Handwerk als Chance

2. Zur Situation des Handwerks

2.1 Handwerk - Definition und Abgrenzung

(28) Handwerksberufe und handwerkliche Tätigkeiten gibt es in der ganzen Welt. Dennoch gibt es in vielen Ländern weder den Begriff Handwerk noch etwas Sinnverwandtes. Aber auch in den Ländern, die den Begriff Handwerk kennen, sind die Berufe und Tätigkeiten, die zum Handwerk gehören, sehr unterschiedlich. In Deutschland ist das Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) die Grundlage für die Zugehörigkeit von Betrieben zum Handwerk. Die Pflichtzugehörigkeit zur Handwerkskammer besteht für Personen, nicht für Betriebe und Unternehmen. Mitglieder der Handwerkskammern sind also selbständige Handwerker, Inhaber handwerksähnlicher Betriebe sowie die Gesellen, andere Arbeitnehmer mit abgeschlossener Berufsausbildung und die Lehrlinge dieser Gewerbetreibenden. Nach der Handwerksordnung ist ein Gewerbebetrieb ein Handwerksbetrieb, wenn er handwerksmäßig betrieben wird und ein Gewerbe umfaßt, das in der Anlage A zur Handwerksordnung aufgeführt ist. Zum Handwerk gehören aber auch Gewerbebetriebe der öffentlichen Hand, "in denen Waren zum Absatz an Dritte handwerksmäßig hergestellt oder Leistungen für Dritte handwerksmäßig bewirkt werden." Desgleichen gehören zum Handwerk handwerkliche Nebenbetriebe, die mit einem Betrieb der öffentlichen Hand, der Industrie, des Handels, der Landwirtschaft oder sonstiger Wirtschafts- und Berufszweige verbunden sind, wenn sie handwerksmäßig Waren für Dritte herstellen oder entsprechende Leistungen für Dritte bewirken. In der Handwerksordnung sind insgesamt 126 Berufe aufgezählt, die handwerksmäßig betrieben werden können.

(29) Als charakteristisch für das Handwerk ist herauszustellen, daß der handwerkliche Betrieb keine so deutliche Trennung von Leitungs- und Ausführungsbereich kennt, wie dies für andere Bereiche der Wirtschaft gilt. Hier herrschen auch eine geringere Arbeitsteilung sowie ein geringerer Einsatz aufwendiger und kapitalintensiver Technik. Weitere Charakteristika für den Handwerksbetrieb sind auch die Unternehmensgröße, der berufliche Werdegang des Inhabers, die Qualifizierung der Mitarbeiter, die Art der Aufträge und des Absatzes usw. Nicht nur im Blick auf die Größe der Handwerksbetriebe gilt, daß die Grenzen etwa zur Industrie fließend sind. "Den" Handwerksbetrieb gibt es nicht.

(30) Die Denkschrift konzentriert ihre Aufmerksamkeit auf den vergleichsweise typischen Bereich kleinerer und mittlerer handwerklicher Betriebe, die im überschaubaren Raum arbeiten. Dies ist der wirtschaftliche Bereich, der ein wichtiger Beispielfall Sozialer Marktwirtschaft ist. An diesem Wirtschaftsbereich sollen Chancen und Ansätze eines eines wirtschaftlich erfolgreichen, humanen und gemeinwohlorientierten Wirtschaftens aufgezeigt werden. Der Begriff "handwerkliche Betriebe" und "kleine und mittlere Betriebe" wird an verschiedenen Stellen im Wechsel gebraucht.

2.2 Entwicklungstrends

(31) Bei den Entwicklungstrends ist nach einzelnen Handwerksbereichen zu differenzieren. Zu unterscheiden ist vor allem zwischen den produzierenden Handwerken und den Dienstleistungshandwerken. Zum produzierenden Handwerk gehören u.a. Maurer, Beton- und Stahlbetonbauer, Zimmerer, Steinmetz- und Steinbildhauer, Kachelofen- und Luftheizungsbauer, Metallbauer, Karosserie- und Fahrzeugbauer, Büchsenmacher, Zinngießer, Tischler, Herren- und Damenschneider, Kürschner, Bäcker, Konditoren, Fleischer, Brauer und Mälzer, Keramiker und Musikinstrumentenhersteller. Das produzierende Handwerk ist in besonderer Weise der Konkurrenz durch die Industrie ausgesetzt. In bestimmten Bereichen, z.B. im Bekleidungshandwerk, ist es in der Zwischenzeit in eine Restfunktion zurückgedrängt worden. In anderen Bereichen kann es sich durch die steigende Nachfrage nach individuell und qualitativ hochwertigen Produkten behaupten.

(32) Steigende Bedeutung hat das Handwerk als Zulieferer für die Industrie gewonnen. Der Kostendruck zwingt die Industrie nicht nur zur Rationalisierung und Spezialisierung der Produktion, sondern auch zur Ausgliederung bestimmter Arbeitsbereiche. Damit bieten sich immer mehr Marktfelder für das individuelle Angebot des Handwerks. Handwerksbetriebe treten als Zulieferer vor allem dort auf, wo es um Sonderanfertigungen, Präzisionsleistungen und individuelles Know-How geht. Typische Beispiele für Zulieferbetriebe sind Werkzeugmacher, Maschinenbaumechaniker und Metallbauer.

(33) Besonders dynamisch hat sich das Handwerk im Dienstleistungsbereich entwickelt. Installateure, Schlosser und Mechaniker der verschiedensten Handwerkssparten bauen Geräte und Anlagen der Industrie ein, warten und reparieren sie. Sie sind mittlerweile zu einem unentbehrlichen und eigenständigen Bindeglied zwischen den industriellen Herstellern und den Verbrauchern geworden. Mit der zunehmenden Mechanisierung aller Wirtschafts- und Lebensbereiche ist die Zahl der Beschäftigten in diesen Dienstleistungshandwerken stark angestiegen. So sind z.B. in Deutschland im Kraftfahrzeughandwerk mehr Menschen mit der Wartung und Reparatur von Kraftwagen beschäftigt als bei der Produktion in der Automobilindustrie.

(34) In ähnlicher Weise steht eigenständige handwerkliche Dienstleistung zwischen dem Produzenten und dem Verbraucher bei den Radio- und Fernsehtechnikern, den Büroinformationselektronikern oder im Bereich der Gesundheitshandwerke bei den Augenoptikern und Hörgeräteakustikern. Besonders typische Dienstleistungsberufe des Handwerks sind die Friseure, die Schönheitspfleger, die Textil- und die Gebäudereiniger.

2.3 Das Handwerk in Deutschland

(35) Das Handwerk ist nach der Industrie Deutschlands zweitstärkster Wirtschaftsbereich. Nach den Ergebnissen der letzten Handwerkszählung kann davon ausgegangen werden, daß zur Wirtschaftsgruppe Handwerk heute rund 700.000 Unternehmen mit 6,7 Millionen Beschäftigten zählen. Das bedeutet, daß in Deutschland fast ebenso viele Menschen im Handwerk wie in der Industrie beschäftigt sind. In den neuen Ländern ist die Beschäftigtenzahl des Handwerks fast doppelt so hoch wie in der Industrie. Heute ist jede fünfte Arbeitsstätte Deutschlands ein Handwerksbetrieb. Die von der Handwerkszählung erfaßten Betriebe erzielten 1994 einen Umsatz von 810 Milliarden DM.

(36) Die Zahl der Handwerksbetriebe ist seit 1949 stark zurückgegangen. Allerdings haben sich die Betriebszahlen seit 1990 weitgehend stabilisiert. Die Zahl der handwerksähnlichen Betriebe, die seit der Neufassung der Handwerksordnung im Jahr 1965 zum Handwerk gehören, ist bis 1994 auf über 105.000 angestiegen. Dieser positive Trend hält weiter an. Durch den Zuwachs bei den handwerksähnlichen Betrieben ist der Gesamtbestand der bei den Handwerkskammern registrierten Betriebe in den alten Ländern seit 1980 wieder angestiegen.

(37) Im Gegensatz zu den Betriebszahlen hat sich in den alten Ländern die Beschäftigtenzahl stark erhöht. Sie hat seit 1949 um über 50 % zugenommen. Im langfristigen Trend hat also das Handwerk an beschäftigungspolitischer Bedeutung gewonnen. Der langfristige Trend des Rückgangs der Handwerksbetriebe bei steigenden Beschäftigtenzahlen hat zu größeren und leistungsfähigeren Betrieben geführt. Hatte 1949 ein Handwerksbetrieb im alten Bundesgebiet im Durchschnitt 3,6 Beschäftigte, so waren es 1994 8,9. Es gibt heute ebenso Handwerksbetriebe mit einem Mitarbeiter wie Handwerksbetriebe mit über 1.000 Mitarbeitern. Insgesamt gesehen haben vier Fünftel aller Handwerksbetriebe weniger als zehn Mitarbeiter und neun von zehn Betrieben haben weniger als 20 Mitarbeiter.

(38) Die beschäftigungspolitische Position des Handwerks hat sich also deutlich verstärkt, nicht aber sein Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt. Während sich in der Gesamtwirtschaft das Bruttoinlandsprodukt seit den 70er Jahren ziemlich gleichmäßig aufwärts entwickelt hat, zeigt die Kurve des Handwerks ausgeprägte Wellenbewegungen.

2.4 Das Handwerk in der Europäischen Union

(39) In allen Ländern der Europäischen Union gibt es Maurer, Zimmerer und Maler, Bäcker und Metzger, Friseure, Augenoptiker, Heizungsbauer, Elektroinstallateure und Kraftfahrzeugmechaniker. Aber nicht überall wird dabei vom "Handwerk" gesprochen. Unter Handwerk versteht man in den meisten Mitgliedsstaaten Berufe, die im wesentlichen auf Handarbeit beruhen. Wegen der sehr großen Unterschiede hinsichtlich der Organisation des Handwerks und der Handwerksordnungen stellt das Kunsthandwerk den kleinsten gemeinsamen Nenner in der Mehrheit der Mitgliedsstaaten dar.

(40) Einige Mitgliedsstaaten kennen relativ strenge Berufszulassungsregelungen für die Ausübung eines stehenden Gewerbes als Handwerk. Besonders strenge Berufszulassungsregelungen mit dem Erfordernis des Nachweises einer beruflichen Qualifikation gibt es in Deutschland, Österreich, Luxemburg und teilweise in den Niederlanden. Nach einer Reform des Handwerksrechts ist nunmehr in Frankreich geplant, für bestimmte Handwerksberufe mit Sicherheitsrisiken wie Elektriker, Gas- und Wasserinstallateure und Heizungsbauer, einen Abschluß nach dem dualen Ausbildungssystem (parallele schulische und betriebliche Ausbildung) als Berufszugang vorzuschreiben. Dagegen gibt es z.B. in Großbritannien und Irland - abgesehen von bestimmten Berufen - keine speziellen gesetzlichen Berufszugangsvoraussetzungen. Auch die Ausbildungsgänge für ein bestimmtes Handwerk sind unterschiedlich streng geregelt. Auch hier gilt, daß die Anforderungen in Deutschland, Österreich und Luxemburg besonders hoch sind.

(41) Die wirtschaftliche Integration Europas eröffnet dem deutschen Handwerk neue Absatzmärkte, verstärkt aber zugleich auch den Konkurrenzdruck auf dem heimischen Markt. Zwar sind derzeit noch über 95% aller Handwerksbetriebe überwiegend auf lokalen Märkten tätig, doch berührt die Änderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Europa unmittelbar auch ihre Möglichkeiten, Chancen und Risiken. Durch die Verschärfung des Wettbewerbs gewinnen die weiter bestehenden Unterschiede in den Wettbewerbsbedingungen zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wesentlich größere Bedeutung. Dazu gehören auch die unterschiedlichen Anforderungen an die Ausübung eines Handwerks als selbständiger Tätigkeit, die entsprechenden Ausbildungssysteme und die berufsständische Organisation. Hier bestehen zwischen den 15 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union extrem große Unterschiede.

(42) Europäische Mittelstandspolitik erschöpfte sich in der Vergangenheit weitgehend in der Beratung der kleinen und mittleren Unternehmen sowie in der Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Seit 1994 liegt der Akzent jetzt stärker auf der Verbesserung des rechtlichen und administrativen Umfeldes der Unternehmen. Die europäische Förderung von Unternehmen ist nun auch auf die kleinen und mittleren Unternehmen ausgedehnt worden, neue Programme wurden zugunsten dieser Unternehmen im Bereich Regionalpolitik und in anderen Bereichen angeschoben, ein enger Kontakt zu den europäischen Mittelstandsverbänden wurde hergestellt, um den Gedanken der europäischen Integration den Unternehmen nahezubringen. Maßnahmen und Regelungen, die auf europäischer Ebene getroffen werden, werden jeweils auf ihre "Mittelstandsverträglichkeit" hin überprüft.

2.5 Strukturwandel im Handwerk

2.5.1 Veränderungen innerhalb der Berufsgruppen


(43) In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Struktur des deutschen Handwerks stark gewandelt. Dieser Strukturwandel hat sich innerhalb der einzelnen Handwerksgruppen sehr unterschiedlich ausgewirkt. Die großen Verlierer waren die Bekleidungs-, Textil- und Lederhandwerke, die von der Industrie zunehmend in eine Nischen- und Restfunktion zurückgedrängt wurden. Die Zahl der Betriebe hat sich seit 1949 auf 9,5 % und die der Beschäftigten auf 14 % des damaligen Bestandes reduziert. Einen starken Rückgang hat auch das Holzgewerbe zu verzeichnen. Andere Handwerksbereiche, die ebenfalls einen Rückgang zu verzeichnen hatten, konnten gleichwohl ihre wirtschaftliche Bedeutung behaupten.

(44) Es gibt aber auch viele Gewinner des Strukturwandels. Hier haben die Betriebszahlen und die Beschäftigtenzahlen zugenommen. Die Handwerksgruppe Gesundheits- und Körperpflege-, chemisches und Reinigungsgewerbe hat bei den Betriebszahlen einen Zuwachs von 28,4 % und bei den Beschäftigtenzahlen einen Rekordzuwachs von 429 % zu verzeichnen. Im Metallgewerbe sind die Betriebszahlen um 28,8 % angestiegen, die Beschäftigtenzahl hat sich dort seit 1949 um 149,3 % erhöht. Die Zahl der Betriebe im handwerksähnlichen Gewerbe, das erst 1965 dem Handwerk zugerechnet wird, hat sich seit 1968 ebenfalls mehr als verdoppelt.

(45) Derselbe Strukturwandel, der sich im Handwerk in den alten Ländern über Jahrzehnte hinweg vollzogen hat, ist in den neuen Ländern in vollem Gange und wird sich dort gewissermaßen im Zeitraffertempo in wenigen Jahren vollziehen. Viele Betriebe in traditionellen Handwerksberufen, vor allem im Bekleidungs-, Textil- und Ledergewerbe, die sich im Rahmen der Planwirtschaft behaupten konnten, sind bei rationeller Wirtschaftsführung, steigender Produktivität, schärferer Konkurrenz und verändertem Verbraucherverhalten einem massiven Verdrängungswettbewerb der Industrie ausgesetzt. Die anderen Berufsgruppen des Handwerks sind, wenn auch in unterschiedlicher Weise, Gewinner des durch die Planwirtschaft hintangehaltenen Strukturwandels. Dabei spielt auch der unterdurchschnittliche Handwerksbestand in der DDR eine große Rolle.

2.5.2 Wandel der Berufe und Berufsbilder

(46) Wie die gesamte Wirtschaft ist das Handwerk einem ständigen Wandel unterworfen. Viele Handwerksberufe, die früher große Bedeutung hatten, sind völlig verschwunden. Andere handwerkliche Tätigkeiten wurden in großem Umfang von der Industrie übernommen, so vor allem im Bekleidungs-, Textil- und Ledergewerbe. Daneben gibt es Handwerke, die sich über Jahrhunderte hinweg im Kern erhalten haben, wie z.B. Bäcker, Fleischer, Steinmetze oder Maurer. Im Zuge des technischen Fortschritts haben Handwerke neue Aufgaben übernommen, wie z.B. die Schlosser und Mechaniker. Viele Handwerksberufe sind neu entstanden, wie z.B. Elektroinstallateure, Radio- und Fernsehtechniker, Zahntechniker oder Fotografen.

(47) Das Handwerk mußte sich immer wieder veränderten Gegebenheiten anpassen So waren z.B. Schmiede, Stellmacher und Sattler zur Zeit der Pferdekutschen unentbehrliche Handwerksberufe. Mit dem Aufkommen der Motorisierung verloren sie an Bedeutung, weil sich der Bedarf geändert hatte. Damit begann aber zugleich die Anpassung der Betriebe an den veränderten Bedarf. Schmiede wurden zu Kraftfahrzeugmechanikern, Wagner zu Karosseriebauern, Sattler zu Autosattlern. Zusätzlich entstanden neue Berufe durch das Kraftfahrzeug, wie der Autolackierer, der Autoelektriker und der Vulkaniseur.

(48) Aus einem der ältesten Berufe des Handwerks, dem Schmied, haben sich zahlreiche neue Berufe des Metallhandwerks entwickelt, ohne die das moderne Wirtschaftsleben undenkbar wäre. Beispiele dafür sind der Kraftfahrzeugmechaniker, der Klempner, der Gas- und Wasserinstallateur, der Zentralheizungs- und Lüftungsbauer, der Werkzeugmacher, der Maschinenbaumechaniker, der Feinmechaniker, der Kälteanlagenbauer.

(49) Durch Spezialisierung entstanden z.B. aus dem Schuhmacher der Orthopädieschuhmacher, aus demTischler der Parkettleger, Rolladen- und Jalousiebauer oder Bestattungsunternehmer, Maurer wurden zu Beton- und Stahlbetonbauern. Sattler, Tapezierer und Polsterer sind alte Berufe, die in dem neuen Beruf des Raumausstatters aufgegangen sind. Völlig neue Spezialberufe entstanden, so z.B. der Gebäudereiniger oder als handwerksähnliches Gewerbe der Gerüstbauer, der Bodenleger und viele andere mehr.

2.5.3 Wandel der Berufsinhalte

(50) Es haben sich aber nicht nur die Berufe, sondern vor allem die Berufsinhalte im Handwerk gewandelt. Der technische Fortschritt hat das Handwerk ebenso verändert wie die Industrie. Selbst "alte" Handwerksberufe wie die Zimmerer setzen elektronische Datenverarbeitung ein und konstruieren am Computerbildschirm. Bäcker und Fleischer überwachen ihre Maschinen zur Qualitätsgarantie für ihre Erzeugnisse mit modernen elektronischen Steuerungssystemen. Kfz-Mechaniker, Radio- und Fernsehtechniker, Zentralheizungs- und Lüftungsbauer oder Gas- und Wasserinstallateure reparieren, warten und montieren Produkte der Industrie. Sie müssen deshalb mit dem technischen Stand in der Industrie Schritt halten. Handwerkliche Zulieferer wie die Werkzeugmacher müssen sich hinsichtlich der technischen Ausstattung und ihres Wissens an ihre industriellen Auftraggeber anpassen, wenn sie sich auf dem Markt behaupten wollen. Damit haben sich auch die Arbeits- und Organisationsformen in den Handwerksbetrieben verändert. Zugleich haben sich die Anforderungen an die Qualifikation der im Handwerk Beschäftigten erheblich erhöht.

2.6 Handwerk und Industrie

(51) Das Handwerk hat sich im Prozeß der Industrialisierung aufs Ganze gesehen behauptet und sogar ihm eigene Chancen geltend machen können. In wesentlichen Teilen ist es nicht von jener Konzentrationstendenz erfaßt worden, die für die moderne Wirtschaftsentwicklung charakteristisch war. Allerdings konnten im großen und ganzen nur die Dienstleistungshandwerke mit dem allgemeinen Bevölkerungswachstum Schritt halten. Sie bleiben nach Art und Umfang ihres Leistungsangebots im wesentlichen vom Wettkampf mit der industriellen Produktion verschont. Moderne Arbeitstechniken wie etwa die von der Mikroelektronik bestimmten Techniken haben im übrigen zu den besonderen Möglichkeiten gerade im Bereich der handwerklichen Betriebe geführt und mitgeholfen, ihre Position neben und mit den industriellen Betrieben zu festigen.

(52) Für die Produktionshandwerke läßt sich feststellen, daß das Handwerk sich gegenüber der Industrie auf jenen Gebieten nicht halten kann, auf denen sich die Industrie die kostensparenden Vorteile der Massenproduktion und der Großmaschinentechnik zu Nutze macht. Das Handwerk ist überall dort im Nachteil, wo zur Produktion vorwiegend nur eine Massenleistung erforderlich ist. Handwerkliche Betriebe aber haben dort gute Chancen, wo Spezialbedarf und persönlichkeitsbestimmte Leistung maßgebend sind. Auch dort, wo rasch sich ändernde Tätigkeiten charakteristisch sind (z.B. Reparaturbereich, Baugewerbe) oder eine enge Verbindung zum Kunden entscheidend bleibt (Bäcker, Fleischer), haben Handwerksbetriebe eine gute Position. Dies hat dazu geführt, daß die Industrie mehr und mehr dazu übergeht, solche Fertigungsbereiche aus der eigenen Betriebsstruktur auszulagern, die nicht im engeren Sinn industrietypisch sind, und sie in selbständige (zumeist kleine, innerhalb des Großbetriebs weiterhin tätige) Firmen umzuwandeln ("Outsourcing").

(53) In vielen Handwerkszweigen erlaubt eine offensive Nutzung des technischen Fortschritts die Sicherung bestehender und die Eroberung neuer Handwerksmärkte. In anderen Handwerkszweigen wird künftig verstärkt eine individuelle Handarbeit mit geringem technischen Einsatz nachgefragt.

(54) Die wirtschaftlichen und technischen Prozesse sind künftig mehr denn je von turbulenten Entwicklungen und sprunghaften Veränderungen geprägt. Die Planbarkeit der Prozesse und die Strategierationalität nehmen ab. An die Stelle der weit vorausschauenden Planung tritt schnelles und flexibles Handeln. Damit kehren sich die bisherigen Nachteile des Handwerks, die geringe Planbarkeit der Arbeiten und die kurzen Planungszeiträume, in entscheidende Vorteile um. Von entscheidender Bedeutung für die handwerklichen Betriebe wird dabei sein, daß sie mit den gewaltigen Problemen der Informationsbeschaffung und -verarbeitung fertig werden.

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