Wie arm sind wir? - Ergebnisse der Untersuchung zu "Leben in Europa"

(Christoph Schnabel)

 Rund 16 Millionen Menschen, also etwa jede/r Fünfte (19,9 Prozent) in Deutschland, waren 2011 von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Dies ist eine der Schlussfolgerungen der Untersuchung "Leben in Europa", welche vom Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) jedes Jahr durchgeführt wird. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden am 23. Oktober 2012 in Brüssel vorgestellt. Es wurde konstatiert, dass Frauen mit einer Quote von 21 Prozent häufiger von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen sind als Männer (18 Prozent). Alleinerziehende und deren Kinder stellen mit 37 Prozent dabei die Gruppe mit der höchsten Armutsgefährdung dar. Als armutsgefährdet gilt bei dieser Erhebung, wer inklusive staatlicher Leistungen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens im nationalen Vergleich verdient. Bei der Untersuchung wurden mehr als 13.500 Haushalte befragt.

Allerdings wurden die Schlussfolgerungen der Untersuchung kritisch von der Presse rezipiert. Die grundlegende Problematik beginnt bei der Definition von Armut und deren einheitlicher Erfassung. Drei Kriterien werden der Analyse zu Grunde gelegt:

Erstens die Armutsgefährdungsquote, welche am gewichteten Netto-Einkommen gemessen wird: Personen, die von weniger als 952 Euro im Monat leben und somit über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügen, gelten als armutsgefährdet. Dies trifft laut der EU-Studie auf 15,8 Prozent der Bundesbürger zu.

Zweitens der Faktor der erheblichen materiellen Entbehrung: Hierbei wird festgehalten, ob Geld für vier von neun grundlegenden Ausgaben, wie z.B. Miete, Heizung, Auto, Waschmaschine, Farbfernseher, Telefon oder mindestens eine Woche Urlaub im Jahr außerhalb der eigenen Wohnung, fehlt.

Drittens eine sehr geringe Erwerbsbeteiligung: Dieses Merkmal würde z.B. auf alleinstehende Personen ohne Kinder zutreffen, die weniger als 2,4 Monate im Jahr arbeiten.

Kritisiert wird insbesondere, dass lediglich eines der drei Kriterien bei einer Person erfüllt sein muss, um als von Armut und sozialer Ausgrenzungen Betroffener zu gelten. Karl Schiewerling (MdB CDU) deutete die Ergebnisse der Studie als ein "Zerrbild der Realität". Ebenso kritisierte Heinrich Kolb (MdB/FDP) die Studie: "Es ist fraglich, ob man mit den Kriterien verschiedene Lebenswirklichkeiten in Deutschland wirklich abbildet."

Auch eine Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung verweist auf eine differenzierte Betrachtung. Vielmehr spielen auch lokale und regionale Faktoren eine maßgebliche Rolle. Die Autoren der Studie, Eric Seils und Daniel Meyer, bringen dies prägnant auf den Punkt: "Die Armutsgefährdung in den deutschen Metropolen ist höher und steigt schneller als im Bundesgebiet insgesamt. Der Anteil der Hilfebedürftigen nach dem SGB II sinkt hingegen." Dies gäbe Anlass zu der Vermutung, "dass der Armutsanstieg vor allem auf milde Formen der Armut zurückzuführen sind". Auch andere Experten, wie der Statistikprofessor Walter Krämer (Dortmund), sehen bei der europäischen Methode eine Messung von "Ungleichheit, aber nicht Armut". Dass die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise mit der steigenden Arbeitslosigkeit und besonders der Jugendarbeitslosigkeit die soziale Kohäsion gefährdet, ist dabei unumstritten. Die Problematik der Definition als auch konkrete Maßnahmen zur Armutsbekämpfung werden auch im Mittelpunkt der diesjährigen Konferenz der Europäischen Plattform gegen Armut im Dezember 2012 in Brüssel stehen. Dabei wird erwartet, dass auch hier ein Impuls zu einer besseren Erfassung und Bewältigung krisenbedingter Armut erzielt wird.

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