Podiumsdiskussion „Die Energie der Zukunft: nachhaltig, sicher und bezahlbar für alle?“

(Jonas Klante)

Am 16. September 2013 hatte die Dienststelle Brüssel der EKD zur Podiumsdiskussion zum Thema „Die Energie der Zukunft: nachhaltig, sicher und bezahlbar für alle?“ eingeladen. Gäste waren der evangelische Theologe Prof. Dr. Peter Dabrock (Universität Erlangen-Nürnberg), Michael Köhler, ehemaliger Kabinettschef des EU-Energiekommissars Günther Oettinger und heute Direktor für EU-Nachbarschaftspolitik bei EuropeAid, sowie die EU-Parlamentarier Rebecca Harms (Grüne) und Herbert Reul (EVP), beide Mitglieder im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie. Katrin Hatzinger moderierte den Abend.

Zu Beginn der Veranstaltung erläuterte Herr Professor Dabrock in einer kurzen Präsentation die im Januar veröffentlichte Stellungnahme zum Thema Energiepolitik der „European Group on Ethics in Science and New Technologies“ (EGE).
Die Gruppe sieht in ihrer Stellungnahme einen Katalog von vier ethischen Kriterien als Grundlage für die EU-Energiepolitik an: Zugang zu Energie, Sicherheit der EU-Energieversorgung in Bezug auf externe Gefahren, wie Terror/unsichere politische Verhältnisse, Sicherheit in Bezug auf Risiken der jeweiligen Energieform, beispielsweise Atomkraft, sowie Nachhaltigkeit. Zwischen diesen Kriterien bestehe jedoch ein unvermeidlicher Zielkonflikt.
Trotz inhaltlicher Spannungen zwischen den Mitgliedern der EGE sei es, so Dabrock, dennoch gelungen, einige konkrete Empfehlungen an die Politik zu formulieren. So empfiehlt die EGE unter anderem, ein „Recht auf Energie“ im EU-Vertrag zu verankern. Mit Blick auf die Risiken der verschiedenen Energieformen solle ein Energiemix angestrebt werden, auch um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Zudem sollte ein europäisches Energienetz aufgebaut werden. Mit Blick auf Nachhaltigkeit empfiehlt die Gruppe, der Politik, an der CO2-Ausstoßsenkung festzuhalten. Da jede Energiepolitik der Unterstützung der Bevölkerung bedürfe, müssten zudem Anreize für partizipatorische Verfahren geschaffen werden, zum Beispiel durch Bürgerbefragungen. „Ein absolutes Negativbeispiel hierfür hatten wir im Fall von Stuttgart 21, wo die Bürger nicht rechtzeitig in die Planungen und Entscheidungsfindung eingebunden wurden“, so Dabrock. Dies dürfe sich bei der Energiewende nicht wiederholen.

Die Europäische Kommission verfolge die meisten der der jetzt von der EGE empfohlenen Ziele bereits seit längerem, bewertete Michael Köhler die Empfehlungen der EGE. Zum Teil enthielten sie jedoch Innovationen, wie das „Recht auf Energie“. Er wies darauf hin, dass der EU-Kommission vielfach die Hände gebunden seien: Gemäß dem Vertrag über die Europäische Union sei die Energiepolitik keine ausschließliche Kompetenz der Gemeinschaft - jede Entscheidung bedarf der einmütigen Zustimmung der Mitgliedsstaaten (vgl. Artikel 194 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union). „In der EU-Energiepolitik geht es daher zuerst immer um das Auffinden des kleinsten gemeinsamen Nenners“, erläuterte Köhler auf der anschließenden Podiumsdiskussion.

Rebecca Harms, Co-Vorsitzende der Fraktion der Grünen im Europaparlament, übte Kritik an dem Vorschlag der EGE, ein „Recht auf Energie“ in den EU-Verträgen zu verankern. „Wenn alle Rechte, die wir inzwischen auf EU-Ebene geschaffen haben, bereits so gut erfüllt wären wie ein Recht auf Energie, wären wir sehr erfolgreich“, sagte Harms und ergänzte: „Vielerorts haben wir bereits ein Recht auf Energieverschwendung.“ Niedrige Strompreise führten teilweise zu abstrusen Effekten, wie beispielsweise in Bulgarien oder Frankreich, wo die Menschen vielfach mit ineffizienten Elektroheizungen heizten, wodurch regelmäßig im Winter die Stromnetze zusammenbrechen würden. Harms betonte ferner, dass Umfragen zufolge in den meisten EU-Staaten die Mehrheit der Bevölkerung gegen Atomenergie sei. Die Hälfte der EU-Staaten sei zudem aus der Atomenergie ausgestiegen oder hätte sie nie genutzt. Sie bezweifle daher, dass Atomenergie in Europa noch eine Zukunft haben werde, zumal die Endlagerfrage weiterhin ungelöst sei. Prof. Dabrock wies Harms‘ Kritik am „Recht auf Energie“ umgehend zurück: „Ein Recht auf Energie ist ein geeignetes Gegengewicht zu der Maxime der Nachhaltigkeit.“
Herbert Reul, Mitglied der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament und Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, kritisierte die einseitige Fixierung auf Umweltgesichtspunkte der derzeitigen Politik. Dabei werde Vieles andere vernachlässigt, wie die steigenden Energiepreise, sowie weltweit zunehmende Energiearmut. Er sei von daher auch nicht von dem vorschnellen Ausstieg aus der Atomenergie überzeugt, welcher in Deutschland vollzogen wurde. „Ich möchte nicht zu viele Türen zuschlagen“, begründete Reul seine Auffassung.

Auf die Rolle Europas in Bezug auf Atomenergie angesprochen, wandte Michael Köhler ein, dass Mehrheiten für gemeinsame Beschlüsse in der Atompolitik sehr schwer zu erreichen seien, da der EURATOM-Vertrag stets die Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten vorsehe. Jedoch bestehe eine verbindlicher Beschluss, wonach alle EU-Staaten, die Kernenergie nutzen, bis 2015 ein Programm zur Endlagersuche vorlegen müssen.

Die EU-Kommission werde demnächst einen Vorschlag zur Vereinheitlichung der Haftpflichtsummen für den Betrieb von Atomkraftwerken vorlegen. Hier gebe es in Europa große Unterschiede, so liege die Haftpflichtsumme in Frankreich bei unter 100 Millionen Euro, wohingegen sie in Deutschland 2,5 Milliarden betrage. Allerdings sei auch dies gemessen an den Schäden, die in Fukushima aufgetreten seien, ein verschwindend geringer Beitrag. „Wenn wir einheitliche Standards hätten, würde das zu einer völlig neuen Strompreispolitik in einigen Mitgliedstaaten führen“, meinte Köhler, allerdings sei es eine „interessante Frage“, ob der Kommissionsvorschlag eine Mehrheit finden wird.

Einig waren sich die Teilnehmer der Runde, dass das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz dringend einer Novellierung bedarf. Michael Köhler mahnte zudem an, dass der europäische Emissionsrechtehandel reformiert und die vorhandenen Emissionsrechte verknappt werden müssten: „Es kann nicht sein, dass durch das Überangebot an Emissionsrechten technisch veraltete Braunkohlekraftwerke eine Renaissance erleben, während gleichzeitig effiziente Gas- und Ölkraftwerke unrentabel werden und Pipelines nicht mehr weitergebaut werden. Emissionsreduktionsziele müssen regelmäßig erneuert werden.“

Herbert Reul betonte, dass man auch die negativen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsaspekte der Energiewende in den Blick nehmen müsse. Herr Köhler ergänzte, dass Deutschland sich, im Gegensatz zu anderen EU-Staaten wie Irland, eine Energiewende leisten könne, nicht zuletzt dank seiner geographischen Lage, welche es erlaube, Stromengpässe durch Importe aus den Netzen der Nachbarländer auszugleichen. Dennoch sei eine konvergente Entwicklung der EU-Energiepolitik möglich. Die nationalen Regierungen verfolgten zwar sehr unterschiedliche Ziele, andererseits propagiere selbst Frankreich inzwischen eine „transformation énergétique“, da die einseitige Abhängigkeit von Atomstrom die Stromversorgung anfällig für Engpässe gemacht habe.

Prof. Dabrock gab zu bedenken, dass man sich mit der Energiewende erst am Anfang befinde. Man könne daher nicht vorschnelle Entscheidungen treffen und bestimmte Energieformen kategorisch ausschließen. Langfristig messe er der Nachhaltigkeit der Energieversorgung die höchste Bedeutung bei. „Das Ziel der Reduktion von Treibhausgasemissionen sollte mit Blick auf die globale Erwärmung beibehalten werden“, sagte Dabrock. Dieser Meinung konnte sich auch Frau Harms anschließen. Ihrer Meinung nach seien die verheerenden Überschwemmungen in Europa diesen Sommer bereits die ersten Vorboten des Klimawandels. Mit Hinweis auf die gigantischen Deichkonstruktionen an der Elbe fügte sie hinzu: „Wir sind längst in einer Anpassungsphase.“

Deutlich wurde an diesem Abend, dass, trotz einiger übereinstimmender Meinungen, nach wie vor große Kontroversen die Energiepolitik auf dem europäischen Kontinent bestimmen und auch weiterhin bestimmen werden. Dies zeigte sich insbesondere in der lebhaften Diskussion über die Zukunft der Kernenergie und die offene Endlagerfrage.



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