Verantwortung und Weitsicht.
Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur Reform der Alterssicherung in Deutschland, Gemeinsame Texte 16, 2000
2. Alterssicherung als gemeinsame Aufgabe
Die Vorsorge für das eigene Alter ist für jeden und jede, der oder die dazu in der Lage ist, eine der vorrangigen Aufgaben und Pflichten. Selbstverantwortete Vorsorge ist zwar keine Alternative zu einer gemeinschaftlich organisierten Alterssicherung, aber doch ihr notwendiger und unverzichtbarer Bestandteil. Als Mitglied der Gemeinschaft hat jeder Bürger und jede Bürgerin die Pflicht, Vorsorge für das Alter zu üben. Mit dem eigenen Beitrag werden Familie, Gemeinwesen und Solidargemeinschaft entlastet. Das Bewußtsein für die Eigenverantwortung als Ausdruck solidarischer Verbundenheit muß deshalb zunehmen.
Dabei darf nicht übersehen werden, daß diese Vorsorge, auch wenn sie in verschiedenen Formen erfolgt, immer an die Generationensolidarität gekoppelt ist. Der alte Mensch ist auf wirtschaftliche Güter und soziale Dienste angewiesen, die von der arbeitenden Generation geschaffen werden. Generationensolidarität bedeutet aber auch die rechtzeitige und ausreichende Sorge für Kinder und für die nachrückende Generation.
In einer durch starken wirtschaftlichen und sozialen Wandel geprägten Gesellschaft kann nicht mehr damit gerechnet werden, daß familiäre und berufliche Zugehörigkeiten stabil und umfassend genug sind, um eine die solidarische Vorsorge ergänzende Eigenvorsorge zu gewährleisten. Denn nicht jeder und jede ist in der Lage, für sich selbst vorzusorgen. Dies gilt vor allem für Geringverdiener, Alleinerziehende, Frauen und Männer mit unterbrochenen Erwerbsbiographien. Jeder Mensch hat aber auch im Alter ein grundlegendes Recht auf Leben und auf die Sicherung seiner Existenz. Deshalb wurden in allen modernen Staaten soziale Sicherungssysteme geschaffen, in denen die grundsätzliche Solidarität der Bürger zum Ausdruck kommt.
Wo die Gemeinsamkeit nur unzureichend verwirklicht ist und wo die Lasten ungleich verteilt sind, kommt es zu Schieflagen, zu Über- und Unterversorgung, zu Belastungen für die Wirtschaft, zu Ungleichheit, aber auch zu Armut und Ausgrenzung. Dann treten auch gravierende Finanzierungsprobleme auf, die Staat, Gesellschaft und Wirtschaft belasten, und die Alterssicherung schwächen. Dann wird auch die Würde von Menschen verletzt, die - im Alter hinfällig geworden - nicht die Hilfe bekommen, die sie für ein gesichertes Leben benötigen. Diejenigen, die erwerbstätig waren und diejenigen, die Kinder großgezogen haben, haben viel für andere getan. Es ist deshalb nicht zu verstehen, wenn sie im Alter nicht in der erforderlichen Weise versorgt wären.
Nach biblischem Verständnis sind die alten Menschen in ihrem Anspruch auf Anerkennung ihrer Würde und Lebensleistung zu achten, damit auch deren Kinder, selbst einmal alt geworden, im Sinne des Generationenvertrages in den Genuß des Schutzes und der Versorgung im Alter kommen können. So fordert das Vierte Gebot, die Eltern zu "ehren", d.h. sie in ihrer Würde zu achten und sie im Alter zu versorgen, damit es auch den Kindern später im Alter "wohl ergehe" und sie "lange leben". Die materielle Sicherung ist nur ein Teil der umfassenderen Aufgabe, zur Geborgenheit im Alter beizutragen. Dabei ist jeder einzelne grundsätzlich dafür verantwortlich, eigene Leistungen im Rahmen der Vorsorge für die Sicherung seines Alters zu erbringen. Dies ist eine Aufgabe, der nachzukommen er sich selbst und der Gemeinschaft schuldig ist. Die Bereitstellung materieller und geistiger Existenzgrundlagen ist eine Voraussetzung für die menschliche Freiheit. Nach biblischer Auffassung gewährt diese Grundlagen letztlich Gott, der segnend die Menschen erhalten will, um sie zu seinem Frieden und seiner Gerechtigkeit zu rufen.