Europäisches Parlament berät neues europäisches Grenzschutzsystem Eurosur

(Christopher Hörster)

Am 27. November 2012 hat der zuständige Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres im Europäischen Parlament (LIBE-Ausschuss) seine Position zum neuen europäischen Grenzschutzsystem Eurosur festgelegt. Wenn auch der Rat seinen Standpunkt wie erwartet Anfang Dezember abstimmt, beginnen die informellen Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament (EP) und der Kommission (sog. Trialog-Verfahren), um einen gemeinsamen Kompromiss zu finden.

Der Vorschlag der Kommission vom 12. Dezember 2011 für die Eurosur-Verordnung sieht die Einrichtung eines neuen europäischen Grenzschutzsystems vor (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 140). Ziel ist es, die illegale Einwanderung in die EU durch eine Verstärkung der Kontrollen an den Außengrenzen des Schengen-Raums signifikant zu verringern. Dies soll im Wesentlichen durch zwei Elemente erreicht werden:

Kernelement des neuen Grenzüberwachungssystems ist eine enge Kooperation der einzelnen nationalen Grenzschutzbehörden untereinander sowie mit der europäischen Grenzschutzagentur (Frontex). Zu diesem Zweck soll ein ausgefeiltes Informationssystems eingerichtet werden, welches einen ständigen Austausch von Vorkommnissen, Patrouillen im Einsatz, Wetterbedingungen etc. vorsieht. Das zweite wesentliche Element des Vorschlags ist die Verwendung hochentwickelter Überwachungstechnologien wie Satelliten oder Drohnen, um eine umfassende Kontrolle der EU-Außengrenzen bis an die Küsten afrikanischer Staaten zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang soll eng mit den Grenzschutzbehörden von Drittstaaten zusammengearbeitet werden.

Der Vorschlag der Kommission ist seitens Menschenrechtsorganisationen, aber auch im Europäischen Parlament, teilweise massiver Kritik ausgesetzt. Vor allem eine mangelnde Pflicht zur Seenotrettung wird beanstandet, besonders da nach Aussage der Kommission die Verringerung der Todesfälle auf See eines der Hauptziele des Vorschlags darstellt. Ska Keller, migrationspolitische Sprecherin der Grünen/EFA im Europäischen Parlament, bemängelt darüber hinaus eine drohende Verletzung des Rechtes auf Asyl und des "Non-Refoulement"-Prinzips, da die intensive Überwachung des Grenzvorbereichs zu einer umfangreichen Rückverbringung von Flüchtlingen führen könne. Eine Reihe von christlichen und nicht-christlichen NGOs, unter ihnen die "Platform for International Cooperation on Undocumented Migrants" (PICUM), der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) und die "European Association for the Defense of Human Rights" (AEDH) haben sich ihrerseits in einer gemeinsamen Stellungnahme an den zuständigen LIBE-Ausschuss des Europäischen Parlaments gewandt. In dem gemeinsamen Appell werden vor allem negative Auswirkungen auf das Recht auf Asyl kritisiert sowie eine stärkeres Engagement für Seenotrettung gefordert.

Darüber hinaus wurden die immensen Kosten des Eurosur-Systems mehrfach in den parlamentarischen Diskussionen beanstandet. Grund zur Sorge bereiten die Ergebnisse einer Studie der Heinrich-Böll-Stiftung ("Borderline - The EU's New Border Surveillance Initiatives"), die für das gesamte Projekt weitaus höhere Kosten für möglich hält als von der Kommission veranschlagt. Auch datenschutzrechtliche Bedenken werden immer wieder geäußert. So erscheint bedenklich, dass der Vorschlag vorsieht, auch personenbezogene Daten, beispielweise von Flüchtlingen, mit Drittstaaten auszutauschen.

Das EKD-Büro Brüssel hat sich, was das dringende Thema der Seenotrettung angeht, gemeinsam mit seinen christlichen Partnerorganisationen ebenfalls intensiv in den politischen Prozess eingebracht. In Abstimmung mit dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) wurden konkrete Änderungsvorschläge für die Eurosur-Verordnung erarbeitet, die sich erfreulicherweise zum überwiegenden Teil in der vom LIBE-Ausschuss verabschiedeten Positionierung wiederfinden. Die eingebrachten Änderungsvorschläge zielen zum einen auf einen effektiven Austausch von Informationen über Menschen in Seenot, um so zu einer möglichst umfassenden Rettung Schiffbrüchiger beizutragen, zum anderen auf eine präventive Identifikation von für kleine Boote gefährlichen Zonen.

Angesichts von mehr als 1.500 Toten im Mittelmeer allein 2011 ist die Schaffung eines effektiven Mechanismus für Seenotrettung unbedingt erforderlich. Vorfälle in der Vergangenheit haben wiederholt gezeigt, dass die Kommunikation zwischen Grenzschutzbehörden diesbezüglich dringend verbessert werden muss. Streitigkeiten, beispielsweise über die Zuständigkeit für einzelne Rettungsaktionen, dürfen in keinem Fall zu Lasten von Menschen gehen, die sich in konkreter Lebensgefahr befinden. Insofern bleibt zu hoffen, dass sich das EP auch weiterhin für die Bestimmungen zur Seenotrettung stark macht und sich auch der Rat und die Kommission in den Verhandlungen zu Eurosur den dringend notwendigen Schritten nicht verschließen.

Sie finden den Vorschlag der Kommission unter:



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