Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte stärkt Schutz der Religionsfreiheit am Arbeitsplatz

(Christopher Hörster)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) hat am 15. Januar 2013 eine Grundsatzentscheidung zum Umfang des durch die Religionsfreiheit (Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention) geschützten Verhaltens am Arbeitsplatz gefällt. In dem Verfahren wurden vier verschiedene Fälle britischer Christen, deren religiös motiviertes Verhalten zu Auseinandersetzungen mit ihrem jeweiligen Arbeitgeber geführt hatte, gemeinsam entschieden. Im Ergebnis sah der Gerichtshof zwar nur in einem Fall die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) als verletzt an, stärkte den Schutz der Religionsfreiheit am Arbeitsplatz aber grundsätzlich erheblich.

Die ersten beiden Fälle betrafen zwei Christinnen, denen durch ihren jeweiligen Arbeitgeber, die Fluglinie British Airways und ein öffentliches Krankenhaus, untersagt worden war, eine Halskette mit einem Kreuz sichtbar über der Kleidung zu tragen. British Airways begründete das Verbot mit dem Anliegen, in der Öffentlichkeit als neutrale Fluglinie wahrgenommen zu werden. Die Kleidungsvorschriften des Krankenhauses, die das Tragen von Schmuck grundsätzlich verboten, basierten im Wesentlichen auf Gesundheits- und Sicherheitserwägungen.

Bei der dritten Antragstellerin handelte es sich um eine Angestellte eines britischen Standesamtes. Da homosexuelle Ehen nach ihrer Ansicht gegen die göttliche Ordnung verstießen, weigerte sie sich, gleichgeschlechtliche Paare zu trauen und verlor daraufhin 2010 ihre Anstellung. Der vierte Antragsteller arbeitete als Paar- und Sexualtherapeut in einer privaten Therapieeinrichtung. Der Antragsteller war der Auffassung, sexuelle Handlungen zwischen gleichgeschlechtlichen Personen seien nach der Bibel verboten. Demzufolge weigerte er sich, homosexuellen Paaren eine therapeutische Beratung anzubieten. Das Therapiezentrum kündigte daraufhin seinen Arbeitsvertrag im März 2008.

Eine Verletzung aufgrund eines unangemessenen Interessenausgleichs im Einzelfall stellten die Richter nur im Fall der Angestellten von Britisch Airways fest. Die unangemessene Benachteiligung dieser ersten Antragstellerin ergebe sich aus dem Umstand, dass es sich um ein kleines, diskretes Kreuz handele, welches keine konkrete Behinderung bei der Arbeit der Antragstellerin darstelle. Die Diskriminierung zeige sich aber auch anhand der Tatsache, dass British Airways in anderen Fällen das sichtbare Tragen von religiösen Symbolen, wie zum Beispiel Turbanen oder Kopftücher, erlaube und seinen eigenen Kleidungsvorschriften inzwischen gelockert habe.

In den anderen drei Fällen hielt der EGMR die Anforderungen an einen gerechten Interessenausgleich zwischen Religionsfreiheit und Arbeitgeberinteressen, besonders vor dem Hintergrund des bestehenden Ermessensspielraums der Mitgliedstaaten, hingegen für gewahrt. In den Fällen der dritten Antragstellerin sowie des vierten Antragstellers ergebe sich dies vor allem aus der Tatsache, dass auch die Rechte Homosexueller von der Konvention geschützt würden und somit ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ehe oder zu therapeutischer Beratung ein fundamentales Interesse einer demokratischen Gesellschaft darstelle.

Besonders hervorzuheben sind zwei zentrale Aussagen des Gerichts zur Religionsfreiheit am Arbeitsplatz. Die britische Regierung hatte in dem Verfahren vorgetragen, nur solches Verhalten sei von Art. 9 EMRK geschützt, welches anerkanntermaßen eine religiöse Pflicht darstelle. Darüber hinaus könne grundsätzlich im Kontext von Arbeitsbeziehungen kein Eingriff in die Religionsfreiheit vorliegen, da der Betroffene jederzeit das Arbeitsverhältnis kündigen könne. Die Möglichkeit eines Wechsels der Arbeitsstelle garantiere ultima ratio die Religionsfreiheit. Beiden Argumenten erteilte der Gerichtshof nun eine klare Absage. Zwar sei nicht jedes religiös motivierte Verhalten von Art. 9 EMRK erfasst, vielmehr sei eine enge und direkte Verbindung zwischen der konkreten Handlung und der religiösen Überzeugung notwendig. Nichtsdestotrotz müsse eine anerkannte religiöse Pflicht zu dem bestimmten Verhalten nicht bestehen, um vom Schutz der Religionsfreiheit umfasst zu sein. Die Richter widersprachen ebenso dem Argument, in einem Arbeitsverhältnis könne aufgrund der Möglichkeit, die Anstellung wechseln zu können, keine Verletzung der Religionsfreiheit vorliegen. Vielmehr komme es in jedem Einzelfall auf einen gerechten Ausgleich der widerstreitenden Interessen an.

Obwohl in den einzelnen Verfahren nur ein Antragsteller obsiegte, ist das Urteil aus Sicht der Kirchen insgesamt zu begrüßen. Die generelle Stärkung des Schutzes der Religionsfreiheit am Arbeitsplatz trägt zur Rechtssicherheit bei und stellt klar: Die Religionsfreiheit muss auch in einem arbeitsrechtlichen Kontext gebührend respektiert werden.



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