Komplexer, vernetzter und konfliktreicher – Europa auf dem Weg zu einer „globalen Strategie“

(Julia Maria Eichler)

Das Treffen des Europäischen Rates am 25. und 26. Juni 2015 sollte ganz im Lichte der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik stehen. Doch es kam anders. Inmitten der Debatten über den Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge, das anstehende Referendum in Großbritannien zum EU-Austritt und die Griechenlandrettung gerieten die Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs zur Außen- und Sicherheitspolitik ins Hintertreffen. Der Auftrag an die EU-Außenbeauftragte Frederica Mogherini, eine „globale EU-Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik auszuarbeiten“, ging medial beinahe unter. Dabei könnte dieser Auftrag wegweisend sein.

2003 hatte sich die EU das erste Mal entschlossen, die Grundlagen einer gemeinsamen Sicherheitspolitik zusammenzufassen. Anlass waren damals die innereuropäischen Differenzen infolge der Haltung zum Irak-Krieg. Javier Solana - damaliger EU-Außenbeauftragte - war die zentrale Figur, als es darum ging, eine gemeinsame Bedrohungsanalyse zu erstellen und klare außen- und sicherheitspolitische Prioritäten auf der Grundlage der zentralen europäischen Werte festzulegen.

Zwar sind auch heute die fünf Hauptbedrohungen von 2003: transnationaler Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Regionalkonflikte, „gescheiterte“ Staaten sowie organisierte Kriminalität noch aktuell, andere Annahmen und Grundlagen der Strategie haben jedoch ihre Gültigkeit verloren. So ging man 2003 davon aus, dass der europäische Integrationsprozess problemlos weiter fortschreiten werde und der europäische Kontinent auf Dauer befriedet sei. Schon der Titel der Strategie „Ein sicheres Europa in einer besseren Welt“ zeigt, wie erheblich sich das sicherheitspolitische Umfeld in den letzten zwölf Jahren – vor allem in jüngster Vergangenheit – gewandelt hat.

Als sich die Staats- und Regierungschefs im Dezember 2013 trafen, um das erste Mal seit fünf Jahren über die europäische Außen- und Sicherheitspolitik zu diskutieren, erhielt am Ende die damalige EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton den Auftrag, bis Juni 2015 einen Bericht über die Herausforderungen und Chancen der EU, die sich aus den Veränderungen im globalen Umfeld ergeben, vorzubereiten.

Diesen legte nun Ashtons Nachfolgerin Mogherini vor und kommt darin zu einem eindeutigen Ergebnis. Die EU sei von einer Zone der Instabilität umgeben. Die Welt sei komplexer, enger vernetzter, aber auch konfliktreicher. Anders als 2003 gebe es nicht nur Krisenherde in Afrika und im Mittleren Osten, deren Auswirkungen die EU unmittelbar spüre, sondern auch innerhalb der EU seien die Zeiten unruhiger. Neben dem Ukraine-Konflikt belaste die EU ihre internen Differenzen und Herausforderungen, wie etwa die immer noch spürbaren Auswirkungen der Wirtschaftskrise. Fragile Staaten, nichtregierte Regionen, wachsende Ungleichheiten, der technologische Fortschritt, Unsicherheiten im Bereich der Energieversorgung, globale Machtverschiebungen und neue gesellschaftliche Narrative seien Entwicklungen auf die man Antworten finden müsse.

Dem Bericht zufolge gibt es fünf Gebiete, auf denen die EU vor besonderen Herausforderungen stehe, die aber auch Chancen für gemeinsames Handeln bieten würden.

  • Die EU müsse ihre Anstrengungen in der europäischen Nachbarschaft verstärken. Nicht nur auf dem Balkan, sondern auch gegenüber der Türkei bedürfe es eines verstärkten Engagements. Darüber hinaus gelte es, die europäische Nachkriegsordnung zu erhalten.
  • Der europäische Ansatz bezüglich des Nahen Osten und in Nordafrika müsse angesichts der dortigen Krisen überdacht werden. Auch wenn die Eindämmung des Terrorismus die wohl dringendste Aufgabe sei, müsse auch die humanitäre Krise in den kriegsgebeutelten Regionen und den Flüchtlingsaufnahmeländern angegangen werden.
  • Die Beziehung zum afrikanischen Kontinent müsse neu definiert werden. Das große Potential, das in dem Kontinent stecke, müsse durch einen Mix von Migration-, Mobilitäts- und Integrationspolitik, aber auch durch die Unterstützung von Bildung und nachhaltiger Entwicklung sowie fairen Handel und wirtschaftlichen Integrationszielen freigesetzt werden.
  • Die atlantischen Partnerschaften müssen neu belebt werden. Aufgrund der geteilten Werte seien die Länder Amerikas Partner erster Wahl. Die Verbindung mit den USA und Kanada sei einzigartig. Es gelte eine stärkere und solidere Beziehung aufzubauen. Sicherheit und Handel stellen hierfür zwei Schwerpunkte dar. Sicherheitspolitisch müsse die EU in ihrer Nachbarschaft mehr Verantwortung übernehmen. Im Bereich des Handels dürfe man neben TTIP auch die Länder Lateinamerikas nicht aus dem Blick verlieren, in denen europäische Investitionen schon heute höher sind, als in China, Indien und Russland zusammen.
  • Die EU habe ein strategisches Interesse daran eine vollwertige Rolle in Asien zu spielen. Die Herausforderungen werden sein, die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die sich in Asien bieten, optimal zu nutzen, aber gleichzeitig ein konstruktiver Akteur im politischen und sicherheitspolitischen Bereich zu sein.

Es sei in der Verantwortung der EU, ihre Bürger zu beschützen und die Interessen und Werte der EU zu fördern. Effektive Reaktionen auf die genannten Herausforderungen würden von der Fähigkeit der EU abhängen, Entscheidungen zu treffen und Gebiete zu bestimmen, auf denen die EU willens und fähig sei, sich entscheidend einzubringen. Eine maßgebliche Rolle werde dabei den außenpolitischen Instrumenten zukommen, die der EU zur Verfügung stünden.

Instrumente wie die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik oder die Handelspolitik müssten dabei für ihren jeweiligen Zweck geeignet sein. Die außenpolitischen Instrumente würden sich daher einer Überprüfung ihrer Wirkungsrichtung, Flexibilität, Wirkungsweise, Koordination und Kapazität stellen müssen. Darüber hinaus werde aber ein gemeinsames Konzept benötigt, das engere Verbindungen zwischen den verschiedenen beteiligten Akteuren und Instrumenten herstelle. Vertikale und horizontale Silos seien ein Grund, dass die EU nicht die globale Rolle spiele, die sie spielen könnte. Einen solchen Luxus könne man sich nicht leisten. Die Mitgliedstaaten müssten sich auf gemeinsame Prioritäten, Ziele und Mittel, um diese zu erreichen, einigen. Die EU brauche eine gemeinsame, umfassende und konsequente globale Strategie.

Bis 2016 hat Mogherini nun Zeit, ihre Vision der Zukunft der Europäischen Sicherheits- und Außenpolitik konkreter auszuformen.

Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates finden Sie unter:
http://ekd.be/EU-Rat-Migration

Den Bericht der EU-Außenbeauftragten finden Sie in Englisch unter:
http://ekd.be/EU_in_global_environment



erweiterte Suche