Im zweiten Anlauf: Europäisches Parlament stimmt Resolution zu TTIP zu

(Julia Maria Eichler)

Am 08. Juli 2015 hat das Europäische Parlament einer Entschließung zugestimmt, in der es Empfehlungen an die Kommission zu den Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen der Europäischen Union und den USA ausspricht (EKD-Europa-Informationen Nr. 148). Die Entschließung ist zwar rechtlich nicht bindend, allerdings muss das Europäische Parlament das Freihandelsabkommen mit den USA ratifizieren und zeigt in der Entschließung seine roten Linien auf.

Den Entwurf, der von dem Ausschussvorsitzenden, Bernd Lange (S&D), ausgearbeitet worden war, nahm der federführende Ausschuss für internationalen Handel (INTA) bereits am 28. Mai 2015 an. Aufgrund einer Kontroverse um das Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren (ISDS) verschob der Parlamentspräsident Martin Schulz sowohl die Abstimmung als auch die Plenardebatte. 

Die Resolution hebt die Bedeutung von Handel und Exporte für Beschäftigung und Wirtschaftswachstum hervor, betont aber auch, dass TTIP die Möglichkeit bietet, „Standards, Normen und Regeln festzulegen, die auf einer internationalen Ebene angenommen werden und auch für Drittländer von Vorteil wären“. Die derzeitigen Krisen in der Welt aber auch in unmittelbarer europäischer Nachbarschaft zeigten, dass „in eine internationale Ordnungspolitik und die Schaffung eines auf Regeln und Werten beruhenden Systems investiert werden muss“. Eine ambitionierte und starke TTIP dürfe nicht nur Handelshemmnisse abbauen, sondern müsse Sozial- und Ökodumping verhindern und zu einem hohen Maß an Verbraucherschutz beitragen. Die EU-Normen zu Lebensmittelsicherheit, Ge-sundheit, Sozialwesen, Umwelt, Datenschutz und kultureller Vielfalt dürften nicht aufgegeben werden.

Wenn es nach dem Parlament geht, sollte TTIP ferner genutzt werden, um kleinen und mittleren Unternehmen neue Chancen zu ermöglichen und Belastungen zu reduzieren. Im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe bedürfe es offener, diskriminierungsfreier und berechenbarer Verfahrensvorschriften, die einen gleichberechtigten Zugang des Vertragspartners ermöglichen würden. Ebenso soll die Visaerteilung für europäische Anbieter erleichtert werden.

Im Dienstleistungsbereich soll ein „Hybridlisten-Ansatz“ zur Anwendung kommen. Für den Marktzugang soll dabei eine Positivliste Verwendung finden, auf der alle auch ausländischen Unternehmen offenstehenden Dienstleistungen erfasst werden. Dabei erfolgt eine ausdrückliche Einigung über alle Dienstleistungen die liberalisiert werden sollen. Alle nicht auf der Positivliste genannten Bereiche wären dann automatisch ausgenommen, während eine Negativliste bei der Inländerbehandlung Anwendung finden soll. Konträr zur Positivliste sind bei einer Negativliste grundsätzlich alle Dienstleistungsbereiche erfasst, mit Ausnahme derjenigen, die ausdrücklich in der Liste Eingang gefunden haben. Hinzu kommt die Forderung, dass die öffentliche Daseinsvorsorge vom TTIP-Anwendungsbereich ausgeklammert werden sowie den nationalen und lokalen Behörden das uneingeschränkte Recht gewährt wird, Maßnahmen im Zusammenhang mit der Inauftraggabe, Organisation, Finanzierung und Erbringung öffentlicher Dienstleistungen einzuführen, beizubehalten oder aufzuheben, unabhängig davon, wie die Dienstleistung erbracht und finanziert wird.

Deutlich wird die Ausnahme des künftigen EU-Rechtsrahmens zum Schutz personenbezogener Daten aus dem Abkommen gefordert. Das Parlament fordert außerdem nicht nur die Einhaltung der Datenschutzvorschriften auf beiden Seiten des Atlantiks, sondern droht auch mit der Ablehnung des Abkommens, wenn die „pauschale Massenüberwachung durch die USA nicht vollumfänglich eingestellt wird und in Bezug auf die Wahrung der Datenschutzrechte der EU-Bürger keine angemessene Lösung“ gefunden werde.

Außerdem pocht das Parlament auf einer ausdrücklichen Klarstellung, dass die finanzielle Förderung von Kulturwirtschaft und Dienstleistungen im Bereich Kultur und Bildung ebenso wie die Buchpreisbindung nicht durch das Abkommen beeinträchtigt werden.

Im Rahmen der Zusammenarbeit in Regulierungsfragen sei sicherzustellen, dass die Voraussetzungen für ein transparentes, effektives, wettbewerbsfreundliches Wirtschaftsumfeld geschaffen werden. Dies könne allerdings nur im Einklang mit dem europäischen Vorsorgeprinzip sowie der verbraucher-, arbeits-, umwelt- und tierschutzrechtlichen Vorschriften und im Sinne der kulturellen Vielfalt der EU, unter uneingeschränkter Achtung der Autonomie in Regelungsfragen und mit größtmöglicher Transparenz erfolgen.

Die bestehenden Regulierungssysteme und Beschlussfassungsverfahren müssten uneingeschränkt geachtet werden, der Rechtssetzungsprozess der EU nicht verzögert und das Recht der nationalen, regionalen und lokalen Behörden, für die eigenen politischen Maßnahmen selbst Vorschriften zu erlassen, vollständig gewahrt bleiben. Es sei anzuerkennen, dass aufgrund der sehr unterschiedlichen Regelungen in Bereichen wie der öffentlichen Gesundheitsdienste, genveränderten Organismen, der Chemikalienverordnung REACH sowie beim Klonen von Tieren zu landwirtschaftlichen Zwecken keine Einigung erzielt werden könne.

Das geplante Kapitel über nachhaltige Entwicklung solle nach Willen des Parlaments verbindlich und, ebenso wie Arbeits- und Umweltnormen, durchsetzbar sein. Darüber hinaus bedürfe es bezüglich der Auswirkungen der TTIP auf Wirtschaft, Beschäftigung, Gesellschaft und Umwelt einer exante-Nachhaltigkeitsprüfung.

Das Parlament fordert zudem ein eigenes Kapitel über Energie und die Förderung umweltverträglicher Waren und Dienstleistungen. TTIP solle als Forum für die Entwicklung gemeinsamer, ehrgeiziger und verbindlicher Nachhaltigkeitsstandards für Energieerzeugung und Energieeffizienz dienen. Gleichzeitig sollen Möglichkeiten zur Erleichterung von Erdgas- und Erdölausfuhren sondiert werden.

Es müsse sichergestellt werden, dass TTIP, auch als Ausgangspunkt für weitere Handelsabkommen, nicht dem WTO-Prozess zuwiderlaufe. Die Handelspolitik der EU sei ein fester Bestandteil des gesamten auswärtigen Handelns der Union. Deshalb müsste deren Chancen und Risiken Rechnung getragen werden. Als Risiken werden etwaige Umlenkungen der Handelsströme von den Entwicklungsländern durch Aushöhlung der Zollpräferenzen genannt. Die EU-Grundrechtsnormen müssten uneingeschränkt geachtet werden. Positiv hervorzuheben ist, das Parlament eine rechtsverbindliche, an die Achtung der Menschenrechte geknüpfte Aussetzungsklausel (Menschenrechtsklausel) in alle EU-Handelsabkommen aufnehmen möchte.

Die Mehrheit des Parlaments fordert darüber hinaus auch ein umfassendes Kapitel über Investitionen. Diese sollen sich auf die Zeit nach der Niederlassung beschränken und sich auf die Inländerbehandlung, Meistbegünstigung, faire und gerechte Behandlung und den Schutz vor direkter und indirekter Enteignung fokussieren. Nach heftiger Diskussion fand sich im Parlament eine Mehrheit dafür, dass „das ISDS-Verfahren durch ein neues Verfahren für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staaten zu ersetzen, das den demokratischen Grundsätzen entspricht und der demokratischen Kontrolle unterliegt“. Vorgesehen sind öffentliche Verfahren, öffentlich bestellte, unabhängige Berufsrichter und Berufungsinstanzen. Daneben ist vorgesehen, dass ausländische Investoren nicht über größere Rechte als inländische Investoren verfügen dürfen.      

Das Parlament fordert die Kommission dazu auf, den inzwischen beschrittenen Weg für mehr Transparenz fortzuführen. Hierfür sollen einerseits mehr Verhandlungsdokumente öffentlich gemacht werden und gleichzeitig eine engere Einbindung der Zivilgesellschaft, der Mitgliedstaaten und der Parlamente erfolgen.

Die Resolution des Parlaments enthält viele wichtige Empfehlungen an die Kommission. Da das Europäische Parlament dem Abkommen am Ende zustimmen muss, ist auch davon auszugehen, dass die Europäische Kommission sich dieser annimmt. 

Gerade in Bereichen des Datenschutzes und der Kultur hat das Parlament deutliche Positionen gefunden. Enttäuschend bleibt die Resolution im Hinblick auf die möglichen Auswirkungen des Freihandelsabkommens auf Schwellen- und Entwicklungsländer. Forderungen nach einem stärkeren Dialog und Mitbestimmungsmöglichkeiten für Schwellen- und Entwicklungsländer sowie nach Unterstützung für die betroffenen Länder bei der Umstellung auf/Anpassung an neue Standards, wie es z. B. vom EKD-Büro im Vorfeld gefordert worden war, stellt das Parlament nicht auf. Die Aufnahme einer Menschenrechtsklausel ist allerdings ein wichtiger Schritt, der auch vom Brüsseler Büro gefordert worden war.

ISDS war bisher einer der Hauptstreitpunkte im Parlament und wird es auch zukünftig bleiben. Die gefundene Kompromissformulierung stützt das von der Kommission vorgelegte Konzept eines reformierten Streitbeilegungsmechanismus, hält jedoch im Grundsatz an ISDA fest. Hinter dem u. a. von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel geforderten permanenten öffentlichen Investitionsgericht bleibt die Formulierung zurück.

Die Kommission ist derweilen erneut in Erklärungsnöten. Nachdem die Webseite Correctiv.org die Berichte über die Verhandlungsrunden Nr. 5-9 geleakt hatte, beschloss die Kommission, den vertraulichen Bericht über die zehnte Verhandlungsrunde nicht mehr an die Regierungen der Mitgliedstaaten zu schicken. Vielmehr sollte der Bericht nun in einem Lesesaal in Brüssel zur Verfügung stehen. Dies sei notwendig geworden, da der Bericht „auch taktische Überlegungen und unsere interne Bewertungen von US-Positionen“ enthalte, so Richard Kühnel, Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland. Die Kommission befürchtete, dass durch diese „Leaks“ ihre Verhandlungsposition geschwächt werde.

Die erst im Januar gestartete Transparenzoffensive der Kommission schien damit ein jähes Ende gefunden zu haben. Inzwischen stellte allerdings die Handelskommissarin Cecilia Malmström klar, dass diese Entscheidung nur den 10. Bericht erfasst habe und vorübergehend gewesen sei. Zukünftig plant die Kommission, umfassende und detaillierte Berichte über die Verhandlungen zu veröffentlichen.

Die Resolution des Europäischen Parlaments finden Sie unter:
http://ekd.be/TTIP-Verhandlung_072015



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