Mission impossible? - Oder wie die Briten lernen sollen, die EU zu lieben

(OKR'in Katrin Hatzinger)

Das Verhältnis des Vereinigten Königreichs zur Europäischen Union war nie herzlich, sondern eher von praktischen Erwägungen geprägt. Als Inselvolk hat man mit der „splendid isolation“ des 19. Jahrhunderts durchaus gute Erfahrungen gemacht und steht der Idee, die eigene Souveränität in internationalen Bündnissen aufgehen zu lassen, traditionell eher skeptisch gegenüber. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sich die Briten im Verlauf des europäischen Integrationsprozesses stärkeren Harmonisierungsschritten immer wieder widersetzt und Sonderregeln ausbedungen haben. Deshalb sind sie zum Beispiel weder Mitglied der Eurozone noch des Schengenraums. Dabei verbinden sie mit der Europäischen Union durchaus auch Vorteile und sind insbesondere Anhänger des gemeinsamen Binnenmarkts, für sie das Herzstück des europäischen Projekts.

Pathetische Bekenntnisse zu einer europäischen Wertegemeinschaft liegen den Briten allerdings weniger. Der Blick auf die EU ist eher nüchtern und sachlich. So beschrieb es auch Großbritanniens Premierminister David Cameron in seiner Rede vom 23. Januar 2013, in der er mit der Ankündigung eines britischen Referendums über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU aufwartete, sollten die Tories die Unterhauswahlen 2015 gewinnen.

„Für uns ist die Europäische Union Mittel zum Zweck - Wohlstand, Stabilität, ein Anker für Freiheit und Demokratie, sowohl innerhalb Europas als auch darüber hinaus. Aber kein Zweck an sich.“ Er wolle daher einen „better deal for Britain“ erreichen, kündigte Cameron damals vollmundig an. Dieser Deal sollte auf fünf Prinzipien beruhen: die Vollendung des Binnenmarktes, mehr Flexibilität statt eines "immer engeren Zusammenschlusses der europäischen Völker"(wie es in der Präambel des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union heißt), eine Rückübertragung von Kompetenzen an die Mitgliedstaaten, Stärkung demokratischer Legitimation durch eine stärkere Rolle der nationalen Parlamente und Fairness für die Nicht- Mitglieder der Euro-Zone. Um diese Reformen im Sinne Großbritanniens zu erreichen, seien auch Änderungen der europäischen Verträge („new treaty“) nicht ausgeschlossen. Die britischen Konservativen haben die Wahlen im Mai dieses Jahres für sich entschieden und errangen die absolute Mehrheit, die allerdings nur fünf Stimmen ausmacht. Nun müssen also den Ankündigungen Taten folgen.

Als hätte die EU mit dem Streit um die Verteilung der großen Anzahl an Flüchtlingen, dem hoch verschuldetem Griechenland, der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit und der Bedrohung durch islamistischen Terrorismus nicht genügend Probleme, steht nun also noch der sog. „Brexit“ (der Austritt Großbritanniens aus der EU) als Szenario im Raum.

Der amtierende Präsident des Europäischen Rates, der Pole Donald Tusk, stellte bereits im März 2015 fest, dass sich David Cameron auf einer „mission impossible“ befinde, sollte er seinen „new deal for Britain“ über Änderungen der europäischen Verträge erreichen wollen. Solche Vertragsänderungen könnten nur einstimmig erfolgen und er sehe unter den übrigen 27 Mitgliedstaaten keinen generellen Rückhalt für die britischen Forderungen. Zunächst reiste David Cameron im Herbst durch Europas Hauptstädte und lotete bei seinen Amtskollegen die Chancen für Unterstützung des britischen Weges aus. In Polen und Frankreich erfuhr er eher Ablehnung, Zustimmung kam aus den Niederlanden, das mit Großbritannien enge Wirtschaftsbeziehungen unterhält. Auch durch ein Treffen mit Bundeskanzlerin Merkel im September in Berlin zeigte sich der britische Premier „ermutigt“. Bei Möglichkeiten, gegen den Missbrauch von Sozialleistungen durch EU-Bürger vorzugehen, gebe es Einigkeit, stellte die Kanzlerin nach der Begegnung fest. Sie brachte zudem grundsätzliches Verständnis für die Reformwünsche der Briten zum Ausdruck und schloss auch Vertragsänderungen nicht aus, um die Briten in der EU zu halten.

Mit einem Schreiben an Präsident Tusk vom 11. November 2015 wurde David Cameron dann hinsichtlich seines Wunschzettels ein wenig deutlicher. Von einer klaren Konkretisierung der britischen Forderungen kann aber weiterhin keine Rede sein. Bei der Vorstellung seiner Reformziele in London wurde er hingegen nicht müde zu betonen, dass die von ihm geforderten „substantiellen Veränderungen“ keine „mission impossible“ seien.

Doch was will Downing Street eigentlich genau?

Kurz gefasst geht es um mehr Flexibilität. Hinsichtlich der europäischen Wirtschaftsregierung (economic governance) pocht Großbritannien darauf, dass Nicht-Eurostaaten von den Euromitgliedern nicht als Staaten zweiter Klasse behandelt und entsprechend in Entscheidungsprozesse einbezogen werden müssten. In Sachen Wettbewerbsfähigkeit verlangt Cameron mehr Binnenmarkt, Freihandel und Waren-, Kapital- und Dienstleistungsfreiheit, um Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen. Ein dritter Diskussionspunkt ist die Souveränität. Vor allem wolle er, Cameron, die Verpflichtung Großbritanniens beenden, auf einen „immer engeren Zusammenschluss“ hinzuarbeiten und dies sollte „formal, rechtlich bindend und irreversibel“ festgehalten werden. Er wolle ferner die Rolle der nationalen Parlamente stärken, indem sie durch neue Regeln befähigt werden sollen, gemeinsame unliebsame Gesetzesvorschläge aus Brüssel stoppen zu können. Das Bekenntnis der EU zum Subsidiaritätsgrundsatz solle vollständig umgesetzt werden, in Sinne von „Europa, wo nötig, national, wo möglich“. Er erwarte eine Bestätigung der EU, dass das Opt-Out der Briten von der gemeinsamen Innenpolitik vollständig respektiert würde. In Fragen der nationalen Sicherheit sollten weiterhin allein die Nationalstaaten zuständig sein.

Der große Zuzug von Unionsbürgern nach Großbritannien müsse begrenzt werden. Personenfreizügigkeit dürfe künftig für die Bürger von neuen EU-Mitgliedstaaten erst dann gelten, wenn „deren Wirtschaftslage viel enger mit denen der alten Mitgliedstaaten konvergent sei“. Auch der Missbrauch der Freizügigkeit müsse gestoppt werden. Dies beinhalte Wiedereinreiseverbote für Betrüger und Menschen, die Scheinehen eingingen. Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Personenfreizügigkeit müsse angegangen werden, da sie es erschwert hätte, Missbrauch zu bekämpfen.

Die mit Spannung erwartete Rede des britischen< Premiers bracht also letztlich wenig Neues und verdeutliche in ihrer Unbestimmtheit die Schwierigkeit Camerons, sich nicht zu sehr festzulegen, um möglichst hinterher als Sieger vom Platz zu gehen. So ließ dann die Kritik der Europaskeptiker nicht lange auf sich warten. „David Cameron hat uns eine fundamentale Neuausrichtung unserer Beziehung zur EU versprochen, das aber bedeutet Vertragsänderung, ein Ende der Vormacht Brüssels, eine Rückübertragung der Kontrolle an unser Parlament in London. Sollte er das nicht schaffen, dann handelt es sich bei den Gesprächen nicht um echte Neuverhandlungen, wie er sie uns versprochen hat“, kommentierte Robert Oxley von der euroskeptischen Organisation „Business for Britain“.

Welche Folgen hätte ein Austritt?

Sollten die Briten 2016 oder 2017 beim EU-Referendum für den Austritt aus der EU stimmen, könnte es Expertenmeinungen zufolge mindestens zehn Jahre dauern, bis die Trennung vollständig vollzogen ist. Unklar ist, welche Form die künftigen Beziehungen annehmen würde. Ein Austritt würde allen Prognosen zufolge v.a. für die britische Wirtschaft negative Folgen haben. Der britische Industrieverband CBI hat vorgerechnet, dass jährlich vier bis fünf Prozent der britischen Wirtschaftsleistung allein auf die Mitgliedschaft in der EU zurückzuführen seien. Aber auch die EU selbst hat durchaus ein vitales Interesse daran, die Briten im Club zu halten. Sollten die Briten austreten, würden Staaten wie die Niederlande, Irland und Zypern darunter leiden, die in engen Handels-, Investment-, und Finanzbeziehungen zu den Briten stehen. Auch eine Fragmentierung des europäischen Finanzsektors, den die City of London heute weiterhin dominiert, steht zu befürchten. Schließlich hätte der Austritt auch politische Folgen, nicht zuletzt für Deutschland, dem ein wichtiger Bündnispartner fehlen würde. Eine Machtverschiebung wäre die Folge. Schließlich würde der Austritt die EU-Mitgliedschaft für< die verbleibenden Staaten teurer machen, denn der< Beitrag des britischen Nettozahlers zum EU-Haushalt müsste kompensiert werden. Letztlich würde< der europäische Zusammenhalt bröckeln und die EU somit weiter geschwächt werden.

Inwieweit kann die EU den britischen Forderungen entgegenkommen?

Am einfachsten dürfte es sein, den Briten durch eine entsprechende Klausel einen eleganten Ausstieg aus der Verpflichtung für einen „immer engeren< Zusammenhalt“ zu ermöglichen. Den nationalen Parlamenten wurde mit dem Vertrag von Lissabon das Recht einer Subsidiaritätsprüfung (Art. 5 Abs. 3 EUV) bzw. Subsidiaritätsklage eingeräumt. Es erscheint fraglich, ob man in diesem Bereich noch weitere substantielle Änderungen vornehmen kann, ohne die Verträge zu ändern, um den Briten entgegenzukommen. Schwierig wird es bei der Begrenzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Nach europäischem Recht ist es eine Diskriminierung von Arbeitnehmern aus EU-Ländern gegenüber den eigenen Staatsangehörigen nicht zulässig (Art. 18 AEUV). Hier wird sicher noch verhandelt werden müssen. Allerdings hat die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (siehe nachstehende Artikel) zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Möglichkeiten, für arbeitsuchende EU-Bürger im EUAusland Sozialleistungen zu erhalten, bereits eingeschränkt.

Paul Taylor von der Nachrichtenagentur Reuters sagte bei einem Briefing des Brüsseler Think Tanks (European Policy Center) im Oktober 2015, was die Briten am meisten bräuchten, um in der EU zu bleiben, wären letztlich „lots of love“. Vielleicht würden sie dann im Gegenzug auch lernen, die EU zu lieben. Zwar wäre die Weihnachtszeit für eine derartige Charmeoffensive geeignet, doch es wird immer unwahrscheinlicher, dass es noch auf dem Europäischen Rat am 17. Dezember 2015 gelingen wird, den Rahmen für eine abschließende Diskussion der britischen Vorschläge herzustellen. Dafür ist der Forderungskatalog zu komplex. Vielleicht werden Teilbereiche herausgelöst, aller Voraussicht nach wird die entscheidene Debatte jedoch auf das Treffen der Staats- und Regierungschefs im Februar 2016 verschoben werden.



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