Konsolidierung und Kooperation mit Drittstaaten: Europäischer Rat beschließt über die Zukunft der Asyl- und Migrationspolitik

(Susanne Herkommer)

Auf ihrer Sommersitzung am 26. und 27. Juni 2014 haben die Staats- und Regierungschefs der EU strategische Leitlinien zur Justiz- und Innenpolitik der nächsten fünf Jahre verabschiedet. Erstmals wurde damit in diesem Politikbereich kein detailliertes Programm beschlossen, wie etwa das von 2009 bis 2014 geltende Stockholm-Programm, sondern ein sehr knappes strategisches Papier. Die Festlegung solcher strategischer Leitlinien für die gesetzgeberische und operative Programmplanung in der Justiz- und Innenpolitik durch den Europäischen Rat ist seit dem Lissabonner Vertrag in Artikel 68 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) vorgesehen.

 

Der Europäische Rat legt im Bereich Asyl und Migration, wie auch schon die Kommission in ihrer Mitteilung vom März 2014, den Schwerpunkt auf die einheitliche Umsetzung, wirksame Anwendung und Konsolidierung der vorhandenen Rechtsinstrumente und politischen Maßnahmen. So wird festgehalten, dass die vollständige Umsetzung und wirksame Anwendung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) absolute Priorität habe. Ziel soll sein, gleiche Rahmenbedingungen für Schutzsuchende in der Union zu erhalten, wobei das Europäische Asylunterstützungsbüro EASO eine wichtige Rolle spielen soll. Auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens sei es denn auch möglich, „die nächsten Schritte" einzuleiten.

 

Daneben wird insbesondere die Bedeutung der externen Dimension der Asyl- und Migrationspolitik betont. Die Staats- und Regierungschefs sehen die Antwort auf viele der Herausforderungen in diesem Politikbereich in der besseren Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitstaaten. Migration müsse stärker als bisher Bestandteil der Außen- und Entwicklungspolitik werden. Durch den Ausbau der Kapazitäten von Drittstaaten zur Migrationssteuerung und zum Grenzmanagement soll erreicht werden, dass sich Flüchtlinge und Migranten von dort aus gar nicht erst auf die Reise nach Europa machen. Dem gleichen Ziel soll die von den Staats- und Regierungschefs befürwortete Stärkung regionaler Schutzprogramme in der Nähe der Herkunftsregionen dienen, in enger Zusammenarbeit mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR).

 

Irreguläre Migration soll energisch bekämpft werden. Zum Einen durch eine Verstärkung des Grenzschutzes, insbesondere durch den Ausbau der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Zum anderen durch die Bekämpfung der Schleuserkriminalität und des Menschenhandels. Die Staats- und Regierungschefs fordern die EU-Institutionen in diesem Zusammenhang auch zur Prüfung der Einrichtung eines europäischen Systems von Grenzschutzbeamten auf.

 

In den Leitlinien werden die Vorteile legaler Migration betont und die die Anwerbung von Fachkräften und Talenten befürwortet. Hierfür sollen die Möglichkeiten der Arbeitsmigration maximiert werden. Legale Zugangsmöglichkeiten für Flüchtlinge, wie etwa humanitäre Visa oder geschützte Einreiseverfahren, werden hingegen nicht direkt erwähnt. Es ist jedoch von einem „umfassenden Ansatz" die Rede, der die Vorteile legaler Zuwanderung nutzt, Schutz gewährt, aber auch energisch gegen irreguläre Migration vorgeht. Außerdem wird auch auf die Ergebnisse der Task Force Mittelmeer verwiesen (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 144). Ob damit auch der Auftrag an die Kommission verbunden ist, Optionen für legale Zugangsmöglichkeiten von Flüchtlingen zu prüfen, hängt auch von der Durchsetzungsfähigkeit des oder der neuen Innenkommissar/-in ab. Zu begrüßen ist, dass die Staats- und Regierungschefs zur Verstärkung des europäischen Beitrags zu Resettlement-Programmen aufrufen.

 

Die Forderung nach der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen, der ursprünglich aufgenommen werden sollte, ist in den Leitlinien nicht mehr explizit genannt.

 

Die dringend erforderliche Reform des Dublin-Systems und eine gerechtere Verteilung der Verantwortung für Asylsuchende unter den Mitgliedstaaten ziehen die Staats- und Regierungschefs in den Leitlinien ebenfalls nicht ausdrücklich in Erwägung, obwohl es heißt: „Angesichts von Herausforderungen wie der Instabilität in vielen Teilen der Welt und wegen demografischer Entwicklungen braucht die EU eine wirksame und gut gesteuerte Migrations-, Asyl, -und Grenzpolitik, die sich auf die Vertragsgrundsätze der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten (...) stützt."

 

In Bezug auf die EU-Binnenmigration betont der Europäische Rat, dass diese grundlegende Freiheit der EU nicht in Frage gestellt werden dürfe, wobei Missbrauch und Betrug jedoch ein Riegel vorgeschoben werden müsse.

 

Zu kritisieren ist an den Leitlinien insbesondere der zu starke Fokus auf die Kooperation mit Drittstaaten, wie z. B. Libyen. Die EU darf ihre Verantwortung für Schutzsuchende nicht externalisieren und auf Drittstaaten abschieben.

 

Im Bereich der Arbeitsmigration hingegen bieten die Leitlinien positive Anknüpfungspunkte für eine Reform und die Vereinheitlichung des bisher fragmentierten Rechtsrahmens und damit die Chance auf verbesserte Zugänge für Migranten.

Insgesamt bleiben die strategischen Leitlinien sehr allgemein. Dies mag auch der derzeitigen politischen Situation in einer Reihe von Mitgliedstaaten geschuldet sein, in denen rechtsgerichtete Parteien an Einfluss gewonnen haben. Die Unbestimmtheit der Leitlinien mit wenigen konkreten Arbeitsaufträgen birgt die Gefahr eines Stillstands in der Asyl- und Migrationspolitik, bietet andererseits der Europäischen Kommission jedoch auch gewisse Freiräume und wurde dementsprechend von der Fachebene begrüßt. Im Rahmen der Umsetzung sollte sich die Zivilgesellschaft dafür einsetzen, dass diese Freiräume auch für neue Gesetzesinitiativen genutzt werden. Bereits im Rahmen der öffentlichen Konsultation der Kommission zur Zukunft der Justiz- und Innenpolitik im Januar 2014 haben NGOs und kirchliche Organisationen deutlich gemacht, dass die einheitliche Umsetzung des bestehenden Asylbesitzstands zwar tatsächlich von großer Bedeutung ist, die Asyl- und Migrationspolitik hier jedoch nicht beim Status Quo stehen bleiben darf. Es gibt weiterhin dringenden Reformbedarf und Schutzlücken, die geschlossen werden müssen.

Die EU-Institutionen sind vom Europäischen Rat nunmehr aufgefordert, die geeigneten Maßnahmen zur Umsetzung der Leitlinien zu ergreifen. Die Staats- und Regierungschefs werden im Jahr 2017 eine Halbzeitüberprüfung vornehmen.



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