Validierung non-formalen und informellen Lernens

(Doris Klingenhagen)

In der europäischen Bildungsdiskussion gewinnt die Anerkennung und Validierung von non-formalen und informellen Lernprozessen seit einigen Jahren deutlich an Beachtung. Ein wichtiger Beitrag dazu ist der am 5. September 2012 von der Europäischen Kommission veröffentlichte "Vorschlag zur Validierung der Ergebnisse des non-formalen und informellen Lernens".
 
Im Zentrum dieser politischen Initiative steht die Einführung eines nationalen Systems für die Validierung der Ergebnisse des non-formalen und informellen Lernens. Das System soll möglichst in allen Mitgliedsstaaten bis 2015 umgesetzt werden. Formuliertes Ziel ist es, allen Bürgern Gelegenheit zum Nachweis ihrer außerhalb der formalen Bildung erworbenen Kompetenzen zu geben, um das "Erlernte für ihr weiteres berufliches Fortkommen und ihre Weiterbildung zu nutzen".

Die Kommission verfolgt damit eine Anerkennung des non-formalen und informellen Lernens, die die bessere Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt und beim Zugang zur weiteren beruflichen Entwicklung fördert. Dies spiegelt auch ein Begleitpapier zum Kommissionsvorschlag wider, das folgende positive Effekte der Initiative aufzeigt: Besserer Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Weiterbildungsmaßnahmen, leichterer Arbeitsplatzwechsel, höheres Bildungsniveau der Arbeitskräfte sowie mehr Mobilität in Europa - dies sind Stichworte, die die Erwartungen verdeutlichen. Die Initiatoren vermuten ebenfalls, dass durch mehr Validierung von Lernergebnissen die Chancengleichheit und die soziale Integration gerade auch für benachteiligte Gruppen verstärkt wird.

Die nationalen Systeme der Validierung sollen sowohl die Feststellung, die Dokumentierung und die Bewertung der Lernergebnisse als auch die Bescheinigung der Lernerfolge leisten. Dabei sollten die Verfahren anschlussfähig an die Nachweispraxis der formalen Bildung sein. Für die Kommission erscheint es deshalb am sinnvollsten, eine enge Synergie mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen und den jeweiligen nationalen Qualifikationsrahmen zu schaffen. Bei der Entwicklung eines solchen Systems sollen alle relevanten Interessengruppen einbezogen werden.

Die Kommission hält es für wichtig, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Handelskammern, Industrie- und Handwerksverbände, an der Anerkennung von Berufsqualifikationen beteiligte nationale Stellen, Arbeitsvermittlungen, Jugendverbände, Jugendbetreuer, Bildungsanbieter sowie Organisationen der Zivilgesellschaft in die Entwicklung von Validierungsverfahren und in die Dokumentierung der Ergebnisse non-formalen und informellen Lernens einzubinden. Arbeitgeber, Jugendverbände und Organisationen der Zivilgesellschaft sollen darüber hinaus Anreize erhalten, um die Feststellung und Dokumentierung der am Arbeitsplatz oder im Rahmen freiwilliger Tätigkeiten erzielten Lernergebnisse zu fördern und zu erleichtern. Über das Prinzip der Beteiligung nimmt der Empfehlungsvorschlag europäische Grundsätze auf, über die sich die Mitgliedstaaten bereits 2004 verständigt hatten:

  • Validierung muss freiwillig sein.
  • Gleichberechtigter Zugang und faire Behandlung sind gewährleistet, die Validierung ist erschwinglich.
  • Die Systeme sehen Mechanismen für die Orientierung und Beratung des Einzelnen vor.
  • Die Systeme werden durch eine Qualitätssicherung unterstützt.
  • Prozess, Verfahren und Kriterien der Validierung sind fair und transparent.
  • Der Prozess der Validierung ist objektiv und Interessenkonflikte werden vermieden.
  • Die Bewertungen werden von fachlich kompetenten Personen durchgeführt.

Neu ist der Blick auf benachteiligte Gruppen. Danach soll das Validierungssystem denjenigen Menschen, die in besonders starkem Maße von Arbeitslosigkeit oder unsicheren Formen der Beschäftigung bedroht sind, Unterstützung bieten. Dieser Personenkreis soll durch das System die Möglichkeit erhalten, sich binnen drei Monaten nach Feststellung eines entsprechenden Bedarfs einer Prüfung ihrer Fähigkeiten und Kompetenzen zu unterziehen.

Der Vorschlag der Kommission stand am 22. November 2012 im Bildungsministerrat auf der Tagesordnung. Bereits im Vorfeld zeichneten sich deutliche Vorbehalte aus Deutschland und anderen Mitgliedsstaaten ab. So wurde die Initiative der Kommission angesichts der steigenden Bedeutung von non-formalen und informellen Lernens zwar grundsätzlich begrüßt, die einseitige Ausrichtung auf den Arbeitsmarkt jedoch deutlich kritisiert. Dem Kommissionsvorschlag fehle das umfassendere Ziel der Wertevermittlung und Persönlichkeitsbildung. Die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen würde zu einem umfassenden Wandel der Lern-, Anrechnungs- und Anerkennungskultur in den Bildungssystemen der Mitgliedstaaten führen, die über die eng gefassten Kompetenzen der EU weit hinaus gingen. Deshalb nahm der Bildungsministerrat in seiner Position rechtlich bindende Elemente wie Rechtsansprüche Einzelner sowie die Einführung von Anerkennungssystemen heraus und ermöglicht den Mitgliedsstaaten, ihre eigenen Verfahren der Anerkennung weiter zu entwickeln. Der Zeitraum dafür wurde von 2015 bis 2018 erweitert. Die Frist für arbeitslose Personen sich einer Prüfung ihrer Fähigkeiten und Kompetenzen zu unterziehen, wurde auf sechs Monate heraufgesetzt

Die Vorbehalte aus Deutschland unterstützen das kirchliche Bildungsverständnis, das dem non-formalen und informellen Lernen ebenfalls eine hervorgehoben Stellung beimisst. So hält es der EKD-Text "Kirche und Bildung" (2009) fest. "Oberstes Maß der Bildung müssen Eigenwert und die eigene Würde jedes einzelnen Menschen sein, in der Kirche selbst, aber auch in anderen Bereichen der Gesellschaft". So darf die ethische Bildung für Frieden und Gerechtigkeit sowie für gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht ausgeklammert werden - ein Grundanliegen evangelischen Bildungsverständnisses, das der Kommissionentwurf unberücksichtigt lässt, und stattdessen fast ausschließlich auf die Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt fokussiert. Zugleich ist die Engführung der Anerkennungsdebatte auf die ausschließliche Zertifizierung von non-formaler Bildung nicht zielführend. Es muss ebenso um eine Anerkennungskultur dieses Lernfeldes, insbesondere von zivilgesellschaftlichem Engagement, gehen. Schließlich ist zu fragen, welcher Nutzen Menschen durch Zertifizierungssysteme suggeriert wird und welchen Mehrwert Nachweise und Zertifikate tatsächlich haben.

Die Textfassung der Ratsempfehlung wird erst nach dem nächsten Bildungsministerrat im März 2013 veröffentlicht.

Hier der Link zur Empfehlung der Kommission:



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