Europa neuen Schwung geben – Die Ziele und Schwerpunkte der italienischen Ratspräsidentschaft

(Steffen Schmid, Theologe im Sondervikariat)

Fast zeitgleich mit dem Beginn der neuen Wahlperiode des Europäischen Parlaments hat Italien zum 1. Juli 2014 den Vorsitz im EU-Ministerrat übernommen. Nichts Geringeres als einen neuen Start für Europa hat sich das südeuropäische Land für die kommenden sechs Monate vorgenommen. Ein Hauptaugenmerk der italienischen Agenda liegt dabei weiterhin auf dem Umgang mit der Wirtschafts- und Finanzkrise und deren Folgen, die in vielen europäischen Ländern noch deutlich zu spüren ist. Mehr als 26 Millionen Menschen in Europa sind arbeitslos, darunter viele junge, weshalb die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit (siehe nachstehender Artikel) ein Hauptziel sein soll. Die europäische Wirtschaftspolitik solle sich dabei wieder stärker auf die traditionellen Bereiche der Realwirtschaft besinnen, indem vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor stärker unterstützt werden sollen. Mit dem Ziel einer „industriellen Renaissance" erhofft sich Italien dabei eine Stärkung der europäischen Märkte und eine Reduzierung der Arbeitslosigkeit in den Mitgliedsländern der EU. Auch den „Sparzwang" der vergangen Jahre möchte Italien lockern.

 

Daneben bleibt die Frage nach der langfristigen Sicherung und der Nachhaltigkeit europäischer Energieversorgung ein weiteres Thema. Das Ziel der italienischen Präsidentschaft ist es, beim Oktobergipfel des Europäischen Rates eine Entscheidung über die zukünftige Klima- und Energiestrategie der Union bis 2030 zu erreichen. Darin sollen die Reduzierung der aus EU-Ländern emittierten Treibhausgase im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent sowie den Anteil erneuerbarer Energien an der Energieversorgung auf mindestens 27 Prozent festgeschrieben werden. Davon soll gerade angesichts der noch dieses Jahr anstehenden UN-Klimagipfel in New York und Lima ein produktiver Impuls an andere Länder ausgehen (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 145 und die Rubrik Umwelt & Energie dieser Ausgabe). Angesichts der aktuellen Krise in der Ukraine wird auch die weitere Diversifikation und Unabhängigkeit europäischer Energieversorgung eine Rolle in den Sitzungen des Rates spielen.

 

Ein zentrales Thema Italiens bleibt angesichts der massiven Flüchtlingsströme über das Mittelmeer die Weiterarbeit an einer gemeinsamen europäischen Asyl- und Migrationspolitik. Als Grundlage dienen die strategischen Leitlinien (siehe nachstehender Artikel). Italien stellt hier interessanterweise die Entwicklung von neuen Regeln zur gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen in Aussicht. Daneben spricht das Programm von einem „europäischen System von Grenzschützern".Des Weiteren ist Italien, aber auch anderen Mittelmeeranrainerstaaten, eine solidarischere Lastenverteilung ein Anliegen. Darüber hinaus gibt es wenig überraschende Überlegungen zur externen Dimension der Migrationspolitik, wie die Bekämpfung irregulärer Einwanderung, von Schmuggel und Menschenhandel. Geplant sind die Stärkung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex und der Ausbau der Kooperation mit Drittstaaten. Auch die Umsetzung der Empfehlungen der „Mittelmeer-Task-Force" (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 144) steht auf der Agenda. Schließlich möchte Italien an der Schaffung einer gemeinsamen Einwanderungspolitik weiterarbeiten.

 

Im Hinblick auf Menschenrechte soll der Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unter italienischem Vorsitz vorangebracht werden. Explizit soll der Fokus auf die Stärkung und den Schutz der Religionsfreiheit gelegt werden, wobei interreligiöser Dialog als Faktor für sozialen Zusammenhalt Erwähnung findet.

 

Des Weiteren will Italien „kollektives Nachdenken" über europäisches Regieren anstoßen und Europa nah an die Menschen heranführen. Dabei soll zudem ein Augenmerk darauf gelegt werden, welche Aufgaben im Sinne des Subsidiaritätsgrundsatzes besser auf der regionalen und nationalen Ebene geregelt werden können.

 

Auch auf eine stärkere Koordinierung der gemeinsamen europäischen Außenpolitik möchte die italienische Ratspräsidentschaft einen besonderen Fokus legen. Nur durch gemeinsames Auftreten und die Stärkung des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik und des Europäischen Auswärtigen Dienstes könne die EU der zentralen Rolle gerecht werden, die sie gerade für die Lösung der vielen Konflikte an den Grenzen der Union spielen sollte. Für Italien liegt es auf der Hand, sich gerade auch im Mittelmeerraum stärker zu engagieren. Dabei soll der aktuelle Übergangsprozess der nordafrikanischen Staaten stärker unterstützt und begleitet werden. Weitere Schwerpunkte bleiben Übergangssituationen in Libyen und Ägypten sowie der Friedensprozess im Nahen Osten. Außerdem gilt es den Herausforderungen an den östlichen Unionsgrenzen zu begegnen, wozu vor allem der Konflikt in der Ukraine und die Vorbereitung der Assoziierungsabkommen mit Georgien und Moldawien gehören.

 

Im Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik möchte die italienische Ratspräsidentschaft die Effektivität und Flexibilität der europäischen Zusammenarbeit verbessern. Darunter fallen u. a. eine stärkere Verknüpfung von Rüstungsprojekten der EU-Mitgliedsländer z. B. im Bereich der Drohnentechnik, neuer Kommunikationssatelliten und den Fähigkeiten zur Cyber Defence sowie das vertiefte Gespräch mit der NATO über Rolle und Aufgabe beider Institutionen.

 

Ebenso gehen auch die Verhandlungen über das zurzeit heftig diskutierte transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) weiter, welche in den kommenden Monaten, wenn es nach dem italienischen Ratsvorsitz geht, einen spürbaren Fortschritt machen sollen.

 

Im Hinblick auf das Datenschutzpaket will Italien „substantielle Fortschritte" erzielen.

 

Insgesamt strebt die Ratspräsidentschaft mit ihrer Agenda wieder eine stärkere Ausrichtung an den Zielen der „Europa-2020"-Strategie an, deren bisherige Umsetzung hinter den geplanten Fortschritten zurückbleibt (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 145). Hier ist mit Hilfe effektiverer Instrumente eine Re-Vitalisierung geplant, um intelligentes, nachhaltiges und inklusives Wachstum zu fördern.

 

Fazit: Ein ehrgeiziges Programm, das die vielen großen Baustellen der EU erkennen lässt. Gut, dass mit Italien nun eine Trio-Präsidentschaft die Arbeit aufnimmt. Lettland und Luxemburg können dann die italienischen Impulse fortführen.



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