Frontex-Seegrenzen-Verordnung: Hoffnung auf besseren Schutz für Bootsflüchtlinge

(Susanne Herkommer)

Am 9. Dezember 2013 hat der zuständige Innenausschuss des Europäischen Parla­ments (LIBE) über die neue Frontex-Seegrenzen-Verordnung abgestimmt und damit die Position des Parlaments für die Trilog-Verhandlungen festgelegt. Die Parla­mentarier werden sich gegenüber Rat und Kommission für einen besseren Schutz der Menschenrechte von Flüchtlingen und Mig­ranten auf dem Mittelmeer einsetzen. Sie fordern, dass im Rahmen von Frontex-Einsätzen Flüchtlingsboote nicht mehr pau­schal zurückgedrängt werden dürfen und dass eine vollständige Beachtung des Zu­rückweisungsverbot („non-refoulement“) der Genfer Flüchtlingskonvention gewährleistet ist. Danach ist es verboten, Menschen in Länder abzuschieben, in denen ihnen Todes­strafe, Folter oder eine sonstige unmensch­liche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe drohen oder die Gefahr der Abschie­bung in ein Land besteht, das solche Prakti­ken anwendet. Im Einklang mit der Recht­sprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)  in der Sache Hirsi vom Februar 2012 müssen zudem die indivi­duellen Umstände der Bootsflüchtlings überprüft werden, also zum Beispiel ihre Herkunft, ihre gesundheitliche Verfassung und ihre Schutzbedürftigkeit.

Die Kommission hatte den Verordnungsvor­schlag mit Regelungen für die von der EU-Grenzschutzagentur Frontex koordinierten Seeeinsätze an den EU-Außengrenzen im April 2013 vorgelegt, nachdem der beste­hende Ratsbeschluss vom Europäischen Ge­richtshof im September 2012 aufgrund man­gelnder Beteiligung des Europäischen Par­laments aufgehoben worden war. Der Be­schluss gilt jedoch bis zur Verabschiedung eines  neuen Rechtsakts fort.

Die Verordnung soll die Vorge­hensweise der Frontex-Grenzschützer beim Aufgreifen und Zurückweisen von Flüchtlin­gen, bei der Seenotrettung sowie beim Ab­setzen aufge­griffener oder geretteter Flücht­linge in Drittstaaten (Ausschiffung) regeln. Ziel ist die einheitliche Auslegung und Anwendung der menschen- und völkerrechtlichen Anfor­derungen bei Seeeinsätzen. Die Bestimmun­gen sollen nur für Grenzüberwachungsmaß­nahmen gelten, die die Mitgliedsstaaten unter Federführung von Frontex vornehmen. Werden Mitgliedsstaaten eigenständig tätig, greift die Verordnung hingegen nicht.

In einigen Punkten bleibt der Kommissions­vorschlag  jedoch hinter den Anforderungen des EGMR zurück. Dieser hatte in der Rechtssache Hirsi geurteilt, dass eine Ad-Hoc-Rückschiebung („push-back“) von auf hoher See aufgegriffenen Migranten ohne indivi­dualisiertes Prüfverfahren und ohne Zugang zu einem Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung gegen die Europäische Menschen­rechts­konvention verstößt.
 
Gemeinsam mit anderen Flüchtlings­organisationen hatte das EKD-Büro Brüssel daraufhin im September 2013 mit einem Positionspapier gefordert, das EGMR-Urteil in der neuen Frontex-Seegrenzen-Verordnung vollständig umzusetzen, um sicherzustellen, dass die von den Richtern gesetzten Standards auf alle Maßnahmen der Frontex-Grenzschützer Anwendung fin­den.

Es ist deshalb zu begrüßen, dass das Euro­päische Parlament sich jetzt in diesem Sinne für die Trilog-Verhandlungen positioniert hat. Es fordert insbesondere ein individualisier­tes Prüfverfahren und hält an den verbindli­chen Regelungen zur Seenotrettung fest. Darüber hinaus stellt das Europäische Par­lament klar, dass nationale Bestimmungen abge­schafft werden müssen, nach denen die Hilfeleistung gegenüber Flüchtlingen auf See strafbar ist. Bis zuletzt streitig war im Ausschuss hingegen, ob die betroffenen Flüchtlinge und Migranten vor der Ausschif­fung in einem Drittstaat Zugang zu einem Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung bekommen sollen. Bei Redaktions­schluss war die endgültige Textfassung hierzu noch nicht veröffentlicht.

Im Rat steht eine gemeinsame Positionie­rung noch aus. Eine Gruppe von Mitglieds­staaten (Frankreich, Griechenland, Italien, Spanien und Malta) lehnt unter Verweis auf ihre nationale Souveränität verbindliche Regelungen zur Seenotrettung ab und blo­ckiert damit eine Einigung. Derzeit führt die Ratspräsidentschaft Kompromissverhand­lungen. Vor diesem Hintergrund ist es er­freulich, dass der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD sich zur Achtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung und der Pflicht zur Seenotrettung bei Frontex-Einsätzen auf dem Mittelmeer bekennt (siehe voranstehender Artikel). Es ist zu hoffen, dass es Deutschland gelingen wird, mit dieser klaren Positionierung zur Auflö­sung der Blockade im Rat beizutragen und die anderen Mitgliedsstaaten von der Not­wendigkeit klarer und verbindlicher Regeln zur Seenotrettung zu überzeugen.

Auch die EKD-Synode hat in ihrem Be­schluss vom 13. November 2013 betont, dass, angesichts der vielen Schiffbrüchigen auf dem Mittelmeer, ein effektives System der Seenotrettung mit klaren Zuständigkeiten geschaffen werden muss. Dazu gehöre auch, dass eine einheitliche Auslegung der inter­nationalen Seerettungspflichten auf EU-Ebene verbindlich festgelegt wird.



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