Debatte um Energie und Ethik

(Dr. Anna Donata Quaas)

Am 18. September 2012 fand in Brüssel ein Fachgespräch ("round table") in der Europäischen Kommission zum ethischen Umgang mit Energie statt.

Richard Adams (Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Brüssel) wies in seinem einführenden Vortrag darauf hin, dass die Energieethik im Vergleich zu Medizin- und Umweltethik ein relativ vernachlässigtes Feld sei. Der zunehmende Energieverbrauch und CO2-Ausstoß seit der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts führte beispielsweise zu folgenden kontroversen ethischen Fragen:

Wie ist ethisch verantwortbar mit Landnutzungskonflikten (zur Nahrungsmittelgewinnung oder zum Gewinn von Bioenergie) umzugehen?

Ist auf die Dauer ein marktorientierter Ansatz tragfähig oder muss Energie so kontrolliert und verteilt werden, dass das Gemeinwohl ausschlaggebend ist? Kann der Wohlstand der europäischen Bevölkerung als ausschlaggebend angesehen werden oder muss das Problem des Energieverbrauchs auf globaler Ebene betrachtet werden? Dürfen weiter fossile Brennstoffe konsumiert werden, ohne dass Sicherheit in der CO2-Abscheidung und -Speicherung besteht?

Innerhalb der EU gibt es derzeit keine gemeinsame politische Handhabe der Energiebeschaffung und -verteilung. Grund dafür ist der Wille der Mitgliedstaaten, ein nationales Vorgehen beizubehalten.

Diese Haltung konvergiert nicht, wie Anita Rønne (Dozentin für Energierecht an der Universität Kopenhagen, Dänemark) in ihrem Beitrag verdeutlichte, mit den in Artikeln 191 und 194 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) formulierten Grundsätzen, in denen unter anderem die "Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler oder globaler Umweltprobleme und insbesondere zur Bekämpfung des Klimawandels" (Artikel 191 Abs. 1) und die "Förderung der Energieeffizienz und von Energieeinsparungen sowie Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen" (Artikel 194 Abs. 1) genannt werden.

Um die Bevölkerungsmehrheit zu einem verantwortlichen Energiekonsum zu bewegen, so Richard Adams, müssten politische Anreize geschaffen werden, etwa so, dass sich erneuerbare Energien als einfachste und billigste Energiequellen etablierten. Ohne solche äußeren Anreize seien nur fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung derzeit bereit, ihr Konsumverhalten zu ändern und weniger Energie zu verbrauchen sowie auf Flugreisen und Fleischkonsum zu verzichten. Das Konsumverhalten der Bürgerinnen und Bürger sei aber entscheidend für die Energiewende.

Richard Adams plädierte zudem für eine vermehrte Forschung und Entwicklung von kohlenstoffarmen Energiequellen, einschließlich der Atomenergie.

Christian Hey (Generalsekretär des Sachverständigenrates für Umweltfragen, Berlin) dagegen trat für eine Abkehr von Atomenergie ein. Die Weiterentwicklung erneuerbarer Energiequellen und Forschung in diesem Bereich hält Hey für entscheidende Entwicklungen im 21. Jahrhundert. Gerade in Deutschland erwartet Hey wichtige Exportprodukte im Bereich "Erneuerbare Energien".

Hey betonte außerdem, dass grundsätzlich jede Form von Energiegewinnung mit Nachteilen verbunden sei:

Fossile Energieträger ohne CO2-Abscheidung und -Speicherung führten dazu, dass die Klimaveränderung fortschreiten würde. Nukleare Energieträger brächten das Sicherheitsrisiko mit sich und Kosten für die Endlagerung. Fossile Energieträger mit CO2-Abscheidung und -Speicherung bürgen ein Lagerungsrisiko, außerdem gäbe es nur begrenzte Speicherkapazitäten. Erneuerbare Energien schließlich würfen das Problem der Versorgungssicherheit auf und führten zu Konflikten um die Landnutzung.

Während bei nuklearen und fossilen Energieträgern Risiken nicht minimierbar seien, ließen sich Konflikte um Landnutzung und Probleme der Versorgungssicherheit, welche die Energiegewinnung durch erneuerbare Energieträger mit sich brächten, aber bewältigen.

Innerhalb der EU ließe sich derzeit keine Einigung zum Energiemix erzielen, besonders was die sehr umstrittene Atomenergie betrifft.

Das Streben nach erneuerbaren Energiequellen sei ein wichtiges gemeinsames Anliegen, so Hey. Im Fokus ständen dabei sog. "No-Regret-Strategien", also Strategien, die unabhängig von einer Klimaveränderung einen sozialen Nutzen bringen, konkret also solche Strategien, deren Nutzen (wie z.B. niedrigere Energiekosten und verminderte Emissionen lokaler/regionaler Luftschadstoffe) den Kosten für die Gesellschaft gleichkommen oder diese übersteigen – zusätzlich zu den Nutzen eines verhinderten Klimawandels.

Gas spielt nach der Einschätzung Heys nur vorübergehend eine Rolle zur Ergänzung der Energie aus erneuerbaren Quellen. Auf Dauer sei Gas als Energiequelle mit dem Ziel, den CO2-Ausstoß zu minimieren, nicht vereinbar.

Heys Plädoyer gegen die Nutzung von Atomenergie deckt sich mit den Argumenten der deutschen Ethikkommission "Sichere Energieversorgung", die einhellig die Meinung vertritt, dass in Deutschland die Möglichkeit bestehe, Kernenergie durch risikoärmere Technologien ökologisch, wirtschaftlich und sozial verträglich zu ersetzen. Dabei kommen Befürworter eines "kategorialen Urteils" zu demselben Schluss wie Verfechter der "relativierenden Risikoabwägung": Die Befürworter des "kategorialen Urteils" sind der Meinung, dass Folgen einer nuklearen Havarie weder räumlich noch zeitlich noch sozial zu begrenzen seien. Um Schadensfälle auszuschließen, solle Kerntechnik deswegen nicht mehr verwendet werden.

Die Verfechter der "relativierenden Risikoabwägung" schlagen vor, die zu erwartenden Konsequenzen aller verfügbaren Optionen abzuwägen. Da nahezu alle wissenschaftlichen Studien zu dem Schluss kämen, dass erneuerbare Energien und die Verbesserung der Energieeffizienz geringere Gesundheits- und Umweltrisiken mit sich brächten als die Kernenergie, raten auch sie zu einer Abkehr von nuklearer Energie.

Als Experte für Klimafragen nahm Pier Vellinga (Universität Wageningen und VU Amsterdam) am Fachgespräch teil: Aufgrund des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur komme es zu einer schnelleren Eisschmelze als erwartet auf Grönland, am Nordpol und an der Antarktis. Trotz der bekannten Auswirkungen und Gefahren nähmen die CO2-Emissionen jedoch weiter zu.

Für die noch bestehende Akzeptanz des fortschreitenden Klimawandels nennt Vellinga eine Reihe von Gründen:

Größere, langfristig irreversible Schäden durch den Klimawandel seien derzeit vor allem im globalen Süden zu erwarten. Besonders in den reicheren Ländern (nördlich des 40. Breitengrades) seien Auswirkungen des Klimawandels weniger spürbar und in den kommenden 50 bis 100 Jahren voraussichtlich noch in den Griff zu bekommen. In den USA sei der politische Wille, klimaschädliche Emissionen zu reduzieren, besonders wenig ausgeprägt. Interessensgruppen nutzten ihre politische und wirtschaftliche Macht, um Maßnahmen gegen den Klimawandel zu verhindern. Dahinter stehe eine Priorisierung der Marktfreiheit, Mobilität und wirtschaftlichen Entwicklung vor dem Klimaschutz.

Als ethische Prinzipien, die auch im Blick auf die Klimapolitik gültig seien, nennt Vellinga die "beschränkte Freiheit" (jeder ist frei zu tun, was ihm gefällt, unter der Bedingung, dass anderen kein Schaden zugefügt wird, bzw. jeder hat das Recht, vor den negativen Folgen der Taten anderer Menschen bewahrt zu werden) und Reziprozität.

Aus den beiden Prinzipien folge, dass jeder für aus dem eigenen Handeln folgenden Schäden und Risiken haftbar sei, zu denen es keinen zustimmenden Konsens der Betroffenen gegeben habe.

Ab dem Jahr 2020, so Vellinga, entstünden Kosten von etwa 100 Milliarden Euro pro Jahr durch die Folgen des Klimawandels und zu seiner Bekämpfung.

Die Ergebnisse des Fachgesprächs sollen dokumentiert und Kommissionspräsident José Manuel Barroso zugeleitet werden.

Eine Videoaufzeichnung des Fachgesprächs und Powerpoint-Präsentationen der Vortragenden sind hier zu finden:



erweiterte Suche