EuGH-Generalanwalt konkretisiert sein Bild der Arbeitnehmerfreizügigkeit

(Julia Maria Eichler)

In der Rechtssache Jobcenter Kreis Recklinghausen gegen Garcia-Nieto (C-299/14) hat der Generalanwalt Melchior Wathelet am 04. Juni 2015 seine Schlussanträge vorgestellt. Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) liegt nun innerhalb kurzer Zeit mit dieser Rechtssache der dritte Fall aus Deutschland zum Spannungsverhältnis zwischen der Freizügigkeit von Unionsbürgern und den Sozialsicherungssystemen der Mitgliedstaaten vor (EKD-Europa-Informationen Nr. 148, 147). Bereits in den zwei anderen Fällen „Alimanovic“ und „Dano“ war Wathelet der zuständige Generalanwalt.  

In Deutschland sind unter anderem Ausländer und deren Familienangehörige für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts von der Grundsicherung ausgeschlossen, wenn sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.

Die Spanierin Garcia-Nieto, die im April 2012 mit ihrer Tochter nach Deutschland eingereist war, arbeitete ab Juni 2012. Ende Juni 2012 folgte ihr der Vater ihrer Tochter Herr Pena Cuevas mit seinem Sohn nach Deutschland. Die Kinder besuchten ab Ende August 2012 die Schule. Herr Pena Cuevas übte zeitweise Beschäftigungen aus bzw. bezog Arbeitslosengeld. Ihm und seinem Sohn wurden jedoch für die Monate August und September 2012 Grundsicherungsleistungen verweigert, da sie sich weniger als drei Monate in Deutschland aufgehalten hatten. Generalanwalt Wathelet ist der Auffassung, dass Unionsbürger, die sich in einen Mitgliedstaat begeben, deren Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, während der ersten drei Monate vom Bezug bestimmter Sozialleistungen unionsrechtkonform ausgeschlossen werden können.

Wie bereits in den Rechtssachen „Dano“ und „Alimanovic“ geht der Generalanwalt davon aus, dass es sich bei der deutschen Grundsicherung um Leistungen der Sozialhilfe im Sinne der Unionsbürgerrichtlinie (Richtline 2004/38/EG) handele, da sie die Existenzmittel für ein menschenwürdiges Leben gewährleisten und nicht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen.

Der Generalanwalt geht davon aus, dass die deutsche Regelung im Sozialgesetzbuch kein Verstoß gegen Unionsrecht darstelle. Die Mitgliedstaaten könnten von Unionsbürgern nicht verlangen, dass sie über ausreichende Mittel für einen Aufenthalt über drei Monate hinaus verfügen. Im Umkehrschluss sei es legitim während der ersten drei Monate dem Mitgliedstaat nicht die Kosten aufzuerlegen. Würde man Unionsbürgern innerhalb der ersten drei Monate ein Recht auf Sozialhilfe einräumen, bestünde die Gefahr eine Massenwanderung auszulösen, die eine unangemessene Inanspruchnahme der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit nach sich ziehen könnte. Ziel der Unionsbürgerrichtlinie sei aber die Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten. Für Unionsbürger, die aus einem anderen Mitgliedstaat zuwandern, um eine Beschäftigung zu suchen, gelte der Grundsatz der Gleichbehandlung daher nur für den Zugang zu Beschäftigung.

Sollte der Europäische Gerichthof es dem vorlegenden Landessozialgericht NRW überlassen, selbst eine Einstufung der Grundsicherungsleistung vorzunehmen und dieses zu dem Ergebnis kommen würde, dass die Grundsicherungsleistung im Wesentlichen dem Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern solle, sei ein pauschaler Ausschluss von Unionsbürgern ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 45 Abs. 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäische Union.

Jetzt muss der EuGH entscheiden, ob er dem Generalanwalt folgt oder die Arbeitsnehmerfreizügigkeit anders definiert.

Die Schlussanträge des Generalanwaltes finden Sie unter:
http://ekd.be/EuGH-Arbeitnehmerfreizuegigkeit



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