Das Sozialinvestitionspaket - Feigenblatt oder wichtiger sozialpolitischer Impuls?

(Katrin Hatzinger)

Am 20. Februar 2013 hat die Europäische Kommission ein Bündel von Initiativen für die Sozialpolitik in der EU vorgestellt, das den sperrigen Namen "Sozialinvestitionspaket" trägt:

Hintergrund für die Veröffentlichung des Pakets, dessen Maßnahmen nicht bindend sind, ist laut Kommission, dass aufgrund der Wirtschaftskrise Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung neue Höchststände erreicht haben. Dies gefährde das Ziel der EU, bis 2020 mindestens 20 Millionen Menschen aus Armut und sozialer Ausgrenzung herauszuführen.

Diesen besorgniserregenden Trend hat nicht zuletzt der Bericht der Kommission über die Entwicklungen in den Bereichen Beschäftigung und Soziales eindrücklich vor Augen geführt, der am 8. Januar 2013 in Brüssel vorgestellt worden ist. Darin wird deutlich, dass insbesondere in den Mitgliedstaaten im Süden und Osten Europas die Einkommen der Privathaushalte weiter schrumpfen, Arbeitslosigkeit insbesondere unter jungen Menschen steigt und das Armuts- und Ausgrenzungsrisiko zunimmt, da die öffentlichen Haushalte in Zeiten knapper Kassen bei den Sozialausgaben sparen. Der Bericht belegt aber auch, dass EU-Staaten mit geeigneten arbeitsmarktpolitischen Reformen und einer angemessenen Ausgestaltung der Sozialfürsorgesysteme der Krise besser standhalten und sie schneller überwinden können. Investitionen in den Sozialsektor zahlen sich also längerfristig aus.

Deshalb soll das Paket zu den Sozialinvestitionen die Mitgliedstaaten anhalten, mehr Geld in die sozialen Sicherungssysteme und den sozialen Sektor insgesamt fließen zu lassen und Haushaltsmittel effizienter und effektiver als bislang einzusetzen. Dazu gehören bessere Strategien der aktiven Inklusion. Ein besonderer Schwerpunkt soll auf der Bekämpfung der Kinderarmut liegen. Wenn der Staat hier bereits ansetze, könne der generationenübergreifende Kreislauf von Armut und sozialer Ausgrenzung durchbrochen werden, so die Kommission.
Neben einer Mitteilung umfasst das Paket u.a. folgende Elemente:

  • Den dritten Zweijahresbericht über Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse, der Behörden und Akteuren helfen soll, die überarbeiteten EU-Regeln zu Sozialdienstleistungen zu verstehen und umzusetzen
  • Ein Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen zur Langzeitpflege, das die diesbezüglichen Herausforderungen und Politikmöglichkeiten aufzeigt
  • Ein Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit, das die Situation der Obdachlosen in der EU und mögliche Strategien beleuchtet
  • Ein Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen zu Investitionen in Gesundheit
  • Ein Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen, das darlegt, wie der Europäische Sozialfonds zur Umsetzung des Sozialinvestitionspakets beitragen wird.

Die Kommission platziert ihrer Vorschläge in einem integrierten Politikrahmen: So soll 1. ein wirksamerer Einsatz von Finanzmitteln eine angemessene und nachhaltige sozialen Sicherheit gewährleisten, 2. verstärkt in die Fähigkeiten und Qualifikationen der Bürgerinnen und Bürger investiert werden und 3. sollen Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass die Sozialschutzsysteme den Bedürfnissen der Menschen in kritischen Lebensabschnitten gerecht werden, z. B. durch einen besseren Zugang zu Kinderbetreuung.

Finanziert werden sollen die postulierten Ziele v. a. aus dem EU-Sozialfonds. Mit Hilfe länderspezifischer Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters will die Kommission die Mitgliedstaaten schließlich anhalten, die Leistung ihrer Sozialschutzsysteme zu optimieren.

Ist es für die Mitgliedstaaten auch nicht bindend, ist das Paket immerhin zeitlich gut platziert, soll doch Präsident van Rompuy bis zum Europäischen Rat im Juni ein Papier zur sozialen Dimension der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion ausarbeiten. Anregungen wird er in dem Maßnahmenbündel der Kommission sicher finden. Angesichts der Tatsache, dass sozialpolitische Fragen, auch aufgrund der beschränkten Kompetenz der EU, bislang in Brüssel eher ein Schattendasein fristeten, ist es Sozialkommissar Andor hoch anzurechnen, dass er für den Text den Rückhalt des Kommissarskollegiums erhalten hat.

Man kann das sehr komplexe Konvolut an Vorschlägen deshalb durchaus wohlwollend so interpretieren, dass die Kommission mit einer sozialen Abfederung der Austeritätsmaßnahmen ernst machen will.

Es bleibt aber die Frage: Wer soll das bezahlen? Der lapidare Verweis auf die europäischen Strukturfonds kann nicht wirklich überzeugen.

Es wird also auf die Umsetzung ankommen und es ist davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten die Ideen aus Brüssel nicht ohne Weiteres aufgreifen werden. Hier hat die Kommission in der Vergangenheit, als es etwa um die Umsetzung des Armutsbekämpfungsziels der Europa-2020-Strategie in den Mitgliedstaaten ging, nicht wirklich Durchsetzungskraft und Konsequenz an den Tag gelegt. Die Mitgliedstaaten wiederum, auch Deutschland, zeigten bislang keinen wirklichen Ehrgeiz (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 136).

Fazit: Das Sozialinvestitionspaket enthält viele gute und richtige Ansätze. Die Richtung stimmt. In seiner Dichte und Komplexität fällt es aber zunächst schwer, eine klare Strategie auszumachen. Deshalb bleibt abzuwarten, ob es sich wirklich zu einer Art EU-Standard entwickeln und behaupten oder von den Mitgliedstaaten weitestgehend ignoriert werden wird.



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