Steigerung menschlicher Kapazitäten durch technische Mittel (Human Enhancement) - Fluch oder Segen?

(Dr. Anna Donata Quaas)

Bericht einer Fachtagung

Vom 25. bis 27. April 2012 hatte die Kommission Kirche und Gesellschaft der KEK (Konferenz Europäischer Kirchen) zu einer Tagung zum Thema "Human Enhancement: Moral, Religious and Ethical Aspects from a European Perspective" eingeladen. Beim "human enhancement", der Steigerung menschlicher Kapazitäten durch technische Mittel, handelt es sich um ein derzeit kontrovers diskutiertes Thema: Zwar haben Menschen von jeher versucht, in natürliche Prozesse einzugreifen und ihre Möglichkeiten zu erweitern, sei es durch den Einsatz von Heilmitteln zur Behandlung von Krankheiten, sei es durch die Entwicklung von technischen Hilfsmitteln. Neu sind jedoch chemische Produkte, welche die sportliche Leistungsfähigkeit erhöhen, kognitive Fähigkeiten steigern oder einen Menschen psychisch verändern. In den Körper eingepflanzte Implantate, beispielsweise Computerchips im Gehirn, sollen Fähigkeiten stimulieren, über die der Mensch gewöhnlich nicht (mehr) verfügt. Modifikationen an menschlichen Zellen und Genen werden vorgenommen, um Behinderungen zu beseitigen oder menschliche Möglichkeiten zu verbessern.
Diese neuen Entwicklungen provozieren eine Reihe von Fragen: Welche Auswirkungen haben sie im Blick auf den ganzen Menschen in seiner Einheit von Körper, Geist und Seele? Welche Folgen hat "human enhancement" für das Menschenbild? Wie verändert sich eine Gesellschaft angesichts dieser technischen Neuerungen? Welche Auswirkungen haben sie auf das Bild von Gott als Schöpfer? Wie werden zukünftig finanzielle Ressourcen verteilt: Werden Mittel, die zur Förderung von Biotechnologie eingesetzt werden, in anderen Bereichen des Gesundheitssektors fehlen?

Im Laufe der letzten Jahre hat sich die Kommission Kirche und Gesellschaft mehrfach mit dem Thema befasst: Im Jahre 2003 gab es bereits eine ökumenische Konsultation zum Thema Bioethik, 2009 wurde ein Diskussionspapier zum Thema "human enhancement" vorgelegt. Die Tagung konnte daher auf vorangegangene Diskussionsprozesse aufbauen.
Etwa 50 Repräsentanten europäischer Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie Vertreter aus Wissenschaft und Politik aus 18 verschiedenen Ländern nahmen an der Konferenz teil.

Einige Referate sollen im Folgenden skizziert werden: Cees Dekker, Professor am Institut für Nanowissenschaften der Technischen Universität Delft, gab eine Einführung in seinen Fachbereich. Auf Schlagzeilen wie "Playing God?", die im Zusammenhang mit seiner Forschung für Furore sorgten, reagiert der - sich explizit als Christ ausweisende Wissenschaftler - mit einer Unterscheidung: "Playing God" könne einerseits als menschliche Hybris verstanden werden. Mit dem Gebot, die Schöpfung zu bewahren, sei den Menschen jedoch auch ein "cultural assignment", also ein die Welt gestaltender Auftrag, übertragen worden. In diesem ethischen Dilemma bewege sich die Biotechnologie.

Roland Kipke, wissenschaftlicher Koordinator des Internationalen Zentrums für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) an der Universität Tübingen, ging es in seinem Beitrag um eine Differenzierung zwischen dem allgemein menschlichen Streben nach Verbesserung (etwa im Blick auf Leistungsfähigkeit, charakterliche Eigenschaften und Gesundheit) und der künstlich herbeigeführten Veränderung menschlicher Kapazitäten durch pharmakologisches Neuro-Enhancement. Während ersteres ein aktives Arbeiten an der eigenen Persönlichkeit einschlösse, spiele bei letzterem die eigene Anstrengung und Selbstreflexion keine wesentliche Rolle. An die graduelle Veränderung über einen längeren Zeitraum trete der rasche Wandel. Auch wenn Neuro-Enhancement grundsätzlich moralisch nicht verwerflich sei, entfalle dadurch die Arbeit an der eigenen Persönlichkeitsentwicklung - ein wichtiges menschliches Gut.
Im Zentrum der Konferenz stand der Austausch mit der STOA (Scientific and Technological Options Assessment), einer Abteilung im Europäischen Parlament zur Folgenabschätzung  wissenschaftlicher und technologischer Optionen. Nach Einführungsvorträgen zu neuen Entwicklungen in Nano-, Bio- und Informationstechnologie sowie den Kognitionswissenschaften wurde das Thema aus christlicher, jüdischer und muslimischer Perspektive beleuchtet und anschließend durch ein Expertenpodium und die Konferenzteilnehmer diskutiert.

Am Schluss der Konferenz stand ein zusammenfassender Vortrag des Systematischen Theologen und Ethikers Professor Peter Dabrock (Universität Erlangen): Darin rief er dazu auf, das Thema "human enhancement" nüchtern zu betrachten. Bei transhumanistischen Ideen handele es sich nach wie vor um Utopien. Hinter der Debatte um "human enhancement" erkennt er vielmehr eine soziale Krise, auf die Kirchen dringend zu reagieren hätten.
Die Konferenz bot eine Fülle von Beiträgen und Perspektiven auf das Thema, die auf der Internetseite der Kommission Kirche und Gesellschaft der KEK (siehe unten) nachzulesen sind. Dort sind auch die bisher erschienenen Beiträge der Kommission Kirche und Gesellschaft der KEK und ihrer Mitgliedskirchen zum Thema Bioethik und -technologie aufgeführt.



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