Das „Ja, aber“ des EuGH`s zu Integrationsprüfungen im Aufenthaltsrecht

(Julia Maria Eichler)

Gleich zwei Mal hat der Europäische Gerichtshof in den letzten Monaten (EuGH) über die Zulässigkeit von Integrationsprüfungen für Drittstaatsangehörige geurteilt. Im ersten Fall (C-579/13) klagten eine Neuseeländerin und eine US-Amerikanerin, beide daueraufenthaltsberechtigt, gegen in den Niederlanden verpflichtende Integrationsprüfungen, nachdem sie die dauerhafte Aufenthaltserlaubnis bereits erhalten hatten. Im zweiten Fall (C-153/14) klagten eine Aserbaidschanerin und eine Nigerianerin gegen die Integrationsprüfung, die Voraussetzung für die Familienzusammenführung in den Niederlanden ist. Der EuGH entschied in beiden Rechtssachen, dass eine Integrationsprüfung zulässig sei, allerdings nur unter Berücksichtigung der individuellen Umstände und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. 

Im Einzelnen urteilte der EuGH am 04. Juni 2015 in der Rechtssache C-579/13, dass die EU-Mitgliedstaaten langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige zu der erfolgreichen Ablegung einer Integrationsprüfung verpflichten dürfen, wenn die Modalitäten für die Umsetzung dieser Pflicht nicht die Verwirklichung der Ziele der Richtlinie 2003/109/EG über die Rechtsstellung von langfristig aufenthaltsberechtigten Angehörigen von Nicht-EU-Ländern (Daueraufenthaltsrichtlinie) gefährdet. Die Richtlinie sieht vor, dass Drittstaatsangehörigen, die sich fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates aufgehalten haben, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erhalten.

In den Niederlanden ist für langfristig Aufenthaltsberechtigte eine Integrationspflicht in Form einer Prüfung der Niederländischkenntnisse und Grundkenntnisse über die Gesellschaft vorgesehen. Die nicht fristgerechte Erfüllung wird mit einem Bußgeld bestraft. Gegen die ihnen auferlegte Integrationspflicht hatten die zwei Frauen geklagt.

Der EuGH kam zu dem Schluss, dass eine Pflicht zum erfolgreichen Ablegen einer Prüfung zwar nicht das Ziel der Integration gefährde, sondern vielmehr die Bindung zum AufnahmeMitgliedstaat stärken könne. Jedoch dürfe auch die konkrete Ausgestaltung der Pflicht dieses Ziel nicht gefährden. Dabei müssten insbesondere der geforderte Kenntnisstand, die Zugänglichkeit der Kurse, das zur Prüfungsvorbereitung erforderliche Material, die Höhe der Einschreibungsgebühren und individuelle Umstände (z. B. Alter und Bildungsniveau) berücksichtigt werden.

In dem entschiedenen Fall kam zu dem Umstand, dass für jeden erfolglosen Ablauf der für das erfolgreiche Ablegen der Integrationsprüfung gesetzten Frist ein Bußgeld von bis zu 1.000 € verhängt werden konnte, hinzu, dass auch Einschreibungsgebühren i. H. v. 230 € pro Prüfungsteilnahme entrichtet werden mussten. Das Bußgeld an sich habe damit schon ein relativ hohes Niveau. Der EuGH betonte außerdem, dass die Verwirklichung der mit der Richtlinie verfolgten Ziele gefährdet und der Richtlinie die praktische Wirksamkeit genommen würde. Dies sei der Fall, wenn Umstände vorliegen würden, bei denen ein Bußgeld nicht die einzige negative Auswirkung für Drittstaatsangehörige sei, denen es nicht gelingt, die Prüfung vor Ablauf der gesetzlichen Frist abzulegen. Dies sei vom zuständigen Gericht zu prüfen.

In dem zweiten Fall (C-153/14) entschied der EuGH am 09. Juli 2015, dass die Mitgliedstaaten von einem Drittstaatsangehörigen vor der Familienzusammenführung, die nicht Flüchtlinge oder deren Angehörige betrifft, das erfolgreiche Ablegen einer Integrationsprüfung verlangen können. Allerdings dürfe die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung (Richtlinie 1003/86/EG betreffend das Recht auf Familienzusammenführung) nicht unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden. In den Niederlanden muss man vor der Familienzusammenführung eine Prüfung, die gesprochenes Niederländisch, Kenntnisse der niederländischen Gesellschaft und den Bereich Lese- und Schreibkundigkeit sowie Leseverstehen umfasst, erfolgreich ablegen. Ausnahmen sind vorgesehen, wenn eine körperliche oder geistige Behinderung das Ablegen der Prüfung dauerhaft unmöglich machen oder wenn die Ablehnung zu einer schwerwiegenden Unbilligkeit führen würde. Die Anträge der Klägerinnen auf eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis waren jedoch abgelehnt worden, obwohl beide gesundheitliche bzw. psychische Probleme für das Nichtablegen der Prüfung geltend gemacht hatten.

Der EuGH führte aus, dass die Richtlinie präzise vorgebe, dass die Mitgliedstaaten die Familienzusammenführung bei Vorliegen der Voraussetzungen zulassen müssen, ohne eigenen Wertungsspielraum. Zwar räume die Richtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, die Zusammenführung von dem Absolvieren der Integrationsmaßnahmen als eine dieser Voraussetzungen abhängig zu machen. Da dies eine Ausnahme darstelle, sei dieser Absatz jedoch eng auszulegen. Der den Mitgliedstaaten hier zugestandene Handlungsspielraum dürfe nicht dem Ziel der Richtlinie zuwiderlaufen oder deren praktische Wirksamkeit beeinträchtigen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit müssten die eingesetzten Mittel zur Erreichung des Ziels verhältnismäßig sein und dürfen nicht über das Erforderliche hinausgehen.

 „Integrationsmaßnahmen“ im Sinne der Familienzusammenführungsrichtlinie seien nur legitim, wenn sie die Integration des Drittstaatsangehörigen erleichtern. Dabei müsse die Bedeutung berücksichtigt werden, die dem Erwerb von Kenntnissen der Sprache und der Gesellschaft, für soziale Interaktionen und dem Zugang zu Bildung und Beruf zukomme. Da zudem nur Grundkenntnisse verlangt würden, stelle eine solche Integrationsprüfung grundsätzlich keine Beeinträchtigung des Ziels der Familienzusammenführung dar.

Der Rahmen der Erforderlichkeit würde überschritten, wenn die Zusammenführung des Familienangehörigen ausgeschlossen wäre. Denn die Integrationsmaßnahme dürfe nicht der Selektion der Personen dienen, die von dem Recht der Familienzusammenführung Gebrauch machen dürften. Darüber hinaus müssten auch individuelle Umstände wie etwa Alter, Bildungsniveau und Gesundheitszustand des Familienangehörigen berücksichtigt werden, um die Familienangehörigen von dem erfolgreichen Ablegen der Prüfung zu befreien, falls sie aufgrund dieser individuellen Umstände nicht in der Lage seien, die Prüfung abzulegen oder zu bestehen. Sonst würde die Prüfung ein unüberwindbares Hindernis der effektiven Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung darstellen. Der EuGH betont, dass die niederländische Regelung keine Befreiung in allen Bereichen vorsehe, in denen eine solche nötig sei, um die Familienzusammenführung nicht übermäßig zu erschweren oder unmöglich zu machen.

Auch die Kosten dürften im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht dem Ziel der Richtlinie zuwiderlaufen. Die Kosten für die Prüfungsvorbereitung von 110 € und für den jeweiligen Prüfungsversuch von 350 € könnten die Familienzusammenführung jedoch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, zudem auch noch die Kosten für die Reise zur Botschaft oder zum Konsulat hinzukommen würden.

Damit spricht sich der EuGH klar für eine umfassende Härtefallklausel beim Familiennachzug aus. Warum er das Recht auf Achtung des Familienlebens nicht erwähnt, bleibt sein Geheimnis. Auch findet der Aspekt, dass die Integration des bereits in Europa lebenden Drittstaatsangehörigen behindert wird, wenn seinem Familienangehörigen der Nachzug erschwert wird, keine Erwähnung. Beide Urteile werden aber vor allem für Drittstaatsangehörige mit geringen Einkommen hilfreich sein, auch wenn weiterhin offen bleibt, wann und unter welchen Bedingungen die Grenze der Verhältnismäßigkeit überschritten ist.

Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Rechtssache C-153/14 finden Sie unter:
http://ekd.be/CURIA_C-153-14
Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Rechtssache C-579/13 finden Sie unter:
http://ekd.be/CURIA_C-579-13



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