Initiative der EU-Kommission: "Bildung neu denken"

(Doris Klingenhagen)

Am 15. Februar 2013 hat der EU-Bildungsministerrat eine Schlussfolgerung als erste Antwort zur EU-Kommissionsinitiative "Neue Denkansätze für die Bildung: bessere sozioökonomische Ergebnisse durch Investitionen in Qualifikationen" veröffentlicht. Darin ergeht die zentrale Aufforderung an die Mitgliedstaaten, die Bedeutung von Bildung im Bericht des Europäischen Semesters zu stärken, insbesondere in den länderspezifischen Empfehlungen. Der Bildungsministerrat bezieht sich dabei auf die am 20. November 2012 von der EU-Kommission veröffentlichte neue Bildungsstrategie "Neue Denkansätze für die Bildung". Ansatzpunkt für die neue Strategie ist die Analyse, dass die europäischen Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung nicht in ausreichendem Maße die für die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer erforderlichen Qualifikationen vermitteln. Dies führe zu einer Diskrepanz zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage, die für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft ein wachsendes Problem darstelle. Beispiele unzureichender Leistungen sind für die Kommission: Der noch nicht erreichte Anteil von 40 Prozent junger Menschen mit Hochschulabschluss, die zu hohe Zahl von Schulabbrecher(inne)n in einigen Mitgliedstaaten wie Spanien und Portugal, 73 Millionen Erwachsene, die nur über ein geringes Bildungsniveau verfügen, die Teilnahmequote von lediglich 8,9 Prozent der Erwachsenen am lebenslangen Lernen (z. B. berufliche Fort- und Weiterbildungen) und schlechte Leseleistungen von den unter 15-Jährigen.
Leitlinie der Modernisierung der Bildungssysteme muss laut der Kommission die Erkenntnis sein, dass bis 2020 der Anteil der Arbeitsplätze, die höhere Qualifikationen erfordern, um 20 Prozent steigen wird. Um dieser Nachfrage zu begegnen, müssen sowohl die Bildungsstandards als auch die Leistungsniveaus angehoben werden und es müssen verstärkt Querschnittkompetenzen vermittelt werden, die junge Menschen zum unternehmerischen Handeln und zur Anpassung an die unvermeidlichen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt während ihrer beruflichen Laufbahn befähigen.
In ihrer Mitteilung ruft die Kommission daher dazu auf, in der Bildung den Schwerpunkt auf die "Lernergebnisse" zu verlagern, d. h. auf die von den Lernenden erworbene Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen. Zugleich bestehe erheblicher Nachholbedarf bei den Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen. Weiter müsste der Entwicklung von Unternehmer- und Initiativgeist in der Bildung größere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Zugleich sollten in allen Lernumfeldern verstärkt Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sowie frei zugängliche Lehr- und Lernmaterialien - Open Educational Ressources (OER) - zum Einsatz kommen. Die Lehrkräfte müssten ihre eigenen Kenntnisse und Fertigkeiten durch regelmäßige Fortbildungen auf den neusten Stand bringen.
Die Mitgliedsstaaten werden in der Strategie dazu aufgerufen, Bildung und Arbeitswelt besser miteinander zu verknüpfen, unternehmerisches Handeln in den Unterricht zu integrieren und den jungen Menschen durch berufspraktisches Lernen Einblicke in das Arbeitsleben zu geben.
Darüber hinaus schlägt die Kommission vor, eine neue Benchmark zum Erlernen von Fremdsprachen einzuführen, Leitlinien zur Bewertung und Weiterentwicklung unternehmerischer Bildung aufzustellen und eine EU-weite Wirkungsanalyse zur Nutzung von IKT und OER für Lernzwecke durchzuführen.
Besondere Aufmerksamkeit bei der Modernisierung der Bildungssysteme soll dabei ebenfalls auf die Jugendbeschäftigungskrise gelegt werden. Im Rahmen des "Pakets zur Jugendbeschäftigung" werden die Mitgliedsstaaten aufgerufen, zusätzlich in den Bereichen Lernen am Arbeitsplatz, Mobilität und Praktika tätig zu werden und zur Umsetzung von Jugendgarantien Partnerschaften unter Beteiligung des Bildungswesens zu fördern.
Prioritäten für die Mitgliedstaaten sieht die Kommission:

  1. in der Förderung von Exzellenz in der beruflichen Aus- und Weiterbildung mit den Schwerpunkten der Entwicklung hochwertiger dualer Berufsbildungssysteme, der Verbesserung der Durchlässigkeit zu anderen Bildungsangeboten und der Entwicklung von Qualifikationen in Bereichen mit Wachstumspotential (z. B. IKT, Gesundheitswesen, "grüne" Wirtschaft).
  2. in der Verbesserung der Leistungen von Schüler(innen)gruppen mit hohem Schulabbruchrisiko und geringen Grundfertigkeiten mit den Schwerpunkten Angebote hochwertiger frühkindlicher Bildung, Vermittlung von Grundfertigkeiten.
  3. in der verstärkten Vermittlung von Querschnittskompetenzen wie Unternehmergeist, IT-Kompetenz und Fremdsprechen.
  4. in der Verringerung der Zahl gering qualifizierter Erwachsener u. a. durch Verstärkung der Anreize, die Unternehmen Erwachsenen für Fortbildung bieten und durch die Anerkennung von außerhalb der formalen Bildung erworbenen Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen.
  5. durch die Verstärkung des IKT-gestützten Lernens und der Verbesserung des Zugangs zu hochwertigen OER (Open Educational Ressources) mit den Schwerpunkten Modernisierung der IKT-Infrastruktur an Schulen, Förderung IKT-gestützter Unterrichtsmethoden und Bewertungsverfahren, Einrichtung von Mechanismen zur Validierung und Anerkennung von mittels OER erworbener Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen.
  6. in der Überprüfung und Stärkung des Profils aller Lehrberufe mit den Schwerpunkten der Prüfung der Wirksamkeit sowie der akademischen und pädagogischen Qualität der Erstausbildung von Lehrkräften, die Einführung kohärenter und mit angemessenen Ressourcen ausgestatteter Systeme für die Einstellung, Auswahl, Einarbeitung und berufliche Entwicklung von Lehrkräften.

Eigene Schwerpunktmaßnahmen und Beiträge der europäischen Ebene sieht die Kommission in folgenden Bereichen:

  1. Unterstützung der länderspezifischen Ausrichtung im Rahmen des nächsten Europäischen Semesters mit länderspezifischen Empfehlungen (Stärkung der Analyse für die Länderüberwachung, regelmäßige Peer Reviews, Portal für die Online-Bewertung von Bildung und Qualifikationen, Benchmark zum Fremdsprachenunterricht)
  2. Einrichtung einer Ausbildungsallianz auf EU-Ebene zur Verbesserung des Lernens am Arbeitsplatz.
  3. Schaffung eines "Europäischen Raumes der Kompetenzen und Qualifikationen" auf der Grundlage des Lernergebnisansatzes.
  4. Wachstumsorientierte Bildungsfinanzierung (Überwachung der von den Mitgliedsstaaten ergriffenen Maßnahmen, Einleitung einer Debatte auf EU-Ebene über den Nutzen von Investitionen in Bildung, Konsultation der Sozialpartner auf EU-Ebene zum Weiterbildungsangebot für erwerbstätige Erwachsene)
  5. Aufbau einer EU-Dimension für Online-Bildung (Qualitätsparameter und Zertifizierungsprozesse für OER und IKT-gestützte Lehrmethoden)
  6. Veröffentlichung politischer Leitlinien für unternehmerische Bildung (2013)
  7. Förderung von Partnerschaften zwischen Bildung, Wirtschaft und Forschung anhand der Programme "Erasmus für alle" und "Horizont 2020"

Die Bildungskommissarin Androulla Vassiliou unterstreicht zu dieser Kommissionsmitteilung: "Es ist notwendig, die Bildungssysteme zu modernisieren und in die Lage zu versetzen, flexibler auf die realen Bedürfnisse unserer heutigen Gesellschaft zu reagieren. In Europa kann erst dann wieder nachhaltiges Wachstum einsetzen, wenn unsere Bildungssysteme hoch qualifizierte, vielseitig einsetzbare Arbeitskräfte hervorbringen, die zur Innovation beitragen können und über Unternehmergeist verfügen. Effiziente, zielgerichtete Investitionen sind hier von wesentlicher Bedeutung, während wir bei einer Kürzung der Mittel für die Bildung unsere Ziele nicht erreichen werden".



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