Gentechnik auf den Feldern der Europäischen Union? Opt-Out-Regelung soll für Klarheit unter den Mitgliedstaaten sorgen

(Anne M. Müller)

Der EU-Rat für Allgemeine Angelegenheiten hat am 23. Juli 2014 auf seiner Tagung in Brüssel unter neuer italienischer Ratspräsidentschaft eine gemeinsame Position verabschiedet, die weitreichende Änderungen der Richtlinien zum Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) zur Folge haben wird. Die Änderungen räumen den einzelnen Mitgliedsstaaten (MS) die Möglichkeit ein, auf ihrem Territorium den Anbau von GVO zu beschränken oder zu verbieten. Damit wird eine Rechtsgrundlage für sogenannte Opt-Outs (Ausnahmeregelungen) der Mitgliedsstaaten geschaffen und ihnen wird „mehr Flexibilität und Rechtssicherheit für nationale Entscheidungen über den Anbau auf ihren Territorium oder Teilen davon" eingeräumt, so der maltesische EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg. Die Bundesregierung hat diesen Vorschlag einvernehmlich unterstützt, wobei der Bundesrat und der Bundestag deutliche Bedenken im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der Opt-Outs geäußert haben. Dennoch bezeichnet Bundesumweltministerin Barbara Hendricks den Vorschlag für Deutschland als „eine sichere Bank [ist], weil wir so diese Sorten bei uns nicht zulassen müssen." Luxembourg wie auch Belgien haben sich als einzige Mitgliedsstaaten bei der Abstimmung der Stimme enthalten.

 

Bei dem Entwurf, den die EU-Umweltminister bereits am 12. Juni 2014 in Luxemburg diskutiert und angenommen hatten, handelt es sich um einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG. Im Wesentlichen geht es darum, dass Mitgliedsstaaten das Recht bekommen sollen, GVO, die auf EU-Ebene schon genehmigt wurden, auf ihrem eigenen Hoheitsgebiet trotzdem einzuschränken oder ganz zu verbieten. Damit werden in diesem Bereich Entscheidungskompetenzen auf die nationale Ebene zurückgegeben. Lange Zeit bestand zwischen den Mitgliedsstaaten große Uneinigkeit darüber, ob genmanipulierten Pflanzen der Zugang zum europäischen Markt komplett ermöglicht oder verboten werden solle. Deutschland, Österreich und andere Staaten lehnen Gentechnik weitgehend ab, während beispielsweise Großbritannien oder Spanien weniger kritisch sind. Bisher gab es ein Verfahren, das GVO entweder für die ganze EU zuließ oder ablehnte, wobei eine Ablehnung nur aufgrund neuer fundiert-wissenschaftlicher Erkenntnisse über Gefahren für Gesundheit und/oder Umwelt durchzusetzen war. Nationale Ausnahmen waren sehr schwer zu erreichen und es kam immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedsstaaten sowie zwischen den EU-Institutionen wie erst im Februar diesen Jahres in der Debatte um die Zulassung der gentechnisch veränderten Maissorte 1507.

 

Mit dem Änderungsvorschlag wird ein Zwei-Stufen-Verfahren eingeführt. Zuerst stellt ein Saatgutkonzern wie beispielsweise Monsato den Antrag darauf, dass sein Produkt in der EU zugelassen wird. Die EU-Kommission (Kommission) lässt den Antrag durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) wissenschaftlich überprüfen. Wird das Produkt von der EFSA als unbedenklich eingestuft, verhandelt die Kommission mit dem Konzern anschließend über die geographische Ausdehnung einer möglichen Zulassung unter Berücksichtigung derjenigen Mitgliedsstaaten, die sich bereits grundsätzlich gegen GVO ausgesprochen haben. Einigen sich die Kommission und das Unternehmen in dieser Phase auf die Zulassung eines GVO für dieses geographisch eingeschränkte Gebiet, bekommt der Konzern eine EU-weite Zulassung ausgenommen der besagten Staaten/Gebieten.

 

Stimmt das Unternehmen dem Vorschlag zur geographischen Ausdehnung durch die Kommission nicht zu, wird das Verfahren auf eine zweite Ebene gehoben. Die einzelnen Mitgliedsstaaten können nun ihr Recht auf eine Opt-Out-Regelung geltend machen. Galten bisher nur neue wissenschaftliche Erkenntnisse als Gründe, eine Pflanze auf seinem Territorium nicht zuzulassen, können nach der Änderung der Richtlinie auch nicht-wissenschaftliche Kriterien als Gründe für eine Einschränkung oder ein Verbot von GVO durch die Mitgliedsstaaten vorgebracht werden. Mögliche Gründe wären beispielsweise: (1) Umwelt- und landwirtschaftspolitische Ziele; (2) Stadt- und Landplanung; (3) Landnutzung; (4) Sozioökonomische Auswirkungen; (5) Vermeidung von GVO in anderen Produkten; (6) Gründe der öffentlichen Ordnung bzw. des öffentlichen Interesses.

 

Verhandlungspartner sind dabei in jedem Fall die Kommission und der Agrarkonzern. Es ist nicht vorgesehen, dass Staaten direkt mit den Konzernen verhandeln. Begründet wird dieses Verfahren mit der Sorge um die Rechtssicherheit. Man will verhindern, dass Konzerne die Zulassung von Gen-Saatgut vor Gericht durch Klagen erzwingen. Diese Rechtssicherheit wird allerdings von Kritikern bezweifelt. Wenn es zur Näherbestimmung der Gründe kommt, bleibt der Änderungsvorschlag in seinen Formulierungen sehr vage und fordert, dass die Gründe „begründet, verhältnismäßig und nicht-diskriminierend" sein sollten.

 

Das Europäische Parlament (EP) hatte bereits im Juli 2011 mit großer Mehrheit (548 zu 84 zu 31) eine Entschließung verabschiedet, die eine deutliche Stärkung des Vorsorgeprinzips sowie eine grundlegende Überarbeitung der Gentechnik-Risikobewertung durch die EFSA im Rahmen der geplanten Änderungen eingefordert hatte: „Insbesondere sollten die langfristigen Umweltauswirkungen genetisch veränderter Kulturen sowie ihre potenziellen Auswirkungen auf Nichtzielorganismen einer strengen Bewertung unterzogen werden; […] Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Mitgliedstaaten sollten sich bemühen, ein umfangreiches Netz von Wissenschaftsorganisationen aufzubauen, […], damit potenzielle Divergenzen zwischen wissenschaftlichen Gutachten frühzeitig erkannt werden und die strittigen wissenschaftlichen Fragen beantwortet oder geklärt werden können." (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 137, Seite 30).

 

Unter italienischer Ratspräsidentschaft sollen ab Herbst 2014 die Trilogverhandlungen mit der Kommission und dem EP beginnen. Wegen der schon umfangreich geleisteten Vorarbeiten und der breiten Zustimmung im Rat hofft man bis Ende des Jahres 2014 eine konsensfähige Gesetzesvorlage vorlegen zu können. Vier Jahre nach In-Kraft-Treten der Änderungen wird die Kommission dem EP und dem Rat dann einen Bericht vorlegen.

 

Von verschiedener Seite werden Bedenken gegen den verabschiedeten Änderungsvorschlag erhoben. Im August wandten sich verschiedene Umweltorganisationen unter der Überschrift „Die EU braucht rechtssichere Gentechnik-Verbote und eine unabhängige Risikobewertung" in einem offenen Brief an die Deutschen Abgeordneten des EP unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die erwähne EP-Entschließung aus dem Jahr 2011.

 

Insgesamt wird befürchtet, dass:

  1. mit dem Beginn der Zulassungen die Skepsis gegenüber GVO sinkt, die Akzeptanz steigt und die gentechnikfreien Staaten wettbewerbsbedingt nicht lange durchhalten werden. Tatsächlich liegen jetzt schon 13 Zulassungsanträge für GVO auf dem Schreibtisch der Kommission. (Überschwemmung mit genmanipulierten Organismen);
  2. den gentechnikkritischen Ländern langwierige Gerichtsverfahren drohen, da die Konzerne die national vorgebrachten Gründe anzweifeln werden (Rechtsunsicherheit);
  3. GVO aus einem Mitgliedsstaat leicht auf dessen Nachbarn übergreifen werden, sei es durch Pollenflug oder Importe. Es gäbe bisher zu wenig Kontrollinstrumente um das auszuschließen (Kontamination);
  4. die EU ihren Ruf als nahezu gentechnikfreie Region verlieren wird (EU-weiter Imageschaden).

  5.  

Bundesumweltministerin Hendricks zeigt sich von solchen Einwänden unbeeindruckt und verweist auf die Möglichkeit für solche Produkte eine Kennzeichnung zu verlangen. Die Verbraucher würden dann schon entscheiden, welches Produkt sie kaufen wollen und welches nicht.

Der Verband EuropaBio, der unter anderem die Gentech-Industrie vertritt, kritisiert den Änderungsbeschluss ebenfalls. Ihm wäre ein unkompliziertes ausnahmsloses Zulassungsverfahren für die ganze EU lieber gewesen. Außerdem warnt Carl-Albrecht Bartmer, der Präsident der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) davor, die Konsequenzen, die die Opt-Out-Regelung für die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Regionen oder Staaten hätte, zu unterschätzen sowie Verbote ohne wissenschaftlich fundierte Begründung zuzulassen. Er nennt das „Gefälligkeitsdemokratie".

 

Kirchliche Positionen stehen der Zulassung von GVO grundsätzlich ebenfalls mindestens kritisch gegenüber, wie u. .a die Kampagne „Keine Gentechnik auf Kirchenland" der Arbeitsgemeindeschaft der Umweltbeauftragten der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (agu) zeigt. Bis 2012 hat sich eine Mehrheit der Landessynoden der Kampagne angeschlossen.



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