Gleichbehandlung hat Priorität – die Mitgliedsstaaten zögern trotzdem

(Anne M. Müller)

Sowohl der neue Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, als auch die neue Kommissarin für Justiz, Verbraucher und Gleichstellung, Vĕra Jourová, haben die Verabschiedung der sogenannten horizontalen Gleichbehandlungsrichtlinie KOM (2008) 426, die seit mehreren Jahren auf Eis liegt, zu einer Priorität ihrer Politik erklärt. Am 5. November 2014 hat der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments (EP) unter Einbeziehung der italienischen Ratspräsidentschaft die Richtlinie wieder auf ihre politische Agenda gesetzt und somit die Debatte neu eröffnet. Dementsprechend haben die verantwortlichen Minister beim Treffen des Rates für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz am 11. Dezember 2014 eine Orientierungsdebatte über den Diskussionsstand zum Richtlinienentwurf abgehalten.

Die Kommission hatte am 2. Juli 2008 im Rahmen des Sozialpaketes einen Vorschlag für eine Ratsrichtlinie vorgelegt mit dem Titel: „Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung". Der Entwurf sollte auf EU-Ebene noch offene Gesetzeslücken beim Schutz vor Diskriminierungen schließen. Der Anwendungsbereich der Richtlinie berührt den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste, soziale Vergünstigungen, Bildung, sowie Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Wohnraum. Das EP hat sich im April 2009 mit einer Entschließung für diese Richtlinie ausgesprochen. Trotzdem wird die Verabschiedung der Richtlinie seitdem durch den Rat blockiert, da es laut Art. 19 Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) eines einstimmigen Beschlusses für eine solche Richtlinie bedarf. Als Gründe für die Ablehnung des Gesetzesentwurfes nennen manche Mitgliedsstaaten – unter anderem Deutschland –, dass die Richtlinie das Subsidiaritätsprinzip verletze. Außerdem herrschten Unklarheiten bei Fragen des Anwendungsbereichs sowie der Kostenabschätzung.

Bei einer Konferenz der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) zum Thema „Bekämpfung von Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Ausrichtung und der Geschlechtsidentität: künftige Schritte zur Gestaltung der Politik der EU und der Mitgliedsstaaten" am 28. Oktober 2014 in Brüssel hat Caren Marks (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), erklärt, dass ihr Ministerium den Gesetzesentwurf in der vorliegenden Form unterstützen würde. Die Pauschalablehnung sei überwunden, es gäbe aber dennoch keine abgestimmte Position innerhalb der Bundesregierung.

Entsprechend hält die Ratsarbeitsgruppe fest, dass vor allem Deutschland weiterhin erheblich Bedenken ins Feld führt. Kritikpunkte sind aus deutscher Sicht nach wie vor die Verletzung des Subsidiaritätsprinzips, die fehlende Rechtssicherheit ebenso wie die fehlende Folgenabschätzung, insbesondere bezüglich der Kosten und der Belastungen, die kleinen und mittleren Unternehmen auferlegt werden würden. Zwar begrüßen insgesamt 23 Mitgliedsstaaten die Richtlinie im Allgemeinen, allerdings haben auch Malta, die Niederlande und Irland Bedenken. Alle Länder haben derzeit allgemeine Prüfvorbehalte. Die Berichterstatterin und Vizepräsidentin des EP Ulrike Lunacek (Grüne/Freie Europäische Allianz) weist darauf hin, dass es aus ihrer Sicht weniger um Inhaltliches ginge, sondern es vielmehr an politischem Willen für diese Richtlinie mangele. Sie fordert ihre Kolleginnen und Kollegen dazu auf, in ihren jeweiligen Mitgliedsstaaten für die Richtlinie zu werben. Außerdem stellte sie klar, dass es in Bezug auf die Gleichstellung von LSBTI-Personen (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle) nicht um die Frage nach Anerkennung der Homoehe oder Ähnliches gehe – das fiele weiterhin in den nationalen Kompetenzbereich –, sondern u. a. um einen gerechten und gleichen Zugang zu Dienstleistungen oder zum Arbeitsmarkt.

Aus kirchlicher Sicht ist das Anliegen des Gesetzesvorschlags, Diskriminierungen auch außerhalb des Arbeitsplatzes zu bekämpfen, weiterhin grundsätzlich zu befürworten. Dieses Ziel lässt sich jedoch nur mit einer Richtlinie erreichen, deren Anwendungsbereich klar und präzise aufgezeigt ist und die das Kompetenzgefüge zwischen EU und Mitgliedsstaaten sowie das Staats-Kirchen-Verhältnis in der Bundesrepublik Deutschland respektiert.

Auch wenn die Richtlinie eine Priorität der Kommission darstellt, erscheinen der zügige Abschluss und die einstimmige Annahme derzeit noch weit entfernt. Vorschläge, sich einzelnen Bereichen der Richtlinie zuzuwenden, über die Einigkeit besteht, etwa dem Schutz behinderter Menschen vor Diskriminierung, lehnt die Kommission ab. Auch weigert sie sich, den Vorschlag zurückzuziehen und ein neues Papier zum Thema vorzulegen. Es bestehen Bedenken, dass die Mitgliedsstaaten ansonsten in einem neuen Vorschlag Abstriche beim Diskriminierungsschutz durchsetzen könnten.



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