Zur Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf

I. Einleitung

(1) Das Verhältnis der Menschen zur Schöpfung beginnt sich zu verändern - wenn auch erst als Folge der Einsicht, daß mit der Natur ihre eigenen Lebensgrundlagen in Gefahr geraten. Das Gefühl für die Kostbarkeit der Natur ist gewachsen. Die Natur hört auf, nur Umwelt als Nutzungs- und Gestaltungsbereich der sich als Mittelpunkt und alleinigen Zweck der Schöpfung verstehenden Menschen zu sein: Immer deutlicher wird sie als Mitwelt empfunden.

(2) Auch die Kirchen haben im letzten Jahrzehnt mehrfach zu Fragen der Verantwortung für den Bestand der Schöpfung Stellung genommen. Mit ausgelöst wurden die kirchlichen Äußerungen durch den Vorwurf, Theologie und Kirche hätten sich durch die Duldung oder gar Propagierung eines ausbeuterischen Verständnisses des Herrschaftsauftrags "Macht euch die Erde untertan" mitschuldig gemacht an der sich seit den 60er Jahren immer deutlicher abzeichnenden Gefährdung der natürlichen Grundlagen des Lebens. Im Ergebnis dieser Diskussion besteht Einverständnis, daß die heutige Krise nicht einfach der Wirkungsgeschichte der biblischen Beauftragung des Menschen, als Treuhänder Gottes über die Erde zu herrschen, zugerechnet werden kann, daß vielmehr verschiedene Traditionen und Entwicklungsstränge in der Neuzeit dazu geführt haben, die Natur bloß noch als Material zur Optimierung des menschlichen Nutzens anzusehen und zu behandeln. In dieser Sicht sind freilich auch Christen, Kirchen und Theologie befangen. Um so notwendiger ist ein Umdenken im Verhältnis zur Natur.

Dies wurde im übrigen nicht erst in den letzten 20 Jahren erkannt. Schon 1854 hatte der dänische Bischof Hans Lassen Martensen gefordert, der Natur mit Humanität zu begegnen (s. unten Ziffer 58), und 1959 - lange bevor "Umweltschutz" zum gängigen Begriff wurde - hatte der Zürcher Theologe Fritz Blanke das Wort von der Mitgeschöpflichkeit geprägt, um damit den traditionellen Begriff der Mitmenschlichkeit in den umfassenden Schöpfungszusammenhang zu bringen.

(3) Das Mensch-Tier-Verhältnis nimmt an den Wandlungen im Verhältnis zur Natur teil. Augenscheinlich wird dies bis hinein in das Gebiet des Rechts: Der Zweck des 1986 verabschiedeten novellierten Tierschutzgesetzes wird in § 1 dahingehend gefaßt, "aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen". Neuerdings zeigen sich mit dem "Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht" von 1990 erste Ansätze, die rechtliche Einordnung von Tieren als Sachen zu überwinden.

(4) In kirchlichen Stellungnahmen ist das Mensch-Tier-Verhältnis bis heute immer nur im Kontext anderer, weiterer Themen - wie der Verantwortung für die Schöpfung, dem Schutz des Lebens oder der Neuorientierung der Landwirtschaft - behandelt worden; die wichtigsten Texte sind im Anhang abgedruckt. Doch was fehlt, ist ein eigenständiger, die Probleme des Mensch-Tier-Verhältnisses im Zusammenhang bearbeitender Beitrag, der dem Gewicht der Frage nach dem Verhältnis zum Tier als Mitgeschöpf gerecht wird und vor allem die Konsequenzen aus den vorliegenden grundsätzlichen Überlegungen für die verschiedenen konkreten Aufgabenfelder des Tierschutzes entfaltet. Dies soll im folgenden geschehen.

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