Auf dem Weg zu einem europäischen Binnenmarkt für Energie: Ein Zwischenstand

(Anne M. Müller)

Mit der neuen Europäischen Kommission, die ihre Arbeit am 1. November 2014 aufgenommen hat (siehe vorangehender Artikel), sind auch zwei neue Kommissare für die Energiepolitik der Europäischen Union (EU) zuständig: Der Slowake, Maroš Šefčovič, ist einer der Vizepräsidenten und Kommissar für die Energieunion. Der Spanier Miguel Arias Cañete ist Kommissar für Klimapolitik und Energie und damit dem Vizepräsidenten Šefčovič unterstellt. Beide haben in ihren Anhörungen vor den zuständigen Ausschüssen im Europäischen Parlament Anfang Oktober 2014 die Bildung bzw. die Vollendung eines europäischen Binnenmarktes für Energie zu ihren Prioritäten erklärt. So war es 2009 vom dritten Gesetzgebungspaket zum EU-Binnenmarkt für Strom und Gas vorbereitet und von den Staats- und Regierungschefs 2011 bekräftigt worden.

Ein integrierter, EU-weiter Binnenmarkt für Energie ist der kostengünstigste Weg für Energieproduzenten wie -konsumenten, die Energieversorgung sicher zu gewährleisten. Außerdem trägt laut EU-Kommission ein gemeinsamer Markt zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit der EU bei und macht diese unabhängiger von Energieimporten beispielsweise aus Russland. Ebenso wird dadurch die EU fähig, bei internationalen Verhandlungen, insbesondere zum Klimaschutz, mit einer Stimme zu sprechen. Eine zentrale Rolle auf dem Weg zur Vollendung eines solchen Binnenmarktes spielen zuallererst der Ausbau von grenzüberschreitender Infrastruktur sowie die Entwicklung von sogenannten Smart Grids (intelligenten Stromnetzen) für Elektrizität. Mit Smart Grids ist die kommunikative Vernetzung und Steuerung von Netzbetreibern, Stromanbietern, -erzeugern und -verbrauchern gemeint. Solche intelligenten Stromnetze ermöglichen Optimierung und Überwachung von so verbundenen Systemen und gewährleisten eine effiziente, kostengünstige und verlässliche Energieversorgung. Sie sollen u. a. dafür sorgen, dass stets nur so viel Strom erzeugt, wie tatsächlich gebraucht wird, sodass die Endverbraucher direkt von den schwankenden Preisen an der Strombörse profitieren. Ab Januar 2015 werden deshalb in Deutschland der Einbau von intelligenten Messsystemen Pflicht für Bauherren. Dafür bedarf es allerdings EU-weit gemeinsamer und transparenter Regeln, die Rechtssicherheit gewährleisten. Spiegel Online weist in einem Artikel vom 19. Dezember 2014 kritisch darauf hin, dass Deutschland möglicherweise ein „Planungschaos" drohe. Noch immer sei nicht klar, „was so ein intelligentes Messsystem eigentlich genau können soll – und wie dieser kritische Eingriff in die Infrastruktur genau abläuft."Einen Zwischenstand zur Vollendung des Energiebinnenmarktes hat die Kommission am 13. Oktober 2014 in einer Mitteilung über den Fortschritt zur Vollendung des europäischen Energiebinnenmarktes dargelegt. Bisher können insbesondere auf dem Großhandelsmarkt Resultate verzeichnet werden:

  1. Zwischen 2008 und 2012 ist der Preis für Strom um ein Drittel gesunken, während der Gaspreis stabil geblieben ist.
  2. Konsumenten haben mehr Wahlmöglichkeiten
  3. Viele fehlende Energieverbindungen zwischen den Staaten konnten vervollständigt werden oder befinden sich im Bau (z. B. Stromleitungen zwischen Estland und Finnland, Flüssiggas-Terminals in Polen und Lettland sowie Gas-Verbindungsleitungen an der ungarisch-slowakischen Grenze).
  4. Der grenzüberschreitende Handel zwischen den meisten europäischen Staaten hat zugenommen und dank gemeinsamer Regeln werden Gas-Leitungen zwischen den Staaten effizienter genutzt.
  5. Gesetzliche Rahmenvereinbarungen sichern, dass Energiekonzerne keine Konkurrenten vom Zugang zu Leitungen ausschließen können, dass der Handel fair bleibt und die Preise nicht manipuliert werden.

Trotzdem bleibt noch Einiges zu tun, bis in der EU tatsächlich ein einheitlicher Binnenmarkt für Energie geschaffen ist. Das unterstrich auch der Rat der EU, der am 23. und 24. Oktober 2014 getagt hat. Unbedingt notwendig seien weitere Investitionen in Infrastruktur und Smart Grids. Geographisch isolierte Gebiete wie die baltischen Staaten müssen in den Gasmarkt der EU integriert werden und in vielen mittelost- und südosteuropäischen Staaten müsse die Energieversorgung dringend diversifiziert werden. Stromnetze müssten miteinander verbunden werden. Das gelte u. a. für die Iberische Halbinsel, das Vereinigte Königreich sowie für Irland. Heute betrage der grenzüberschreitende Anteil von Gas- und Stromleitungen insgesamt acht Prozent, Ziel seien aber zehn Prozent bis 2020 und fünfzehn Prozent bis 2030. Besondere Aufmerksamkeit müsse abgelegenen sogenannten Energieinseln wie Malta, Zypern und Griechenland zukommen. Insgesamt müsse die Strominfrastruktur EU-weit effizienter genutzt werden, wofür einfache und konsistente Regeln notwendig seien. Außerdem müsse die grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit noch mehr gestärkt werden. In der Visegrád-Gruppe beispielsweise kooperieren Ungarn, die Tschechische Republik, die Slowakei und Polen miteinander, um den sogenannten Nord-Süd-Korridor von Polen bis nach Kroatien aufzubauen. Ebenfalls müssen nach dem Rückzug Russlands aus dem Projekt South Stream nach Alternativen für dessen Umsetzung gesucht und für Notfallsituationen die Speicherungskapazitäten für Gas verbessert werden. Hinzu kommt, dass Energie nicht nur für den Großhandel, sondern auch für den Einzelhandel und damit für die einzelnen Verbraucherinnen und Verbraucher günstiger werden müsse. Das Gegenteil sei aber zwischen 2008 und 2010 der Fall gewesen. Diesem Trend müsse dringend entgegen gewirkt werden. Der Europäische Rat unterstrich zudem, dass die Energieunion eines zuverlässigen und transparenten Governance-Systems bedürfe, das den Verwaltungsaufwand gering hält und das Subsidiaritätsprinzip wahre. Mitgliedsstaaten müssten die uneingeschränkte Freiheit haben, ihren Energiemix selbst zu bestimmen. Sie werden von der EU bei der Umsetzung ihrer nationalen Energie- und Klimaziele unterstützt. Dass die Vollendung der Europäischen Energieunion zu den Top-Prioritäten der Juncker-Kommission gehört, wird u. a. daran deutlich, dass mehr als die Hälfte der Kommissare an diesem Prozess beteiligt sind. Neben Šefčovič und Cañete beispielsweise auch Elżbieta Bieńkowska (Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU), Margrethe Vestager (Wettbewerb), Carlos Moedas (Forschung, Wissenschaft und Innovation), Corina Creţu (Regionalpolitik), Federica Mogherini (Außenbeauftragte und Vizepräsidentin) sowie Karmenu Vella (Umwelt, Meerespolitik und Fischerei). Vizepräsident Šefčovič bestätigte Ende November 2014, dass er seiner regelmäßigen Berichtspflicht nachkommen und seine neuen Vorschläge für die Europäische Energieunion Ende Januar 2015 vorlegen würde. Diese würden dann im Rat der Energieminister Anfang März sowie beim Gipfel Ende März 2015 diskutiert werden. Ziel dieser Verhandlungen sei es laut Šefčovič, sich über einen Aktionsplan und klare Prioritäten für die Energieinfrastruktur zu einigen.



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