Vorschlag der Kommission zu „Smart Borders“: Ein unverhältnismäßiger und über­teuerter Eingriff in die Privatsphäre?

(Susanne Herkommer)

Am 17. September 2013 hat sich der Innen­ausschuss des Europäischen Parlaments erstmals mit dem Gesetzgebungspaket „Intelligente Grenzen“ befasst. Die Europäi­sche Kommission hatte die Vorschläge am 28. Februar 2013 vorgelegt.

Die Kommission schlägt im Einzelnen die Einführung eines Einreise-/Ausreisesystems (EES) sowie eines Registrierungsprogramms für Reisende (RTP) vor. Das EES sieht die Speicherung des Ein- und Ausreiseorts und -zeitpunkts aller in die EU ein- und ausrei­senden Drittstaatsangehörigen in einer elektronischen Datenbank vor. Dabei sollen unter anderem alle zehn Fingerabdrücke registriert werden. Allein diese Maßnahme würde im Durchschnitt pro Reisendem zu­sätzlich drei Minuten dauern. Das EES soll das bisher übliche Abstempeln der Pässe ersetzen und es den Behörden erleichtern, eine Überschreitung der zulässigen Aufent­haltsdauer festzustellen. Das Datensystem generiert in diesem Fall eine Warnmeldung für die nationalen Behörden. Das RTP wie­derum soll die Einreisekontrollen für be­stimmte Vielreisende, die sich einer um­fang­reichen Vorabprüfung unterzogen haben, beschleunigen. Die im RTP regis­trierten Personen können automatische Gates nut­zen und so die Warteschlangen umgehen. Durch die Erleichterung der Ein­reise soll unter anderem die Attraktivität Europas als Reiseziel gestärkt werden. Die Europäische Kommis­sion rechnet bis 2020 mit Kosten von über einer Milliarde Euro für die Ein­richtung und den Betrieb der Systeme. Erfahrungen mit einem ähnlichen System in den USA lassen jedoch beträchtlich höhere Kosten befürch­ten.

Kritisiert wird an den geplanten Maßnah­men neben den hohen Kosten vor allem die Erhebung und Speicherung großer Mengen sensibler Daten von Reisenden. Zumal ist im Kommissionsvorschlag die Option vorgese­hen, auch den Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf die EES-Datenbank zu gewäh­ren. Der Nutzen des Systems für den eigent­lichen Zweck, nämlich Überschreitungen der zulässigen Aufenthaltsdauer zu verhindern, dürfte hingegen gering sein. Die für ein Ein­schreiten der Behörden erforderlichen In­formationen über den Aufenthaltsort der betroffenen Person kann die Datenbank nicht liefern. Auch fehlt ein einheitlicher Umgang der EU-Mitgliedsstaaten mit soge­nannten „Overstayers“.


Das zwar grundsätzlich freiwillige RTP mit seiner umfangreichen und datenintensiven Vorprüfung läuft Gefahr, als einzige Alterna­tive zu übermäßig langen Wartezeiten an den Grenzkontrollen faktisch zum Zwang zu werden.

Ska Keller, Schattenberichterstatterin der Grünen, formulierte ihre Kritik in der De­batte im EP-Innenausschuss so: „Smart Borders sind ein völlig ungerechtfertigter Eingriff in die Rechte von Reisenden, sie sind ziel- und nutzlos, grundrechtswidrig und diskriminierend, sie werden uns Milli­arden kosten und sie werden die Warte­schlangen an den europäischen Grenzen erheblich verlängern.“

Auch der Datenschutzbeauftragte der EU, Peter Hustinx, übt deutliche Kritik am „Smart-Borders“-Paket und bezeichnet es als kostspielig, unbegründet und eingriffs­intensiv. In seiner Stellungnahme vom 18. Juli 2013 stellt er einen Eingriff des gegen­wärtigen EES-Kommissionsvorschlags in das in der EU-Grundrechtecharta veran­kerte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens fest.

Im Europäischen Parlament will man vor den Europawahlen nicht mehr über die Vor­schläge abstimmen. Mit dem Gesetz­gebungsverfahren wird es voraussichtlich frühestens 2015 weitergehen.

Insbesondere vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzkrise, den damit verbundenen Sparmaßnahmen und Ein­schnitten bei den Sozialausgaben der Mit­gliedsstaaten scheint das milliardenteure „Intelligente-Grenzen“-Paket fehl am Platz, zumal sein Nutzen mehr als fraglich ist. Es existieren bereits eine ganze Reihe elektro­nischer Datenbanken im Grenzmanagement, wie etwa das Schengener Informationssys­tem SIS II, die zunächst einer Evaluation unterzogen werden sollten, bevor wieder eine neue umfangreiche Datensammlung geschaffen wird. Hohe Kosten, Eingriffe in die Privatsphäre und ein Generalverdacht gegen Reisende, der einen Zugriff der Straf­verfolgungsbehörden auf ihre Fingerabdrü­cke rechtfertigen soll - das alles spricht ge­gen das Gesetzgebungspaket. Eine nochma­lige ernsthafte und ergebnisoffene Überprü­fung der Vorschläge durch die Kommission, etwa im Rahmen einer Studie, wäre daher zu begrüßen. Dabei sollte auch die Option in den Blick genommen werden, den Vorschlag zurückzuziehen.

Die Kommissionsvorschläge finden Sie unter:

Die Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten können Sie hier abrufen.



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