„Das größte Risiko ist politisch“ - Kommissionspräsident Barroso zur Lage der Europäischen Union

(Jonas Klante)

Wie auch bei seiner Rede im vergangenen Jahr war die Finanz- und Schuldenkrise das zentrale Thema der etwa 45-minütigen Rede des Kommisionspräsidenten José Manuel Barroso vor dem Plenum des Europäischen Parlaments am 11. September 2013. Barroso verwies darauf, dass die Krise vor mittlerweile fünf Jahren ihren Anfang genommen hatte. Anders, als viele Kommentatoren vorhergesagt hätten, sei der europäische Währungsraum jedoch nicht zusammengebrochen; ein griechischer Austritt aus der Gemeinschaftswährung, den viele befürchtet hätten, sei ausgeblieben. Sowohl die Europäische Union als Ganzes als auch der Euroraum seien seit 2005 gewachsen, entgegen der öffentlichen Skepsis: Mit Kroatien umfasse die EU mittlerweile 28 Mitgliedsstaaten und mit Lettland führe am 1. Januar 2014 das 18. Land den Euro ein. Barroso forderte daher zu einer positiveren Bewertung der Europäischen Union auf: „Wir müssen die Stimme für Europa erheben!“ Barroso begründete seinen Optimismus mit deutlich verbesserten ökonomischen Indikatoren, zum Beispiel in Spanien, Portugal und Irland. Zwar dürfe man angesichts der Ergebnisse nicht euphorisch werden, andererseits solle man das Erreichte auch nicht unterbewerten. Für ganz Europa sei ein „Aufschwung in Sichtweite“.

Dennoch gebe die hohe Arbeitslosigkeit weiterhin Anlass zur Sorge. Es gehe daher darum, den besonders betroffenen jungen Menschen in Europa Hoffnung zu geben. „Hoffnung und Vertrauen“, so Barroso seien auch „Teil der volkswirtschaftlichen Gleichung“. Er forderte, dass noch mehr für Wachstum, Beschäftigung und die Reform der Volkswirtschaften getan werden müsse. Als konkrete Ziele nannte er die gemeinsame europäische Bankenaufsicht sowie den sogenannten „Bankenstresstest“, welche rasch verabschiedet werden sollten. Die EU könne durch die Stärkung des Binnenmarktes zur Reform der nationalen Volkswirtschaften beitragen. Er nannte hierfür als Beispiel die geplante Abschaffung von Roaming-Gebühren für Mobilfunktelefonate. Barroso kündigte außerdem eine „digitale Agenda“ der EU-Kommission an. Es dürfe nicht sein, so Barroso, dass es „einen Markt für reale Güter, aber 28 Märkte für digitale Güter“ gebe.

Außerdem unterstrich Barroso die Bedeutung von Bildung und Forschung für die langfristige wirtschaftliche Zukunft Europas. Für die EU-Kommission hätten daher die Programme „Horizont 2020“ und „Erasmus+“ eine hohe Priorität. Barroso kündigte außerdem Vorschläge der Kommission an, um die Industrien der Mitgliedstaaten fit für das 21. Jahrhundert zu machen. Die Kommission wolle, so Barroso, vor den Europawahlen im Mai 2014 noch eine Menge erreichen.

Barroso erinnerte auch ein weiteres Mal an die Klimaschutzziele, die die EU sich gesetzt hatte. Diese hätten zur Emissionsreduktion beigetragen und gleichzeitig Arbeitsplätze geschaffen. Europa werde Klimaschutzziele auch weiterhin ehrgeizig verfolgen, dabei aber auch Rücksicht auf die Energiepreise nehmen.

Das größte Risiko für den im Moment noch fragilen Aufschwung sei politisch, so Barroso. Er verwies dabei auf die Verantwortung der nationalen Regierungen. Es habe sich gezeigt, dass zögerliches Handeln bei notwendigen Reformen bestraft werde. Er forderte die Regierungen auf, den Problemen mit der Entschlossenheit und Verlässlichkeit zu begegnen, die den Finanzmärkten immer noch fehle.

Europa sei nicht in erster Linie ein wirtschaftliches Projekt, betonte Barroso - dies sei durch die vielfältigen Auswirkungen der Krise in den Hintergrund getreten. Die Grundlage Europas seien gemeinsame Werte. Dies drücke sich auch in der Politik der EU aus, beispielsweise durch den Einsatz der Union für Verbraucherschutz, Rechte der Arbeitnehmer, Gleichberechtigung von Frauen, Minderheitenschutz, den Schutz persönlicher Daten und gemeinsame Umweltstandards.

Der ökonomische wie der politische Erfolg Europas seien voneinander abhängig, keiner können ohne den anderen bestehen. Ohne diese beiden Seiten des Erfolges sei eine Annäherung an östliche Nachbarstaaten, wie zum Beispiel an die Ukraine, undenkbar.

Barroso erinnerte auch daran, dass Europa zuallererst ein Projekt des Friedens sei. Es sei daher Teil der gemeinsamen Werte Europas, im Syrien-Konflikt eine Position zu beziehen. Barroso wies darauf hin, dass Europa die internationale Hilfe angeführt habe, indem fast 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt wurden, von denen etwa 850 Millionen Euro direkt aus dem EU-Haushalt stammten. Er verurteilte den Einsatz von Chemiewaffen in dem Konflikt scharf und forderte eine „starke Antwort“ unter der Führung der Vereinten Nationen. Der Plan, die syrischen Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu stellen, sei eine „potenziell positive“ Entwicklung. Ein anhaltender Frieden könne aber nur aufgrund einer politischen Lösung geschaffen werden.

In Bezug auf die Zukunft der Europäischen Union mahnte Barroso an, dass in allen fundamentalen Fragen ein Konsens zwischen allen Mitgliedstaaten gefunden werden müsse. Europa dürfe nicht in ein Europa der Eurozone und ein Europa der anderen Mitglieder geteilt sein. Die wirtschaftliche Kohäsion der Mitgliedsstaaten müsse vorangetrieben werden, die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten stärker werden. Er unterstrich die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips und mahnte an, dass die EU sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren müsse. „Die EU muss groß in großen Dingen und klein in kleinen Dingen sein. Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall.“, so Barroso.

Barroso betonte, dass die EU die Verletzung gemeinsamer Normen der Mitgliedstaaten ahnden können müsse. Hiermit solle nicht die nationale Souveränität in Frage gestellt werden, allerdings dürfe eine Verletzung von fundamentalen Grundrechten in EU-Mitgliedstaaten auch nicht folgenlos bleiben. Er schlug vor, die Sanktionsmöglichkeiten der Europäischen Kommission für Mitgliedstaaten auszubauen und eine Brücke zwischen unverbindlichen Aufforderungen und der Suspendierung von Mitgliedsländern zu schaffen. Er unterstrich die Bedeutung der Kommission als unabhängige Institution, die solche Sanktionen beschließen könne. Anders als in seiner Rede 2012 kündigte Barroso jedoch keine konkreten Vorschläge der Kommission für eine Reform der EU-Verträge an.

Zum Schluss seiner Rede hob der Kommissionspräsident noch einmal hervor, dass nicht die Europäische Union, sondern Fehler der nationalen Regierungen Auslöser der Finanz- und Wirtschaftskrise gewesen seien. Aber durch die vielfältigen Verflechtungen der Volkswirtschaften der EU könne eine Lösung nur auf europäischer Ebene gefunden werden.



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