Kinder brauchen: Schutz vor Gewalt und Möglichkeiten zur Mitbestimmung

(Doris Klingenhagen)

Vom 3. bis 4. Juni 2015 haben sich 250 Experten und Expertinnen aus ganz Europa zum 9. EU-Kinderrechteforum in Brüssel getroffen. Im Mittelpunkt der Beratungen stand die Frage wie die Systeme des Kinderschutzes verändert werden müssen, um Kinder besser vor Gewalt zu schützen. Gewalt gegen Kinder hat viele Dimensionen. Immer noch erleben Kinder die meiste Gewalt innerhalb von Familien. Kinder, die auf der Flucht sind und Schutz suchen erleben Gewalt. Besonders gefährdet sind staatenlose Kinder oder Kinder ohne Dokumente. Kinder, die in die Hände von Menschenhändlern geraten, die in Haft leben, die entführt oder vermisst werden, erleben Gewalt. Gewalt ist oft auch eine Begleiterscheinung für Kinder, die diskriminiert werden aufgrund ihrer Herkunft oder Behinderung, die in Heimen leben oder auch materiell und sozial vernachlässigt werden. Hinzu kommen Erfahrungen von sexuellem Missbrauch und Ausbeutung, von Mobbing oder (Cyber) bullying. Gewalt an Kindern geschieht häufig im Verborgenen. Ca. 90 Prozent der Übergriffe auf Kinder bleibt unentdeckt, so der Bericht „Preventing Child Maltreatment“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2013.

Anhand von zehn Prinzipien, welche die EU-Kommission für ein Tagungsdokument entwickelt hatte, diskutierten die Teilnehmenden wie Systeme des Kinderschutzes umfassender und kohärenter weiterentwickelt werden müssten.

  1. Es müsse beachtet und respektiert werden, dass jedes Kind (Schutz)rechte hat, die nicht verhandelbar sind.
  2. Kein Kind dürfe diskriminiert werden und ausgeschlossen sein aus staatlicher Fürsorge und Unterstützungsangeboten.
  3. Kinderschutz müsse immer Präventionsangebote beinhalten.
  4. Familien müssten in ihrer Rolle als Hauptverantwortliche für die Erziehung ihrer Kinder unterstützt werden.
  5. Gesellschaften bräuchten das Bewusstsein, aktiv das Recht der Kinder auf Gewaltfreiheit zu unterstützen.
  6. Systeme des Kinderschutzes müssten sicherstellen, dass in ihren Einrichtungen und Maßnahmen Personal arbeitet, welches in Kinderrechtsfragen und Gewalt von Kindern geschult wird und dass es Standards und Qualitätssysteme gibt, um Maßnahmen unter der regelmäßigen Kontrolle einer koordinierenden nationalen Aufsichtsstelle regelmäßig zu evaluieren.
  7. Kinderschutzsysteme sollten transnationale und länderübergreifende Mechanismen berücksichtigen.
  8. Jedes Kind sollte Unterstützung und Schutz von einer sorgeberechtigten Person oder einer kompetenten staatlichen Einrichtung bekommen.
  9. Alle Personen wie z. B. Sozialarbeiter, Lehrer, Erzieherinnen, Ärzte, Polizisten, die mit Kindern in professionellen Zusammenhängen arbeiten, sollten über das Risiko von Kindern Gewalt zu erleben, geschult werden.
  10. Schließlich sollte eine ausreichende Anzahl vertrauenswürdiger Stellen in allen EU-Mitgliedstaaten eingerichtet werden, bei denen Kinderrechtsverletzungen gemeldet werden können sowie Rund-um-die-Uhr-Hilfsangebote für Kinder und ihre Sorgeberechtigten vorhanden sein.

Die zuständige Kommissarin aus der Generaldirektion Justiz, Vera Jourová bestärkte die Forderungen und Impulse des Forums: „Das Forum und die 10 Prinzipien sollten ein Sprungbrett sein, um die Zusammenarbeit und die Koordination für die beteiligten Akteure in der Arbeit zum Schutz von Kindern weiter zu optimieren“. Für sie sei der Schutz von Kindern vor Gewalt eine Priorität und wolle die EU-Mitgliedstaaten unterstützen, dass die bereits bestehenden EU-Gesetze volle Anwendung finden.

Die Generaldirektion Justiz und Verbraucher der EU-Kommission hatte schon im März 2015 Ergebnisse einer Studie zur Umsetzung des Artikels 12 der UN-Kinderrechtskonvention veröffentlicht. In Artikel 12 geht es um das Recht des Kindes, sich eine eigene Meinung in allen Angelegenheiten, die es selbst berühren, zu bilden und diese frei zu äußern. Dies gelte auch in Gerichts- und Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar, durch Vertreter oder geeignete Stellen.

Entsprechend der UN-Kinderrechtskonvention waren dabei die 0 bis 18-Jährigen Zielgruppe der Forschung. Wesentliche Erkenntnisse der Studie zeigen zum einen große Unterschiede bei der Art und Weise, wie die einzelnen EU-Mitgliedstaaten die Umsetzung des Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention in Gesetzesform umsetzen: Eine Mehrheit hat Kinderrechte in die Verfassung aufgenommen (11 EU-Staaten), einige andere (darunter Österreich, Polen, Rumänien und das Vereinigte Königreich) haben ein eigenständiges Kinderrechte-Gesetz erlassen.

Die Zuständigkeiten für Kinderrechte sind dabei in den verschiedenen Ländern höchst unterschiedlich verteilt: von Ombudspersonen, über nationale Ministerien (wie in Deutschland) bis hin zu NGOs. Dabei fällt auf, dass dem Monitoring und einer budgetären Absicherung nach Aussage der Studie zu wenig Beachtung geschenkt wird. Die besten Ergebnisse zeigten sich auf der lokalen Ebene, wenn die Kinder Möglichkeiten erhielten, in der Familie, Schule, Kinder- und Jugendarbeit, der Jugendhilfe oder der Nachbarschaft mitzusprechen bzw. mitzuentscheiden.

Eine Hauptaufgabe bestehe darin, weiter für ein Bewusstsein zu werben, die Beteiligungsrechte von Kindern an sie betreffende Politikbereichen zu stärken und die mit und für Kinder und Jugendliche arbeitenden Akteure mit entsprechenden Kompetenzen auszustatten.

Dabei müssen bestimmte Zielgruppen wie Kinder mit Behinderungen, minderjährige Flüchtlinge sowie sehr junge Kinder spezielle Unterstützung erhalten. Den  Mitgliedsländern wird u. a. empfohlen, eine politikfeldübergreifende Strategie oder eine Arbeitsgruppe einzurichten, um Mechanismen einzuführen, die durch „capacity building for practitioners“ Kinder- und Jugendbeteiligung auf allen Ebenen und Politikfeldern einbetten.

Die Europäische Kommission wird hingegen aufgefordert, Trainings über Kinderrechte und Jugendbeteiligung für EU-Offizielle zu erwägen sowie zukünftige EU-Initiativen mit Kinder- und Jugendbeteiligung zu konzipieren. Weitere Beschlüsse oder Empfehlungen auf EU-Ebene sollten mit zusätzlichen praktischen Anleitungen versehen werden, wie sie Kinder- und Jugendbeteiligung stärken und effektiv umsetzen können.

Link zu der Dokumentation des 9. Kinderrechteforums:
http://ekd.be/9_Kinderrechteforum

Link zur Studie:
http://ekd.be/Evaluation_of_child_particiption

 



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