Diskussion um Deutschlands Verantwortung in der Welt

(Alessandra Haucke)

In der Tradition der vergangenen Jahre wurde auch das diesjährige Friedensgutachten im Rahmen einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Deutsche Verantwortung für eine europäische Friedensordnung - Zivil oder militärisch?“ am 25. Juni 2015 im Haus der EKD in Brüssel vorgestellt. Das Friedensgutachten wird jährlich in Zusammenarbeit der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), dem International Center for Conversion (BICC), der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) mit wechselnden thematischen Schwerpunkten erstellt.

Oberkirchenrätin Katrin Hatzinger hob in ihrer Begrüßung die zahlreichen Konflikte in der direkten und indirekten Nachbarschaft der EU hervor, die eine Neujustierung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik erforderlich machten. Deutschland müsse seine Rolle in dieser neuen Ordnung noch finden. Im Anschluss stellte Janet Kursawe, Mitherausgeberin des Friedensgutachtens vom Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen, in einigen Schlaglichtern die Hauptaussagen des Friedensgutachtens 2015 vor. Das Leitmotiv der deutschen und europäischen Friedenspolitik müsse die Prävention durch Demokratieförderung, zivile Krisenprävention und Entwicklungsarbeit sein. In der Umsetzung dieser Friedenspolitik sei es essentiell, auf die schlichte Übertragung westlicher Modellvorstellungen zu verzichten. Für langfristig stabile Verhältnisse müssten laut Friedensgutachten zum Beispiel im Rahmen der Demokratieförderung indigene Gegebenheiten in die Strategien mit einbezogen werden. Ein weiterer wichtiger Punkt sei eine veränderte Außen- und Handelspolitik, um die strukturellen Bedingungen im globalen Süden zu verbessern. Ebenso sei eine humane europäische Flüchtlingspolitik unerlässlich. Verantwortung benötige Glaubwürdigkeit. Mit Blick auf den Ukrainekonflikt müsse eine Strategie des Dialogs auf Augenhöhe mit Russland verfolgt und der Ukraine konditionierte Hilfe geleistet werden. Gleichzeitig müsste ein Bruch des Völkerrechts auch beim Namen genannt werden.

In der sich anschließenden Diskussion, moderiert von der freien Journalistin und Medientrainerin Monika Hoegen, wurden die unterschiedlichen Ansätze auf dem Weg zu einer „europäischen Friedensordnung“ der Diskutanten deutlich. Deutschlands Rolle geriet ein wenig in den Hintergrund. Dr. Wolfgang Zellner, Stellvertretender Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und Leiter des Zentrums für OSZE Forschung, propagierte als Autor des Friedensgutachtens vehement eine rein politische Lösung von Konflikten. Die Diskussionen um eine gemeinsame europäische Armee sowie militärisch orientierte Ansätze hielt er für kontraproduktiv. Lösungen seien lediglich durch Dialog, nicht durch beiderseitiges Aufrüsten zu erlangen.

Uwe Optenhögel, Leiter des Brüsseler Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung, der als Mitglied Task Force des Zentrums für Europäische Politikforschung (CEPS) unter Vorsitz von Javier Solana an einem Papier vom Februar 2015 zu dem Thema „More Union in European Defence“ mitgearbeitet hatte, betonte hingegen die Notwendigkeit einer Vergemeinschaftung der europäischen Verteidigungspolitik im Rahmen des Lissabon Vertrages, hin zu einer europäischen Verteidigungsunion. Das sei nicht als Aufruf zur Wiederaufrüstung zu verstehen. Die EU sei derzeit in der bedrohlichen Situation, von multiplen Krisenherden und „failed States“ (gescheiterten Staaten) in der mittel- und unmittelbaren Nachbarschaft umgeben zu sein. Von daher sei sie dazu aufgerufen, sich nicht ausschließlich auf Dritte zu verlassen, sondern aktiv eine europäische Verteidigungsstrategie mit einem ganzheitlichen Ansatz zu forcieren.

Michael Gahler, Mitglied des Europäischen Parlaments (CDU) und Sicherheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion, versicherte, dass er die meisten Hauptaussagen des Friedensgutachtens unterstütze. Dennoch seien die Kosten der fehlenden europäischen Zusammenarbeit in keinem Bereich so hoch wie in der Verteidigung, dies sei in Zeiten der Finanzkrise ein tragendes Argument für eine vertiefte Zusammenarbeit. Ähnlich wie Uwe Optenhögel bezeichnete auch Michael Gahler eine verstärkte verteidigungspolitische Zusammenarbeit als notwendige Konsequenz in der derzeitig krisengeplagten Lage. Die USA würden auf eine aktivere Rolle der EU pochen und auf die Unterstützung der NATO sei ebenfalls kein uneingeschränkter Verlass. Die EU müsse daher selbst verteidigungspolitisch aktiv werden. Auf Nachfrage bezeichnete er eine top-down Entscheidung als einzige Möglichkeit, in dieser Frage zu einer europäischen Einigung zu kommen.

Dr. Zellner sah diesen Punkt sehr skeptisch. Die EU befinde sich aktuell in einer Existenzkrise und sei nicht fähig, eine eigene Armee aufzubauen oder sicherheitspolitische Verantwortung zu übernehmen. Man solle keine Kraft auf´s Militärische verschwenden, sondern die Kraft eher in den Selbsterhalt stecken.

Viel Aufmerksamkeit erhielt auch die Frage nach Auswegen aus den Problemen der europäischen Flüchtlingspolitik. Als „Dilemma-Situation mit keiner sauberen Lösung“ bezeichnete Dr. Wolfgang Zellner die aktuelle Situation. Die Regierungen würden sich nicht solidarisch verhalten. Es bestehe die Gefahr einer strategischen Überdehnung der EU. Diese sollte ihre Kräfte schonen. Ähnlich pessimistisch äußerte sich Uwe Optenhögel. Mit erstarkenden Parteien und Figuren wie Marie Le Pen in Frankreich, komme die Demokratie an Ihre Grenzen und stehe mit ihrer Effizienz auf dem Prüfstand. Dennoch sei es wichtig, legale Wege nach Europa zu öffnen und eine faire Verteilung zu organisieren. Allerdings sah er die Gesamtlage weniger pessimistisch als Herr Dr. Zellner. Die EU sei ein globaler Player und könne sich nicht auf die USA verlassen. Eine eigene Verteidigungspolitik sei daher unumgänglich. Die EU sollte das eine tun und das andere nicht lassen. Politischen Lösungen sollte immer der Vorrang eingeräumt werden, an einer europäischen Verteidigungsunion müsse dennoch gearbeitet werden.

Das CEPS-Papier finden Sie unter:
http://ekd.be/CEPS-Bericht

Das Friedensgutachten finden Sie hier:
http://ekd.be/Friedensgutachten_2015



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