Kaum Fortschritte bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa

(Doris Klingenhagen)

Ein Jahr nach dem gemeinsamen Beschluss der EU-Mitgliedstaaten zur Einführung einer Jugendgarantie und der Bereitstellung von sechs Milliarden Euro für die am stärksten betroffenen Länder und Regionen fällt die erste Bilanz der Staats- und Regierungschefs sehr ernüchternd aus. In der Pressekonferenz anlässlich des Gipfels am 27. Juni 2014 in Brüssel sagte Angela Merkel dazu: „Bisher wurde kein Euro der bereit gestellten Mittel ausgegeben. Die EU muss hier effektiver werden, sie muss schneller und besser handeln". Angesichts der neusten Statistiken von Mai 2014, die eine Jugendarbeitslosigkeitsrate von 22,2 Prozent in der EU der 28 Mitgliedstaaten ausweisen, bekräftigten die Staats- und Regierungschefs, dass die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit weiter eines der nächsten Kernprioritäten der neuen EU-Kommission sein soll.

 

Mit der EU-Jugendgarantie soll allen jungen Menschen unter 25 Jahren innerhalb eines Zeitraums von vier Monaten, nachdem sie arbeitslos werden oder die Schule verlassen, ein hochwertiger Ausbildungsplatz bzw. Praktikumsplatz oder eine entsprechende Maßnahme angeboten werden (siehe auch EKD-Europa-Information Nr. 143).

 

Die Aussprache auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschef beginnt mittlerweile Wirkung zu zeigen: Als erstes Land hat Frankreich 620 Millionen Euro der EU zur Umsetzung der Jugendgarantie abgerufen und schaffte damit ein erstes Beispiel, wie die Gelder praktisch im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit eingesetzt werden können. Italien wird in diesen Wochen mit einer Online-Plattform starten, die Informationen bereit hält, Anregungen für mögliche Maßnahmen gibt und auf der sich Anbieter von Maßnahmen bekannt machen können. In Spanien sollen die nationalen Jugendgarantiepläne erst 2015 voll wirksam sein, in Griechenland 2016. Viele Mitgliedstaaten kritisieren weiterhin die hohen bürokratischen Hürden beim Abrufen der Gelder. Die strengen Prüfungen der EU-Kommission sorgen jedoch dafür, dass das Geld tatsächlich in sinnvolle Maßnahmen fließt. Eine große Herausforderung ist oftmals auch die fehlende Infrastruktur. Viele der von hoher Jugendarbeitslosigkeit betroffenen Länder haben nur schwache Arbeitsverwaltungen. Diese müssten jedoch die Hauptakteure bei der Umsetzung der Garantie sein. Größere Reformen der Ausbildungssysteme wie z. B. die Einführung des dualen Systems, die derzeit in Spanien und Griechenland angestrebt wird, benötigen viele Jahre Vorlaufzeit. Grundsätzlich fehlt es weiterhin an Unternehmen, die Ausbildungs- und Arbeitsplätze für junge Leute schaffen.

Kurz vor dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs fand vom 23. bis 25. Juni 2014 in Saarbrücken der Kongress „Zukunftsperspektiven statt Jugendarbeitslosigkeit" unter der Schirmherrschaft von Kommissionpräsident José Manuel Barroso statt. Auf dem Kongress trafen Personalverantwortliche von Unternehmen, Wissenschaftler und Politik zusammen sowie über 500 Teilnehmende aus 24 Ländern, die über Lösungen der Jugendarbeitslosigkeit diskutierten. Der frühere Regierungsberater und Manager Peter Hartz stellte dort ein neues Konzept vor, welches Wege aus der Jugendarbeitslosigkeit zeigen soll. Kernstück ist ein Sechs-Punkte-Plan. Er umfasst folgende Elemente: 1. Eine Talentdiagnose, die für jeden Jugendlichen einen auf seine Stärken ausgerichteten Entwicklungsplan aufstellt. 2. Einen Beschäftigungsradar, der herausfindet, wo es in verschiedenen Ländern und Gegenden welche Bedürfnisse am Arbeitsmarkt gibt. Damit sollen Existenzgründungen gezielter gefördert werden. Weiter ist 3. ein System des „Social Franchising" angedacht, welches an lokale Gegebenheiten angepasst ist. Innerhalb dieses Systems können Menschen einer beruflichen Selbstständigkeit nachgehen und verfügen zugleich über ein Beratungsnetzwerk. Ein vierter Punkt ist die Finanzierung von Ausbildung mit Hilfe von Fonds über die Europäische Investitionsbank als Ergänzung öffentlicher Förderprogramme. Über diese Ansätze hinaus greift der Plan auf Bewährtes zurück: 5. sollen Darlehen für Firmen, die Arbeitslose nach der Ausbildung übernehmen, bereitgestellt und 6. temporäre Ausbildung und Beschäftigung in einem anderen EU-Mitgliedsstaat ermöglicht werden. Dieses letzte Element gibt der Gesamtinitiative „Zukunftschancen statt Jugendarbeitslosigkeit" auch ihren Namen: „Europatriates". Abgeleitet von „Expatriate/ Expat" – das sind Fachkräfte die von international tätigen Unternehmen und Einrichtungen vorübergehend, meist für ein bis drei Jahre, an eine ausländische Zweigstelle entsandt werden.

 

Die Umsetzung dieses Konzeptes zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit würde nach einer Schätzung von Peter Hartz ca. 215 Milliarden Euro kosten.

 

In der Tat stellt das Thema Jungendarbeitslosigkeit die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten vor eine große Herausforderung – doch angesichts der Probleme, die die EU in ihrer über 60-jährigen Geschichte bisher gemeistert hat, ist es keine unlösbare Aufgabe. Die betroffenen jungen Menschen spüren bisher allerdings vor Ort wenig davon, dass SIE oberste Priorität der EU sind. Das muss sich schnellstens ändern.

 

Auf stärkere Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit hat auch das Europäische Parlament mit einer am 17. Juli 2014 verabschiedeten Entschließung noch einmal gedrängt. Das Europäische Parlament fordert die Kommission auf, die Umsetzung der Jugendgarantieprogramme wirksam zu überwachen. Darüber hinaus schlägt es Mindeststandards für die Qualität von Ausbildungsstellen, angemessene Löhne und den Zugang zu Arbeitsvermittlungsstellen für alle jungen Menschen unter 30 vor. Ebenso weist es darauf hin, dass 6 Milliarden Euro nicht ausreichen, um die Jugendarbeitslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen. Auf nationaler Ebene müssten weitere Maßnahmen ergriffen werden. Insbesondere solche, durch die verhindert wird, dass die Schulausbildung vorzeitig abgebrochen wird, sowie umfassende Strategien für junge Menschen, die weder eine Arbeit haben noch eine schulische oder berufliche Ausbildung absolvieren. Schließlich verlangt das Parlament von den Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass junge Menschen Zugang zu hochwertigen Arbeitsplätzen haben, die Stabilität und Sicherheit bieten und Kernarbeitsnormen berücksichtigen.



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