Die vermeintliche Privatisierung der Wasserversorgung

(Joachim Clauß)

Im Frühjahr 2013 beherrschten Schlagzeilen, Brüssel plane eine Privatisierung der Wasserversorgung die deutsche Medienlandschaft. Grundlage der Berichte war der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über die Konzessionsvergabe vom 20. Dezember 2011. Durch die Vergabe von Konzessionen durch einen öffentlichen Auftraggeber wird ein privates Unternehmen verpflichtet, eine bestimmte öffentliche Aufgabe wahrzunehmen. Es erhält zudem das Recht der kommerziellen Verwertung dieser Konzession und wird nicht direkt vom öffentlichen Auftraggeber vergütet, sondern stellt dem Kunden die Leistung in Rechnung.

Die Vergabe von Baukonzessionen unterliegt derzeit nur einigen wenigen Sekundärrechtsbestimmungen und für Dienstleistungskonzessionen gelten bislang allein die allgemeinen Grundsätze des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), nämlich v. a. Gleichbehandlung, Diskriminierungsfreiheit, Transparenz und Verhältnismäßigkeit. Diese Regelungslücke hat nach Auffassung der EU-Kommission schwerwiegende Verzerrungen des Binnenmarkts zur Folge, werden diese Grundsätze doch nicht immer eingehalten. Dies liegt unter anderem auch an den unterschiedlichen nationalen Regelungen. Mit ihrem Vorschlag will die Kommission deshalb die Unsicherheiten bei der Vergabe von Konzessionen im Interesse der Auftraggeber und Wirtschaftsteilnehmer verringern. Die Vergabe von Dienstleistungen soll in einer eigenen Richtlinie geregelt werden, um Vorschriften zu vereinfachen, mehr Transparenz und einen klaren Rechtsrahmen zu schaffen. Damit soll auch die Gleichbehandlung und die Rechtssicherheit aller Wirtschaftsteilnehmer sichergestellt werden. In der Öffentlichkeit, insbesondere durch die deutschen Stadtwerke und die Dienstleistungsgesellschaft ver.di, wurde heftige Kritik an der geplanten Richtlinie geäußert, da sie die Wasserversorgung miteinschließt und somit die hohen Qualitätsstandards, aber auch die guten Arbeitsbedingungen der Stadtwerke in Gefahr seien.

Wie zunächst fälschlicherweise publiziert, beinhaltet dieser Vorschlag allerdings keine Pflicht, die Wasserversorgung zu privatisieren und europaweit auszuschreiben. Auch der zuständige Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier betonte mehrfach: "Die Kommission hat auf keine Weise vor, die Wasserwirtschaft zu privatisieren - weder heute noch morgen". In der Begründung des Vorschlags ist zu lesen: "Die EU-Rechtsvorschriften sollen öffentliche Auftraggeber und Vergabestellen nicht in ihrer Freiheit beschränken, die in ihre Zuständigkeit fallenden Aufgaben mithilfe eigener Ressourcen zu erfüllen." Die Kommune kann selbst entscheiden, ob sie die Dienstleistung der Wasserversorgung ausführt oder einen externen Auftragnehmer damit beauftragen möchte.

Eine wichtige Frage ist natürlich, unter welchen Umständen die geplante Richtlinie und die damit verbundene Ausschreibung überhaupt Anwendung findet. Auf kommunale Unternehmen, die vollständig in öffentlicher Hand liegen, findet die Richtlinie keine Anwendung. Die Konzession kann direkt ohne Ausschreibung vergeben werden. Häufig wurde die Rolle von Stadtwerken in den Mittelpunkt gestellt, die teils in öffentlicher Hand und teils privatisiert sind. Diese verbundenen Unternehmen sind meist nicht nur in der Wasserversorgung, sondern auch in anderen Bereichen, wie dem Energiesektor, tätig, welche komplett dem freien Markt unterliegen. Auch hier sieht der Vorschlag eine Ausnahme vor. Laut einer Pressemitteilung der Kommission findet die Richtlinie auf verbundene Unternehmen keine Anwendung, wenn diese in ihrer Wassersparte 80 Prozent des Umsatzes in der eigenen Kommune erwirtschaften. Dies gilt auch, wenn zwei Gemeinden ein Unternehmen gründen, um eine Dienstleistung zu erbringen, oder mehrere Gemeinden gemeinsam eine Konzession vergeben. Eine Anwendung der Richtlinie und die damit verbundene Ausschreibung findet nur statt, wenn sich die Kommune entscheidet, die Dienstleistung der Wasserversorgung nicht selbst zu erbringen, sondern an ein privates Unternehmen zu vergeben. Es bestehen dabei für die Kommunen Möglichkeiten zur Qualitätssicherung, indem sie als Zuschlagskriterium hohe Mindestanforderungen an Versorger und Trinkwasserqualität stellen. Zur Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots können auch Qualitäts-, Umwelt- und Sozialkriterien einbezogen werden.

Die Gegner der Richtlinie betonen die negativen Auswirkungen einer Privatisierung der Wasserversorgung auf die Verbraucher, wie etwa in London oder Paris. Doch ist das nicht eher Ausdruck dafür, dass klare, einheitliche und transparente Regeln notwendig sind, um ein nachvollziehbares Vergabeverfahren zu garantieren, sollte sich die Kommune dafür entscheiden, die Wasserversorgung zu privatisieren? Nur so kann Korruption und Günstlingswirtschaft vorgebeugt und die geeignete Qualität gesichert werden. Es wäre deshalb ein Trugschluss zu glauben, dass eine Herausnahme der Wasserversorgung aus der Konzessionsrichtlinie gleichzeitig zu einem Verbot der Privatisierung führen würde.

Mit dieser grundsätzlichen Frage, ob die Versorgung mit Wasser allein Aufgabe der öffentlichen Hand ist und die Privatisierung in diesem Bereich verboten werden sollte, beschäftigt sich auch die europäische Bürgerinitiative "Right2Water". Sie fordert die EU und die Mitgliedsstaaten auf, das "Recht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung" für alle Menschen in Europa zu garantieren und wendet sich gegen eine Liberalisierung der Wasserwirtschaft. Der Ausgangspunkt dieser Initiative war u. a. die Anerkennung des Rechts auf Zugang zu sauberen Wasser als Menschenrecht durch die Vereinten Nationen im Jahr 2010. Durch die Debatte über die geplante Konzessionsrichtlinie erhielt die Initiative enormen Zuspruch. Es besteht die Möglichkeit, in Form einer europäischen Bürgerinitiative auf die EU-Gesetzgebung Einfluss zu nehmen. Dabei müssen mindestens 1 Million Stimmen von Bürgern aus sieben verschiedenen EU-Staaten gesammelt werden.

Abschließend ist noch einmal festzustellen: Wasser ist ein öffentliches Gut, dies bestätigte auch Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier. Es wird keine Zwangsprivatisierung der Wasserversorgung geben und es wurde nach dem Aufschrei aus Deutschland auch auf die Sonderstellung der deutschen Stadtwerke Rücksicht genommen, indem der Vorschlag entsprechend geändert wurde. Es bleibt aber wichtig gerade bei einem so sensiblen Thema Berichte kritisch zu hinterfragen, um Fehlinterpretationen zu verhindern.

Die Vorschläge der Kommission finden Sie unter:



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