Gleichbehandlung ja, aber nicht für alle: Studie der Grundrechteagentur zu LGBT-Personen

(Anne M. Müller)

Nachdem eine Studie der Grundrechteagentur der Europäischen Union (FRA) unter LGBT-Personen (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) aus dem Jahr 2012/2013 alarmierende Ergebnisse zum Thema Diskriminierung und Hassverbrechen gegenüber LGBT-Personen geliefert hat, veranstaltete die FRA gemeinsam mit der italienischen Ratspräsidentschaft am 28. Oktober 2014 eine Konferenz zum Thema „Tackling Sexual Orientation and Gender Identity Discrimination", an der mehr als 400 politische Entscheidungsträger und Organisationen teilnahmen. Die FRA war im Jahr 2010 durch die Europäische Kommission gebeten worden, verlässliche und vergleichbare Daten in allen damaligen EU-Mitgliedsstaaten und Kroatien zu der Situation von LGBT-Personen zusammen zu tragen. Die Daten der FRA basieren auf mehr als 93.000 Antworten von LGBT-Personen – davon etwa 57.000 männlich, schwul, jung und gut ausgebildet – aus allen Mitgliedsstaaten und Kroatien und wurden mit Hilfe eine Onlineumfrage vom 2. April bis zum 15. Juli 2012 erhoben.

In seinem Abschlussstatement bei der Konferenz macht Ivan Scalfarotto, der italienische Unterstaatssekretär des Ministeriums für Verfassungsreformen und Regierungsverbindungen zum Parlament, klar, dass es bei Rechten für LGBT-Personen nicht um etwas gehe, das „schön wäre, zu haben", sondern um ein „Must-Have", ein Muss. Denn, „wenn es um die Rechte unserer Nachbarn, unserer Mitbürger geht, dann geht es um unsere Rechte". Die EU kann es nicht hinnehmen, dass laut FRA-Studie mehr als die Hälfte der Befragten als LGBT-Personen Angst haben, in der Öffentlichkeit Händchen zu halten. So ein alltäglicher Ausdruck der Zuneigung zueinander dürfe für niemanden angstbesetzt sein, betont Ulrike Lunacek, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments (EP). Die Diskriminierungen fingen bereits früh an, so die Ergebnisse der Studie, und graben sich tief ein in die Persönlichkeit von Täterinnen, Tätern und Opfern. Zwei Drittel der Befragten trauten sich nicht, während ihrer Schulzeit offen mit ihrer sexuellen Orientierung umzugehen. Sie haben sie verschwiegen oder verheimlicht. Das verwundert nicht angesichts dessen, dass 80 Prozent der Befragten angaben, in der Schule gemobbt worden zu sein. Die signifikant höhere Selbstmordrate unter Jugendlichen der LGBT-Gruppe zeigt, dass wir es mit einem ernstzunehmenden Problem zu tun haben. Nach der Schulzeit halten die Diskriminierungen an: Etwa die Hälfte der Befragten gab an im Zeitraum eines Jahres vor der Umfrage selbst Opfer von Diskriminierung oder Belästigung aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung geworden zu sein. Etwa ein Viertel der Teilnehmenden war in den vergangenen fünf Jahren (2007-2012) sogar Opfer von Gewaltangriffen oder -androhungen geworden. Weniger als ein Fünftel – nur etwa 17 Prozent – brachte solche Übergriffe gegenüber der Polizei zur Anzeige. Diskriminierung und Lächerlich-Machen von LGBT-Personen gehört zu unserem Alltag: Mehr als 80 Prozent berichten, dass Witze über LGBT-Personen weitverbreitet und an der Tagesordnung seien.

Die EU ist zwar auf dem Weg zu einer Gesellschaft, in der Gleichberechtigung auch für LGBT-Personen in vollem Umfang gilt, jedoch zeigt die Blockade der zivilrechtlichen Gleichbehandlungsrichtlinie durch einige Mitgliedsstaaten – unter anderem von Deutschland (siehe nachstehender Artikel) – dass der Kampf gegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität oder Orientierung noch lange nicht beendet ist. Martine Reicherts, die ehemalige Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft machte deutlich, welch zentrale Rolle zwar politische Entscheidungen und Gesetzesinitiativen spielen, betonte aber auch, dass die wichtigste Arbeit von Menschen und Organisationen an der Basis geleistet werde. Damit sind Lehrkräfte an Schulen, Pflegepersonal in Gesundheitseinrichtungen genauso wie Aktivisten in Nichtregierungsorganisationen gemeint. „Umdenken muss zuerst in den Köpfen und besonders in den Herzen der Menschen stattfinden", so Reicherts.

2015 wird die FRA Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung über die Rolle öffentlicher Autoritäten, die mit LGBT-Personen zu tun haben, herausbringen. Sie wird sich damit beschäftigen, auf welche Art öffentliche Angestellte, Lehrkräfte und Gesundheitspersonal dazu beitragen, wirkliche Gleichberechtigung für LGBT-Personen zu erreichen. Außerdem wird die FRA 2015 einen aktualisierten vergleichenden Bericht zur Rechtslage von LGBT-Personen in den EU-Mitgliedsstaaten vorlegen. Auf der Website der FRA kann ein detaillierter Bericht über die Methode der Datenerfassung eingesehen werden.



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