Die Juncker-Kommission – neue Struktur und alte Baustellen

(Dr. Johan Wagner)

Seit 1. November 2014 ist die Kommission unter dem ehemaligen Premier Luxemburgs, Jean-Claude Juncker, offiziell im Amt. Bereits vor dem Amtsantritt wurde nicht nur in Brüssel viel über diese „politischere" Kommission debattiert. Vor allem eine gegliederte Struktur mit sieben Vizepräsidenten unterscheidet das von Juncker selbst als „Kommission der letzten Chance" apostrophierte Gremium von seinen Vorgängern. Der langjährige Chef der Eurogruppe kann sich zudem als erster primus inter pares mit zusätzlicher Legitimität präsentieren: Die europäische Volkspartei hatte ihn in der Europawahl im Mai 2014 als europäischen Spitzenkandidaten aufgestellt (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 145).

Schon die Anhörungen der zukünftigen Kommissarinnen (zehn von 28) und Kommissare machte deutlich, dass Juncker in einigen Fällen „den Bock zum Gärtner" gemacht hat. Der Brite Jonathan Hill (Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarkt), der Franzose Pierre Moscovici (Wirtschaft und Finanzen, Steuern und Zölle), der Spanier Miguel Arias Cañete (Klimaschutz und Energie) und weitere umstrittene Kandidaten konnten lediglich aufgrund eines informellen Handels zwischen den beiden größten Fraktionen im Europaparlament ihre Posten erhalten. Die Anhörungen der Kommissionsmitglieder hielten Altbekanntes und Überraschungen bereit. So ist mit der Kommissarin für Regionalpolitik Corina Creţu vor allem eine Fortsetzung der bisherigen förderpolitischen Linie ihres Vorgängers Johannes Hahn zu erwarten.

Dimitris Avramopoulos, ehemaliger Bürgermeister von Athen, Außen- und Verteidigungsminister von Griechenland, nahm seinen Kritikern mit einem engagierten Auftritt Wind aus den Segeln. Er betonte wider Erwarten, dass die „Festung Europa" keine Lösung für die Flüchtlingsproblematik sei. Er ist zuständig für Migration, Inneres und Bürgerschaft, ein Teilbereich, der dem Kommissar Tibor Navracsics (Bildung, Kultur, Jugend und Sport) aufgrund seiner Beteiligung an umstrittenen Maßnahmen der ungarischen Regierung entzogen wurde.

Erstaunen löste auch die Ernennung des bisherigen Kommissars für Energie, Günther Oettinger, zum Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft aus. In seiner Anhörung verlor er sich gelegentlich in unglücklichen Bildern oder vagen Phrasen, so etwa beim Datenschutz, der Netzneutralität oder bei Industrieinteressen (zum Beispiel der Vergabe des Ultrahochfrequenzbandes). Mangelnde Leidenschaft konnte Günther Oettinger allerdings nicht vorgeworfen werden, er verwies auf die Herausforderung durch die anderen großen Märkte der Informations- und Kommunikations-Technologien und appellierte: „Eine Aufholjagd ist möglich!"

Auch die Kommissarin für Beschäftigung, Soziales und Arbeitsmobilität, die Belgierin Marianne Thyssen, wirkte in ihrer Anhörung vor dem Europäischen Parlament engagiert, insbesondere im Bereich Frauenpolitik. Dennoch blieb sie bei wichtigen Themen wie der schleppenden Umsetzung der Jugendgarantie und dem Vorschlag einer europäischen Arbeitslosenversicherung wenig konkret.

Die Kommissarin für Handel, die Schwedin Cecilia Malmström, betonte, die USA und die EU wollten ein umfassendes Transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP), gegenwärtige europäische Standards würden nicht abgesenkt. Der Dialog mit der Zivilgesellschaft solle gestärkt werden, von dieser komme der Widerstand. Sie versprach mehr Transparenz: Das gesamte Parlament solle davon profitieren, es müsse nichtsdestoweniger die Vertraulichkeit gewahrt werden (siehe nachstehender Artikel).

Frans Timmermans Auftritt, der als Junckers Stellvertreter und Erster Vizepräsident auch für den Dialog mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften zuständig ist, wurde von vielen Abgeordneten ausgesprochen positiv bewertet. Der Niederländer sprach sich in der Anhörung für ein verpflichtendes Transparenzregister für Interessenvertreter bei der Europäischen Union aus. Darüber hinaus erklärte er, das Prinzip der Subsidiarität müsse gestärkt werden Er bekleidet die neugeschaffene Stelle des EU-Kommissars für bessere Rechtssetzung, inter-institutionelle Beziehungen, Rechtsstaatlichkeit und die EU-Grundrechtecharta.

Ein weiterer Vizepräsident ist Valdis Dombrovskis, zuständig für den Euro und Sozialen Dialog. Der Lette Dombrovskis machte ebenfalls einen überzeugenden Eindruck und unterstrich, dass die Stabilität des Euro genauso wichtig sei wie die Beachtung sozialer Fairness bei der Reformumsetzung. Sein Begriff von Zivilgesellschaft schien allerdings sehr auf die Sozialpartner verengt zu sein.

Wie Dombrovskis ist auch Jyrki Katainen ehemaliger Regierungschef. Der Finne, gab sein Amt auf, um Vizepräsident für Jobs, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit zu werden. Ähnlich wie sein Kollege im Vizepräsidentenamt berief auch Katainen sich auf die Erfahrungen in der Eurokrise: Der Wohlfahrtsstaat sei eine Errungenschaft, er sei jedoch abhängig von der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes.

Jean-Claude Juncker selbst geriet direkt nach seinem Amtsantritt durch luxemburgische Steuerdeals mit großen Konzernen in die Defensive. Dies dürfte den Juncker-Gegnern in der Europäischen Union nicht ungelegen kommen. Obwohl die Problematik des Unterbietungswettbewerbs bei den Unternehmenssteuern weder eine neue Baustelle noch auf Luxemburg beschränkt ist, erschreckt doch das Ausmaß der öffentlich gewordenen Praktiken („Lux Leaks"). In dieser entscheidenden Phase der europäischen Integration ist dieser Makel für die neue Kommission und ihren Präsidenten eine schwere Hypothek, die nur mit Erfolgen in zentralen Sektoren der europäischen Politik auszugleichen sein wird und letztlich Europaskeptikern in die Hände spielt.

In ihren ersten Wochen hat die Kommission neben dem Steuerskandal vor allem im Bereich des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und im Hinblick auf zukünftige Investitionen in Europa von sich Reden gemacht. Der Umgang mit den Haushaltsplänen Frankreichs und Italiens wurde besonders kritisch beäugt, da befürchtet wird, dass der Stabilitätspakt mehr und mehr zu einem Papiertiger verkommt, wenn die Kommission gegenüber den großen Mitgliedstaaten nicht in gleichem Maße rigoros ist wie bei weniger mächtigen Staaten, die die Defizitgrenze überschreiten.

Vor Weihnachten beschloss das Gremium ein Arbeitsprogramm für 2015 (siehe voranstehender Artikel), was sich an den bereits vor Amtsantritt von Jean-Claude Juncker lancierten politischen Leitlinien orientiert. Die Europäische Union ist weiter in unruhigem Fahrwasser unterwegs und der neuen Kapitän und seine Crew stehen vor großen Herausforderungen. Die „Kommission der letzten Chance" wird weiter gefordert sein, um kommenden Stürmen zu trotzen.

Es wird sich zeigen, ob die neue Struktur mit Kommissionsvizes, die mehrere Kommissionsmitglieder koordinieren sollen und selbst nur über kleine Kabinette verfügen, politisch trägt. Europa kann sich keinen Fehlschlag dieses Experiments leisten – die andauernde Krise und die ungeahnt explosive weltpolitische Lage dulden keine weiteren Fehler.



erweiterte Suche