Auf der Suche nach Solidarität und Verantwortung – Innenministerrat beschließt Flüchtlingsstrategie

(Julia Maria Eichler)

Am 9. und 10. Dezember 2014 haben sich die 28 europäischen Justiz- und Innenminister in Luxemburg getroffen ein Strategiepapier angenommen, das basierend auf drei Säulen eine verbesserte Steuerung der Migrationsströme ermöglichen soll. Neben der Zusammenarbeit mit Drittstaaten wurde über die Stärkung der Fähigkeiten von „Frontex" und Maßnahmen zur vollständigen Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) diskutiert.

Die Zeichen vor dem Treffen standen auf Veränderung. In einer Rede vor dem Bundestag hatte der Bundesinnenminister am 9. September 2014 einen Sieben-Punkte-Plan vorgestellt. Unterstützt von weiteren europäischen Ministern wollte er mehr Solidarität der Mitgliedsstaaten untereinander beschwören. Denn während Italien die Kosten für die Rettung von über 150.000 Flüchtlingen durch „Mare Nostrum" allein bewältigen musste, warf Deutschland, das 2014 voraussichtlich knapp unter 200.000 Asylanträge verzeichnen wird, Italien vor, das Dublin-System nicht einzuhalten. Statt die in Italien ankommenden Flüchtlinge zu registrieren und ein Asylverfahren durchzuführen, lasse Italien die Flüchtlinge nach Nordeuropa weiterziehen.

Der Plan des Bundesinnenministers sah vor, dass Italien nicht länger „Mare Nostrum" alleine schultern müsse, im Gegenzug aber das Dublin-Verfahren eingehalten werde, insbesondere sollten alle Flüchtlinge registriert und Fingerabdrücke genommen werden. Neben weiteren Maßnahmen kam aber auch erstmals ein Verteilungsschlüssel zwischen den Mitgliedsstaaten zur Sprache, der der uneinheitlichen Verteilung von Flüchtlingen in Europa entgegen wirken sollte. Derzeit nehmen Deutschland und Schweden zusammen 50 Prozent der Asylbewerber in der EU28 auf. Nimmt man noch Italien, Frankreich und Großbritannien hinzu, sind es sogar 70-80 Prozent der Asylbewerber. Das bedeutet aber auch, dass die übrigen 23 Mitgliedsstaaten lediglich 20 Prozent der Asylbewerber beheimaten.

Der Bundesinnenminister konnte sich jedoch mit seiner Idee eines Verteilungsschlüssels nicht durchsetzen. Stattdessen einigte sich der Ministerrat auf die Aufrüstung von „Frontex" und die Bekämpfung von Schmugglern.

Im Bereich der Zusammenarbeit mit Drittstaaten lag der Schwerpunkt des Ministerrates klar auf der Bekämpfung von Schmugglern und Menschenhändlern. Neben Informationskampagnen über Risiken illegaler und Möglichkeiten legaler Einreise und der Entwicklung neuer regionaler Entwicklungs- und Schutzprogramme solle der Dialog mit Drittstaaten zum Thema Migration und Sicherheit intensiviert werden. Als weitere Maßnahmen wurden u. a. vorgeschlagen:

  • Besserer Einsatz von Verbindungsbeamten in Drittstaaten zur Förderung des Informationsaustausches
  • Verstärken der Kapazitäten der Drittstaaten im Bereich Grenzmanagement und Migrationssteuerung
  • Verstärkte Nutzung von gemeinsamen Rückkehrmaßnahmen der EU

Einig war man sich auch, dass die zusätzlich benötigten Ressourcen für „Frontex" bereitgestellt werden sollten, schon um im Interesse aller Mitgliedsstaaten ein flexibles und rechtzeitiges Reagieren von „Frontex" auf neue Risiken und Belastungen bei der Überwachung und dem Schutz der europäischen Außengrenzen sicher zu stellen.

Übereinstimmend stellte man auch fest, dass die verstärkte „Frontex"-Aktion auch operative Instrumente zur Identifizierung von Migranten umfassen könne, zur Bereitstellung von Informationen und zur Ermittlung besonders schutzbedürftiger Personen oder Personen, die ärztlicher Behandlung bedürfen.

Zur möglichst kurzfristig zu gewährleistenden vollen und kohärenten Umsetzung des GEAS sollen alle Mitgliedsstaaten vorrangig investieren und Kapazitäten aufbauen, um ein flexibles nationales Aufnahme- und Asylsystem zu gewährleisten, das auf plötzliche Ströme reagieren kann. Im Kampf gegen Sekundärmigration sollte an der systematischen Identifizierung, Registrierung von Flüchtlingen und der Abnahme von Fingerabdrücken gearbeitet werden, vor allem um der großen Sekundärmigration innerhalb der EU zu begegnen.

Weitere Maßnahmen sind:

  • die Vornahme von restriktiven Maßnahmen unter Einhaltung von Grundrechten, um eine mögliches Untertauchen zu verhindern, wenn Flüchtlinge die Abnahme von Fingerabdrücken verweigern
  • die zeitnahe Information der Flüchtlinge über ihre Rechte und Pflichten sowie die Konsequenzen bei Nichteinhaltung der Regeln zur Identifikation
  • Zur Unterstützung der Mitgliedsstaaten, die sich erheblichen Druck ausgesetzt sehen, sollen alle Mitgliedsstaaten von den existierenden Werkzeugen des Dublin-Systems Gebrauch machen. Insbesondere gilt dies für:

  • die Anwendung der Vorschriften zur Familienzusammenführung
  • die großzügigere Ausübung der „Souveränitätsklausel", die es den Mitgliedsstaaten ermöglicht, Schutzsuchende nicht in das EU-Land zurückzuschicken, über welches sie in die EU eingereist sind
  • die Nutzung von Umsiedlungen auf freiwilliger Basis.
  • Die Antwort des Ministerrates auf die ungleiche Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU heißt „Souveränitätsklausel" und Umsiedlung. Dass mit diesem auf freiwilliger Basis einzusetzenden Mitteln eine großflächige Umverteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas erfolgen wird, darf bezweifelt werden. Eine Entlastung Italiens bei der Aufnahme und Registrierung von Flüchtlingen ist nicht ersichtlich. Vielmehr wird der Druck auf Italien, die ordnungsgemäße Registrierung von Flüchtlingen vorzunehmen, erhöht.

    Ob die Hoffnung Italiens auf eine Entlastung durch die Souveränitätsklausel genügt, um zu einer Änderung der bisherigen italienischen Praxis zu führen, Flüchtlinge nach Nordeuropa ziehen zu lassen, bleibt abzuwarten. Im Oktober jedenfalls lag Italien bei der Anzahl an Asylanträgen auf Platz zwei nach Deutschland. Die angekündigte Solidarität der Mitgliedsstaaten untereinander ist ausgeblieben.

    Auf ihrer Tagung vom 9. November bis 12. November 2014 hat die Synode der EKD sich in einem Beschluss für ein mit „Mare Nostrum" in Umfang und Ausrichtung vergleichbares europäisches Seenotrettungsprogramm ausgesprochen, ebenso wie für mehr legale Wege nach Europa für Schutzsuchende, ein gemeinsames europäisches Aufnahmeprogramm und die gegenseitige Anerkennung von positiven Asylentscheidungen. 



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