Der "Faktor Religion" in der europäischen Außenpolitik

(Katrin Hatzinger)

Die Staats- und Regierungschefs der EU haben am 25. Juni 2012 einen strategischen Rahmen für Menschenrechte und Demokratie und einen entsprechenden Aktionsplan zu seiner Umsetzung vorgestellt (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 140). In diesem Kontext steht die Erarbeitung von öffentlichen Leitlinien zur Religions- und Gewissensfreiheit, die "auf bestehenden Instrumenten und Dokumenten und Schlüsselprinzipien aufbauen sollen sowie klar definierte Prioritäten und Werkzeuge für die Förderung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit weltweit beinhalten sollen" (Aktion 23 des Aktionsplans).

Anfang des Jahres 2013 sollen die Richtlinien vom Rat der EU-Außenminister angenommen werden. Sie sind rechtlich nicht bindend, stellen nach Auffassung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) jedoch ein starkes politisches Signal dar, um zu verdeutlichen, dass dieses Thema für die EU Priorität hat. Die Leitlinien sollen praktische Instruktionen und Orientierung für die Diplomaten der EU-Delegationen bieten und ihnen dabei behilflich sein, Situationen vor Ort richtig einzuschätzen und pragmatisch zu handeln.

Aus kirchlicher Sicht ist der Ansatz der Außenminister, die Menschenrechte in der europäischen Außenpolitik und damit auch die Achtung der positiven und negativen Religionsfreiheit weltweit zu verteidigen und zu fördern, zu begrüßen.

Hinsichtlich der Ausgestaltung der Leitlinien hat das EKD-Büro Brüssel den EAD darauf aufmerksam gemacht, dass der Entwurf dahingehend ergänzt werden sollte, dass

  • die kollektive Dimension der Religionsfreiheit und die öffentliche Ausübung der Religion als wesentlicher Teil der Religionsfreiheit Berücksichtigung finden,
  • auch die mediale Darstellung von Konflikten insbesondere dahingehend beobachtet werden sollte, ob sie dazu führt, bestimmte Bevölkerungsgruppen zu stigmatisieren oder Konflikte weiter zu verschärfen,
  • die Freiheit religiöser und theologischer Bildung und Ausbildung in den betroffenen Ländern garantiert sein muss und
  • in der Konfliktanalyse vor allem darauf geachtet wird, im Sprachgebrauch zu nuancieren und zu differenzieren. Dafür gelte es zu analysieren, inwieweit tatsächlich eine religiöse Dimension des Konfliktes vorliege oder ob nicht in Wirklichkeit wirtschaftliche, politische oder andere Gründe im Vordergrund stünden und Religion nur vordergründig Auslöser für Gewalt oder Auseinandersetzungen sei.

Des Weiteren wurde vorgeschlagen:

  • bei der Auswertung von Daten zu religiöser Verfolgung auf die Verlässlichkeit, Unabhängigkeit und seriöse Erhebung solcher Daten zu achten. Wenn möglich sollten Daten, wenigstens teilweise, selber erhoben werden oder nur Quellen herangezogen werden, deren Objektivität gesichert ist.
  • in Drittländern darauf hinzuwirken, dass auch in den dortigen Behörden Schulungen/Fortbildungen zu Fragen der Religionsfreiheit und zum respektvollen Umgang mit verschiedenen Religionen stattfinden.
  • die EU-Delegationen im Rahmen ihrer Möglichkeiten anzuhalten, Dialog- und Austauschforen zu schaffen, um präventiv oder nach erfolgten Auseinandersetzungen zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln.

Für die Fortbildungen des Stabes des EAD in Religionsfragen sollte schließlich nach Möglichkeit mit den betreffenden Religionsgemeinschaften kooperiert werden. Wo dies nicht möglich ist, könnte auf Expertise in der Wissenschaft zurückgegriffen werden.

Über die gebotene Stärkung der EU-Menschenrechtspolitik hinaus sollte der "Faktor Religion" aus kirchlicher Sicht fester Bestandteil der EU-Außenpolitik werden. Denn ohne ein Grundverständnis religionspolitischer und -soziologischer Zusammenhänge kann erfolgreiche Außenpolitik nicht gelingen. Das gilt für das Auswärtige Amt wie für den Europäischen Auswärtigen Dienst. Wissen um religiöse Hintergründe sind unabdinglich zum Verständnis fremder Kulturen, aber auch zur Konfliktprävention und Mediation in Krisenzeiten.

Hier geht es darum, das Wissen um den Faktor Religion durch den Austausch mit Kirchen und Religionsgemeinschaften zu vertiefen. So tragen die beiden großen deutschen Kirchen z.B. im Rahmen der Attachéausbildung zu einem umfassenden Verständnis des Verhältnisses von Staat und Kirche unter jungen Diplomaten bei (von der Arbeit der Auslandsgemeinden über die kirchliche Entwicklungszusammenarbeit bis hin zu den Besonderheiten des deutschen Staatskirchenrechts).

Im stark laizistisch geprägten Frankreich ist im Auswärtigen Dienst seit dem Jahr 2009 durch Bernard Kouchner der sog. "pôle religions" verankert worden, der direkt dem Außenminister unterstellt ist. Es handelt sich um eine Einheit, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Entwicklungen des Faktors Religion in der Welt stärker als bisher in der französischen Außenpolitik zu berücksichtigen. Der "pôle" erfüllt drei Hauptaufgaben:

  1. Beobachtung und Analyse der religionspolitischen Entwicklungen
  2. Zuarbeit für die verschiedenen geographischen Abteilungen
  3. Ausbildung der künftigen Diplomaten hinsichtlich religiöser Fragen und Zusammenhänge, da "das französische Konzept der laicité die jungen Diplomaten zu sehr von religiösem Wissen entfremdet habe", so der Leiter des "pôle religions", Joseph Maila.

Der neue Fokus auf Menschenrechte in Person des Sonderbeauftragten Stavros Lambrinidis sowie die Hervorhebung der Religionsfreiheit sind also wichtige Schritte auf dem Weg zu einem EAD, der eigene Akzente setzt. Ein Politikansatz, der das Religionsthema in allen seinen Facetten auch als Teil europäischer Identität in der Begegnung mit anderen Kulturen, Religionen und Traditionen weltweit betrachtet und damit die weitergehende Berücksichtigung des Faktors Religion in den Strukturen des Dienstes, würde dem EAD darüber hinaus gut zu Gesicht stehen.

Den strategischen Rahmen und den Aktionsplan finden Sie unter:



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