Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel Europa - Informationen Nr. 155

Beihilferecht: EuGH: Steuerbefreiungen für wirtschaftliche Tätigkeiten von Kirchen können eine verbotene staatliche Beihilfe sein

Julia Maria Eichler

Am 27. Juni 2017 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg in der Rechtssache C-74/16 entschieden, dass eine Steuerbefreiung für eine Tätigkeit, mit der kein strikt religiöser Zweck verfolgt wird, unter das Verbot der staatlichen Beihilfe fallen kann, wenn und soweit diese Tätigkeit wirtschaftlicher Art ist.
In dem  zugrundeliegenden  Fall ist die „Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania“ Trägerin einer kirchlichen Schule. Die spanische katholische Kongregation hatte ein auf einem Schulgrundstück freistehendes Gebäude renoviert und erweitert, in dem insbesondere die für Versammlungen, Kurse und Konferenzen genutzte Aula untergebracht ist und die mit 450 Sitzplätzen ausgestattet werden sollte.

Da Spanien seit 1998 auf Bauwerke, Einrichtungen und Baumaßnahmen Steuern erhebt, zahlte die Kongregation hierfür rund 23.700€ an die lokale Gemeinde. Die katholische Kirche hatte mit Spanien 1979 einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen, der diverse Steuerbefreiungen für kirchliche Einrichtungen, insbesondere von der Real- und Ertragssteuer sowie von der Einkommens- und Vermögensteuer vorsieht.

Deshalb beantragte die Congregación de Escuelas Pías im Nachhinein die Erstattung der Steuer. Dies wurde abgelehnt, weil die streitgegenständliche Tätigkeit nicht im Zusammenhang mit den religiösen Zielen der katholischen Kirche stünde. Hiergegen klagte die Kongregation.

Art. 107 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verbietet grundsätzlich staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

Um die Frage, ob eine Steuererstattung gegen das staatliche Beihilfeverbot verstoßen würde, zu beantworten, musste der EuGH zunächst darüber entscheiden, ob die Kongregation ein Unternehmen ist. Ein Unternehmen erfasse dabei „jede wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und Art der Finanzierung“. Der Einstufung als wirtschaftlich stünde dabei auch nicht entgegen, dass die Tätigkeit von einer Religionsgemeinschaft ausgeübt werde. Vielmehr müsse für jede einzelne der verschiedenen Tätigkeiten eine Qualifizierung als wirtschaftlich erfolgen. Eine wirtschaftliche Tätigkeit sei dabei jede Tätigkeit, die darin bestehe, Güter oder Dienstleistungen auf einembestimmten Markt anzubieten. Die fehlende Gewinnerzielungsabsicht stünde einer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht entgegen, wenn das Angebot mit anderen Wirtschaftsteilnehmern konkurriere, die einen Erwerbszweck verfolgen. Eine Dienstleistung, die gegen ein Entgelt erbracht wird, stelle eine wirtschaftliche Tätigkeit dar.

Dem entsprechend stellt der EuGH fest, dass „Unterricht an Bildungseinrichtungen, der im Wesentlichen durch private Mittel, die nicht vom Dienstleistungserbringer selbst stammen, finanziert“ würde, eine Dienstleistung darstellte, weil das von der Einrichtung verfolgte Ziel darin bestehe, die Leistung gegen Entgelt zu erbringen.
Etwas anderes gelte für den Unterricht an „bestimmten Einrichtungen, die Teil eines staatlichen Bildungssystems“ seien und „vollständig oder überwiegend aus öffentlichen Mittel finanziert“ würden.  Denn staatliche Bildungssysteme dienten nicht der Erbringung einer entgeltlichen Tätigkeit, sondern der Erfüllung staatlicher Aufgaben auf sozialem, kulturellem und bildungspolitischen Gebiet.

Sofern eine getrennte Buchführung für verschiedene erhaltene Finanzmittel bestehe und somit eine Quersubventionierung ausgeschlossen sei, könnten auch Tätigkeiten wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Art durch eine und dieselbe Einrichtung erbracht werden.

Der EuGH geht davon aus, dass die katholische Kongregation in der Aula, für deren Umbau die Steuererstattung beantragt wurde, sowohl öffentlich finanzierte und staatlich anerkannten Unterricht erbrachte, der keine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen würde, als auch Unterricht, der gegen ein Schulgeld  erfolgte und damit eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen dürfte.

Das vorlegende spanische Gericht muss diese Informationen prüfen und eine den Vorgaben des EuGH folgende Einschätzung vornehmen. Neben der Frage, ob es sich um staatlich subventionierten Unterricht handele, müsse das Gericht auch prüfen, wofür die Aula tatsächlich genutzt wurde. Im Falle einer gemischten Nutzung weist der EuGH darauf hin, dass die Steuerbefreiung dem Beihilfeverbot unterfallen würde, soweit sie für wirtschaftliche Tätigkeiten genutzt werde.

Käme somit das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis, dass zumindest ein Teil der Unterrichtstätigkeit als wirtschaftliche Tätigkeit einzustufen sei und die Aula hierfür zumindest teilweise genutzt würde, wäre dann auch noch zu prüfen, ob die Steuerbefreiung ein selektiver wirtschaftlicher Vorteil sei, der den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt und den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht.

Der EuGH bejaht in diesem Fall einen selektiven wirtschaftlichen Vorteil, weil die Congregación de Escuelas Pías begünstigt und von einer Belastung, die sie normalerweise zu tragen hätte, befreit wird. Diese Begünstigung werde auch aus staatlichen Mitteln gewährt, da die Steuerbefreiung einerseits auf das mit der Katholischen Kirche geschlossene Abkommen zurückgehe und andererseits zur Verminderung von Einnahmen der Gemeinde führe.

Hinsichtlich der letzten beiden Prüfungspunkte weist der EuGH daraufhin, dass es lediglich der Prüfung bedürfe, ob die Beihilfe geeignet sei, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen.

Dabei sei ausreichend, wenn die Stellung bestimmter Unternehmen gegenüber anderen, konkurrierenden Unternehmen im Handel zwischen den Mitgliedstaaten gestärkt werde. Das begünstigte Unternehmen müsse nicht selbst am Handel zwischen den Mitgliedstaaten teilnehmen. Denn die Beihilfe führe dazu, dass die inländische Tätigkeit beibehalten oder verstärkt werden könne, und verringere so die Chancen von Unternehmen anderer Mitgliedstaaten auf diesen Markt vorzudringen. Zudem führe die Befreiung von Kosten, die normalerweise im Rahmen der laufenden Geschäftsführung oder üblichen Tätigkeit zu tragen wären, grundsätzlich zur Wettbewerbsverfälschung. Ausgenommen seien nur „De-minimis“-Beihilfen, die einen Gesamtbetrag von 200 000 Euro innerhalb von drei Jahren nicht überstiegen. Das vorlegende Gericht müsse wiederum prüfen, ob die Vorteile, die die katholische Kongregation für ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten erhalten würde, diesen Schwellenwert übersteige.

Zuletzt verweist der Gerichtshof noch darauf, dass die Steuerbefreiung, insofern sie eine Beihilfe darstelle, als „neue Beihilfe“ einzustufen sei. Denn obwohl das Abkommen zwischen Spanien und dem Heiligen Stuhl vor dem Beitritt Spaniens zur Europäischen Union abgeschlossen worden sei, sei die streitgegenständliche spanische Steuer auf Baumaßnahmen erst nach dem Beitritt eingeführt worden. Sollte das vorlegende Gericht somit von einer staatlichen Beihilfe ausgehen, müsste diese der Kommission mitgeteilt und von ihr genehmigt werden.
Im Gegensatz zu den Schlussanträgen der Generalanwältin Juliane Kokott geht das Urteil nicht auf die Relevanz des Art. 17 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU ein, sondern löst den Fall rein beihilferechtlich. Dabei konkretisiert der EuGH die beihilferechtlichen Vorschriften des Europarechts im Hinblick auf wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche Tätigkeiten von Religionsgemeinschaften. Diese Konkretisierungen sind auch für die kirchlichen Wohlfahrtsverbände in Deutschland von Relevanz.

Das Urteil des EuGH finden Sie hier: http://ekd.be/rechtsmittel_staatliche_beihilfen

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