen. EKD-Text 123, Hrg. EKD, August 2015, ISBN: 978-3-87843-036-0

4 Qualifizierung

4.1 Zugangsvoraussetzungen

Die Ausübung von Schulseelsorge erfordert eine besondere Qualifizierung. Zu den damit verbundenen Angeboten können sich in der Regel staatliche Religionslehrkräfte mit der Fakultas für das Fach Evangelische Religion (mit Vokation) und kirchliche Religionslehrkräfte anmelden. Dabei kann die Notwendigkeit einer Teilnahme von Pfarrerinnen und Pfarrern in den Landeskirchen unterschiedlich geregelt sein. In besonderen Fällen stehen die Angebote auch evangelischen Lehrkräften anderer Unterrichtsfächer offen. Dann sollten diese allerdings über eine andere theologische Qualifikation zu einem besonderen Ehrenamt in der Kirche, wie z. B. über eine Lektoren- oder Prädikantenausbildung, verfügen. Interessierte sollten ferner mindestens drei Jahre im Schuldienst tätig sein.

Bei kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die nicht als Lehrkräfte in der Schule tätig sind (Pfarramt, Gemeindepädagogik), sind jeweils gesonderte Regelungen zu treffen.

Für die Teilnahme an einer Qualifizierungsmaßnahme zur Schulseelsorge ist das Einverständnis der Schulleitung erforderlich. Dieses sollte schriftlich gegenüber der Einrichtung dokumentiert werden, die die Maßnahme durchführt. Bevor sich die Lehrkräfte zu einer Fortbildung im Bereich Schulseelsorge entschließen, ist deswegen ein Gespräch mit der Schulleitung wichtig.

Zum Bewerbungsverfahren gehört in der Regel, dass Bewerber und Bewerberinnen eine schriftliche Motivationsbeschreibung für ihren Wunsch, Schulseelsorger bzw. Schulseelsorgerin zu werden, einreichen. Hier können sowohl die persönlichen Voraussetzungen und Interessen als auch die schulischen Erfahrungen und die Erwartungen an eine zukünftige Rolle als Schulseelsorger bzw. Schulseelsorgerin in einer konkreten Schule erläutert und thematisiert werden.
 
4.2 Verbindungen zur grundständigen Ausbildung

In der Ausbildung von Pfarrerinnen und Pfarrern sowie von Religionslehrerinnen und Religionslehrern werden bereits Kompetenzen gefördert, die eine seelsorgliche Tätigkeit im Rahmen der Schule anbahnen.[2] Beide Berufsgruppen sollen Schülerinnen und Schüler innerhalb und außerhalb des Unterrichts aufmerksam und wertschätzend wahrnehmen können. Dazu gehört, dass sie ihre Beobachtungen mit grundlegenden Erkenntnissen zur psychosozialen und religiösen Entwicklung von Kindern und Jugend I ichen in Beziehung setzen und sie vor diesem Hintergrund deuten können. Pfarrerinnen und Pfarrer werden generell dafür qualifiziert, seelsorgliche Gesprächsanliegen wahrzunehmen und sich dafür zur Verfügung zu stellen. Aber auch Religionslehrerinnen und Religionslehrer haben eine seelsorgliche Verantwortung. Die hier zu fördernde religionspädagogische Beratungs- und Beurteilungskompetenz[3] bezieht sich nicht nur auf die Schullaufbahn und Schulleistungen. Angebahnt werden soll auch die Fähigkeit zur Beratung in Glaubens- und Lebensfragen - innerhalb der Grenzen dessen, was in der Schule geboten ist. Dazu gehört schon im Studium eine Auseinandersetzung mit religionspädagogisch angemessenen Beratungskonzepten. Außerdem sollen schon Studierende Verfahren des aktiven Zuhörens kennenlernen und in praktischen Beratungssituationen anwenden können. Das Referendariat und das Vikariat ermöglichen es, auf die Beratungserwartungen von Schülerinnen und Schülern intensiver einzugehen und diese auf der Grundlage eigener Sachkenntnisse sowie Lebens- und Glaubenserfahrungen zu unterstützen. Das Konzept der kollegialen Fallberatung sollen angehende Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Lehrerinnen und Lehrer bereits in ihrer Ausbildungsgruppe oder in ihrer Ausbildungsschule kennenlernen und gemeinsam mit anderen praktizieren.

Wichtig ist ferner die Bereitschaft, sich an der Entwicklung von Schulprogrammen und der Gestaltung des Schullebens zu beteiligen. Dazu gehört die Fähigkeit zur Eröffnung spiritueller Räume in der Schule, zur Durchführung von Schulgottesdiensten und zur Gestaltung von Ritualen bei besonderen Anlässen, auch in Verbindung mit Kirchengemeinden und anderen kirchlichen Akteuren vor Ort.

 An alle diese schon in der Ausbildung erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten knüpft eine explizite Qualifizierung zur Schulseelsorge an.

4.3 Umfang und Kompetenz

Inzwischen gibt es in fast allen Landeskirchen Qualifizierungsangebote zur evangelischen Schulseelsorge. In den meisten Fällen finden sie in Federführung der landeskirchlichen Einrichtungen für kirchliche Lehrerfortbildung (Pädagogisch-Theologische Institute bzw. Religionspädagogische Zentren) in Zusammenarbeit mit den Bereichen Seelsorge und Jugendarbeit statt. Diese sind darin auch der fachliche kirchliche Partner für die staatlichen Schulen. Zur Qualifizierung gehören zentrale gruppenbezogene Kurseinheiten, regionale Studien- und Beratungsbausteine und konkrete Praxisentwicklung im eigenen schulischen Zusammenhang (Projektentwicklung, Reflexion) sowie Einzel- oder Gruppensupervision. Die Qualifizierung umfasst mindestens 80 Zeitstunden und vermittelt schwerpunktmäßig folgende Kompetenzen:

I. Persönliche Seelsorgekompetenz (25 %)

  • Seelsorgliche Identität (Reflexion der eigenen Persönlichkeit und Rolle)
  • Gesprächsführung (Gesprächsmethoden, Fallarbeit, Kurzgespräch, kollegiale Beratung, Prozessbegleitung, Krisenintervention)
  • Psychologische Grundlagen und Seelsorgekonzepte bezogen auf die Praxis der Schulseelsorge (systemische Seelsorge, interkulturelle Seelsorge)

II. Theologische, liturgische und spirituelle Kompetenz (15 %)

  • Theologische Reflexion von Seelsorge im Bereich Schule und Religionsunterricht
  • Gestaltung von Andachten, Gottesdiensten, Ritualen
  • Eigene Spiritualität
  • Umgang mit religiöser Pluralität

III. Fallbezogene Feld- und Handlungskompetenz (35 %)

  • Wahrnehmung von Schülerinnen und Schülern in ihrer Lebenswirklichkeit
  • Grundkenntnisse über Symptome und Interventionsformen bei typischen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten des Kinder- und Jugendalters
  • Prävention gegen Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung
  • Krisenbewältigung in Notfallsituationen, Umgang mit Krankheit, Tod und Trauer
  • Vernetzung mit inner- und außerschulischen Beratungsinstanzen

IV. Systembezogene Feld- und Handlungskompetenz (20 %)

  • Konzeptionelle Verortung von Schulseelsorge im Rahmen von Schulentwicklung
  • Entwicklung von Schulseelsorgeangeboten als Beitrag zum Schulleben (Projektarbeit)
  • Rollenverständnis (Lehrkraft, Jugendarbeit, Beratung, Seelsorge, Seelsorge im Religionsunterricht)

V. Kompetenz in rechtlichen Fragen (5 %)

  • Schweigepflicht, Amtsverschwiegenheit, Zeugnisverweigerungsrecht (SeelGG)
  • Allgemeine schulrechtliche Bestimmungen im Blick auf die Religionsausübung

Die genannten Anteile der Kompetenzbereiche an der gesamten Ausbildung können im Einzelnen abweichen; dabei ist jedoch darauf zu achten, dass jeder Bereich berücksichtigt wird. Ferner sollen die Bereiche I und III zusammen mindestens die Hälfte der Ausbildung umfassen. Zwischen den einzelnen Kursblöcken sind Praxiseinheiten und Supervisionen anzustreben.

4.4 Zulassung und Zertifizierung

In der Regel werden in einer Einführungstagung Erwartungen geklärt. Die Teilnehmenden werden über die Inhalte und Methoden der Qualifizierung informiert und darüber unterrichtet, was eine kirchliche Beauftragung zur Schulseelsorge bedeutet (Reichweite des Seelsorgegeheimnisses und der Verschwiegenheit). Anschließend wird über die Zulassung zum Kurs entschieden.

Nach erfolgreichem Abschluss der Qualifizierung zur Schulseelsorge erhalten die Teilnehmenden ein entsprechendes Zertifikat, das auch die Qualifizierungsinhalte dokumentiert. Dieses Zertifikat ist Voraussetzung für die kirchliche Beauftragung zur Schulseelsorge.


Fußnoten:

2 Konferenz der Referentinnen und Referenten für Bildungs-, Erziehungs- und Schulfragen in den Gliedkirchen der EKD, Kompetenzen für die schulpädagogische Ausbildung im Vikariat, Hannover 20./21.07.2012; Kirchenamt der EKD (Hg.), Theologisch-Religionspädagogische Kompetenz. Professionelle Kompetenzen und Standards für die Religionslehrerausbildung, Empfehlungen der Gemischten Kommission zur Reform des Theologiestudiums, EKD-Texte 96, Hannover 2008.

3 A. a. O., 35.
Nächstes Kapitel