Für Schutz und Chancen – Expertendiskussion

(Sebastian Schwab)

Zusammen mit der Diakonie Deutschland und der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (CCME) hat das EKD-Büro Brüssel am 30. November 2015 dazu eingeladen, über die Bedeutung von dauerhaften Neuansiedlungen von Flüchtlingen (Resettlement) bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise zu diskutieren. ´

Prälat Martin Dutzmann, der Bevollmächtigte des Rates der EKD, betonte zunächst, dass Resettlement neben der lokalen Integration von Flüchtlingen, die bereits vor Ort seien, und der Rückkehr ins Herkunftsland eine weitere Möglichkeit biete, Flüchtlingen wieder ein normales Leben zu ermöglichen. Beim Resettlement nehme ein Drittstaaten Flüchtlinge auf, die in einem anderen Staat Schutz gesucht haben. Der Drittstaat verleihe den Flüchtlingen einen permanenten Aufenthaltsstatus, der sie vor Abschiebung schütze und den Flüchtlingen und ihren Familien ähnliche Rechte wie Staatsangehörigen zugestehe. Eine entscheidende Rolle komme hierbei dem Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) zu, der Personen, die für das Resettlement infrage kommen (z.B. wegen besonderer Schutzbedürftigkeit) identifiziere. Ein Engagement als Aufnahmeland sei ein Zeichen der Solidarität mit den Erstaufnahmestaaten und stehe für gerechte Lastenverteilung. Prälat Dutzmann forderte darum die Mitgliedsstaaten angesichts des Bürgerkriegs in Syrien dazu auf, mehr Einsatz zu zeigen und mehr Plätze anzubieten.

Die Rolle der europäischen Kirchen sei bei der Steigerung der Erfolgsaussichten von Resettlement nicht zu unterschätzen. Sie könnten mit ihrem Erfahrungsschatz bei der Integration von Menschen die Regierungen tatkräftig unterstützen. In den Erstaufnahmestaaten sei die Zivilgesellschaft zudem wichtig, um das Augenmerk des UNHCR auf besonders sensible Gruppen zu lenken, die eine dauerhafte Neuansiedlung benötigen. Wo noch kein Resettlement stattfände, seien Zivilgesellschaft und Kirchen als engagierte Fürsprecher vonnöten.

Auch Ungarn gehörte bis vor wenigen Jahren zu den Staaten, die sich nicht an Resettlement-Programmen beteiligten. Dóra Kanizsai-Nagy, Leiterin des Flüchtlingsdienstes der Reformierten Kirche in Ungarn berichtete, wie sie sich seit 2006 immer wieder stark gemacht habe für ein Resettlement- Engagement Ungarns. Seit 2012 stünden nun jährlich 20 Resettlement-Plätze zur Verfügung. Das sei angesichts der steigenden Zahlen natürlich viel zu wenig. Aber bereits diese kleine Anzahl fordere ihre Kirche stark. Denn die staatliche Infrastruktur sei vielerorts nur unzureichend ausgeprägt. Es gebe hier häufig unglaubliche Wissenslücken bei den Behörden. Doch zusammen mit Nichtregierungsorganisationen und lokalen Akteuren leiste man viel, um den Flüchtlingen ein gutes Willkommen zu bereiten. So habe man für Wohnungen sorgen können, ein Netzwerk zur Integration in den Arbeitsmarkt aufgebaut und Möglichkeiten zum Austausch untereinander geschaffen. Während eine niedrige Anzahl von Flüchtlingen die Wohnungs- und Arbeitssuche begünstige, ginge mit einer höheren Flüchtlingsanzahl auch eine bessere soziale Vernetzung untereinander einher, die zum Ankommen im neuen Land von entscheidender Wichtigkeit sei. Gleichwohl zögere die ungarische Regierung, mehr Plätze zu schaffen. Es bestehe die Befürchtung, dass sich ein geleisteter Aufwand nicht lohne, wenn die Ankömmlinge nicht in Ungarn blieben, sondern in wohlhabendere Länder Europas weiterzögen. Diese Gefahr sinke jedoch auch, wenn die Bevölkerung gastfreundlicher werde. Kirchen und Nichtregierungsorganisationen müssten hier noch viel Aufklärungsarbeit leisten.

Vom Resettlement irakischer Flüchtlinge in Deutschland berichtete Dr. Ursula Schoen, Prodekanin des Evangelischen Stadtdekanats Frankfurt. Im Gebiet ihrer Landeskirche seien ab 2009 ca. 250 Iraker angesiedelt worden. Die Iraker, die zuvor im Libanon, der Türkei und in Jordanien Zuflucht gefunden hatten, konnten sofort in den Integrationsprozess eingebunden werden, da sie bereits im Besitz eines Aufenthaltstitels gewesen wären. Das sei ein großer Vorteil von Resettlement gegenüber anderen Formen der Aufnahme. Frau Schoen plädierte zudem für die Ansiedlung in Gruppen von 20 bis 50 Personen in einem räumlichen Zusammenhang. Das habe sich bewährt, könnten doch so die Neuankömmlinge in ihrer Muttersprache Ängste und Probleme teilen sowie ihre Kultur pflegen. Auch Frau Schoen sah wie Frau Kaniszai-Nagy lokale Akteure als elementar für den Aufbau einer Willkommenskultur an. Die Gemeinden und Gemeinschaften seien oft der erste Platz im Asylverfahren, an dem sich die Flüchtlinge nicht als Objekte, sondern als Subjekte fühlten. Aber auch in Deutschland habe man Fehler gemacht. Es seien Familien willkürlich in Deutschland getrennt worden oder Flüchtlinge mussten ihre Familie in der Heimatregion zurücklassen. Die Familie sei aber Voraussetzung zu erfolgreicher Integration und dauerhaftem Aufenthalt, so Dr. Schoen. Ein bleibendes Problem sei die Integration in den Arbeitsmarkt. Qualifikationen würden zu langsam und umständlich anerkannt. Zivilgesellschaft und Unternehmen würden nunmehr zunehmend Druck auf den Staat aufbauen, um diese Prozesse zu straffen. Gleichwohl müssten die Kirchen immer wieder ins Bewusstsein rufen, dass Resettlement keine wirtschaftliche Frage sei, sondern der Schutz von besonders schutzbedürftigen Personengruppen im Mittelpunkt stehe. Die Kirchen seien zudem als Schutzraum für Begegnungen gefragt: Dort könnten Flüchtlinge und Einheimische ohne zusätzliche Hürden miteinander ins Gespräch kommen und sich gegenseitig kennenlernen. Dieser persönliche Kontakt bewahre davor, sich einfach überwältigt zu fühlen von der hohen Anzahl an flüchtenden Menschen.

Als Vertreter der Europäischen Kommission nahm Matthias Ruete, Generaldirektor der Generaldirektion für Migration in der EU-Kommission an der Diskussion teil. Er begrüßte den Einsatz der Kirchen beim Resettlement. Das größte Ziel der Kommission stelle die Schaffung eines langfristigen Plans zum Resettlement dar, um legale Wege nach Europa zu eröffnen und so Menschen vom gefährlichen Weg über das Mittelmeer abzuhalten. Wenn dieser Rahmen existiere, könnten auch große Flüchtlingsströme bewältigt werden. Man werde auch hier wieder über eine Quotenregelung reden. Dennoch setze die Kommission weiterhin auf die Freiwilligkeit der Mitgliedsstaaten. Bisher unwilligen Staaten mit Kürzungen z.B. bei Fördermitteln zu drohen, werde die institutionelle Krise, in der sich die EU derzeit befinde, nicht lösen, sondern die Fronten nur verhärten. Konstante Überzeugungsarbeit werde am fruchtbringendsten sein. Insbesondere in Osteuropa hätten die Kirchen großartig dabei geholfen, wenigstens eine geringe Aufnahmebereitschaft zu erzeugen. Dennoch dürfe man sich keine Illusionen machen, dass auch die dortigen Regierungen wiedergewählt werden wollten und angesichts des Aufstiegs populistischer Parteien viele Regierungen nur zögerlich gegen Ressentiments in der eigenen Bevölkerung vorgingen.

Diakoniepräsident Ulrich Lilie, der das Schlusswort sprach, sah im Resettlement einen der besten Wege, um Flüchtlingen Schutz zu gewähren. Beide Seiten – die Flüchtlinge und die Aufnahmestaaten – würden sich freiwillig auf diesen Prozess einigen. So könne Resettlement Leben und Würde vieler Menschen schützen. Deshalb werde man noch stärker für Resettlement eintreten. Diese Werbung sei insbesondere in Ländern nötig, die sich bislang nicht als traditionelle Einwanderungsländer verstanden hätten, so Lilie. Die Diakonie gemeinsam mit der CCME fordere schon länger 20.000 Neuansiedlungsplätze jährlich. Er sei überzeugt: „ We can deal with it when we do it“.



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