Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in Europa durch bedarfsgerechte Kompetenzen und Qualifikationen

(Gisela de Vries)

Am 17. November 2014 führten die Europäische Kommission und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss die Veranstaltung „Delivering on skills: Collaborative EU responses to skills mismatches and bottlenecks for increased competitiveness" durch. Hier informierten sie über den aktuellen Stand von Aktivitäten der Europäischen Kommission zum Thema „Vermeidung von Engpässen sowie des Missverhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage von Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt".

Dieses Thema steht weit oben auf der Agenda der Europäischen Union, da es die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und damit das wirtschaftliche Wachstum in Europa, also die Erreichung der Ziele der EU-2020- Strategie, beeinflusst.

Die Verringerung des Missverhältnisses von vorhandenen und benötigten Kompetenzen hat nicht nur in Zeiten wie jetzt mit besorgniserregend hoher Arbeitslosigkeit in einigen Ländern und Fachkräftemangel einzelner Branchen in anderen eine hohe Bedeutung. Es geht nicht nur um den Abbau von Arbeitslosigkeit sondern auch darum, dass unabhängig von der Beschäftigungssituation Arbeitsplätze von Personen mit den richtigen Kompetenzen und Qualifikationen besetzt werden, wie es zum Beispiel in einem Diskussionspapier des ZEW von 2012 dargestellt ist. Für Arbeitskräfte hat es Auswirkungen auf ihr Gehalt und die Zufriedenheit am Arbeitsplatz, für Arbeitgeber geht es darum, alle Wertschöpfungspotenziale des Unternehmens auszunutzen unter Ausschöpfung der vorhandenen Produktivität ihrer Mitarbeitenden. Die Ineffizienz kann auf dem Arbeitsmarkt durch Fehlvermittlung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit ihren Kompetenzen auf bestehende offene Stellen entstehen. Eine weitere Fehlerquelle stellt ein nicht funktionierendes Zusammenspiel zwischen dem Bildungs- und Ausbildungssystem und dem Arbeitsmarkt dar, welches bewirkt, dass angebotene Aus- und Weiterbildungen nicht zu Qualifikationen führen, die den aktuellen Bedürfnissen von Unternehmen entsprechen. Um Wege zu finden, hier gegenzusteuern, und um die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa zu stärken, beschloss die Europäische Kommission 2008 die Initiative „Neue Kompetenzen für neue Beschäftigungen" und 2010 die „Agenda für neue Kompetenzen und Beschäftigungsmöglichkeiten".

In deren Rahmen wurden mehrere Instrumente und Initiativen auf unterschiedlichen Ebenen ins Leben gerufen. Über deren aktuellen Stand wurde in der oben genannten Veranstaltung informiert und mit potenziellen Nutzern über die Ergebnisse diskutiert. Im Folgenden werden diese Initiativen und Programme vorgestellt:

  1. Europäische Branchen- oder Kompetenzräte: In den europäischen Branchen- oder Kompetenzräten arbeiten unter anderem Arbeitgeberverbände, Arbeitsvermittlungsstellen, Gewerkschaften, Hochschulen, Berufs- und Weiterbildungseinrichtungen, Kammern oder Anerkennungsbehörden zusammen, um den Qualifikationsbedarf in den jeweiligen Branchen besser vorauszusehen und Kompetenzen und Arbeitsmarkterfordernisse wirksamer aufeinander abzustimmen. Dies geschieht zum Beispiel durch mehr und bessere Informationen über das Qualifikationsangebot in den Branchen wie auch durch die Förderung der Steuerung von Berufsqualifikationen auf Branchenebene sowie auf der Ebene nationaler Qualifikationsstrategien. Daneben haben sie die Aufgabe, die Arbeit an weiteren europäischen Instrumenten der EU wie den unten genannten zu unterstützen. In der Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie sowie im Groß- und Einzelhandel wurden bereits Kompetenzräte eingerichtet. In anderen Bereichen wie zum Beispiel der Krankenpflege wurden bereits Vorstudien durchgeführt.
  2. Eine europäische Klassifizierung für Fähigkeiten/Kompetenzen, Qualifikationen und Berufe (ESCO):ESCO wird als IT-Instrument genutzt und bietet eine mehrsprachige Klassifizierung von Fähigkeiten, Kompetenzen, Qualifikationen und Berufen, die relevant sind für den Arbeitsmarkt wie auch für Bildung und Ausbildung in Europa. ESCO soll es letztendlich ermöglichen, dass Lebensläufe von Arbeitssuchenden mit Stellenausschreibungen abgeglichen werden, die in einer anderen Sprache abgefasst sind. Dadurch können Arbeitssuchende leichter Stellen in anderen EU-Mitgliedsstaaten finden und Arbeitgeber haben bessere Möglichkeiten, Talente aus dem Ausland anzuwerben. Als offene IT-Lösung kann ESCO in unterschiedliche Jobvermittlungsportale zum Beispiel der Agenturen für Arbeit in Europa oder die EURES-Datenbank eingebettet werden. Dadurch soll die passgenaue Vermittlung von Arbeitskräften auf offene Stellen europaweit verbessert werden.
  3. EU-Kompetenzpanorama: Das EU-Kompetenzpanorama ist ein online-Informationsinstrument, in dem quantitative und qualitative Informationen über die kurz- und mittelfristige Nachfrage und das Angebot an Kompetenzen wie auch ein mögliches Missverhältnis auf der Grundlage von europäischen und nationalen Studien und Erhebungen gesammelt werden. Langfristig soll es die Quelle sein, die es Akteuren der beruflichen Bildung ermöglicht, die Bildungsangebote so zu gestalten, dass Aus- und Weiterzubildende die Qualifikationen erhalten, die den aktuellen und vorauszusehenden Bedürfnissen der Unternehmen entsprechen.
  4. Allianzen für branchenspezifische Fertigkeiten: In Projekten im Rahmen von Allianzen für branchenspezifische Fertigkeiten kann ein Teil der Aufgaben der Europäischen Branchen- und Kompetenzräte durchgeführt werden. Hier arbeiten Vertreterinnen und Vertreter aus drei relevanten Gruppen zusammen. Das wären zum ersten Berufsbildungsakteure, zum zweiten Unternehmen, Kammern und Sozialpartner sowie drittens Regulierungs- und Anerkennungseinrichtungen. Gemeinsam analysieren sie den aktuellen und zu erwartenden Bedarf an Kenntnissen und Fähigkeiten für einen bestimmten Sektor wie beispielsweise Handel oder Gesundheit. Im zweiten Schritt werden die aktuellen Qualifikationen von Mitarbeitenden daraufhin untersucht, ob und wie sie diesen Bedarf decken können. Im dritten Schritt wird versucht, die bestehende Kluft zwischen diesen Bereichen durch die Entwicklung von neuen Ausbildungsangeboten zu überwinden.
  5. Mein erster EURES-Arbeitsplatz: Das Programm „Mein erster EURES-Arbeitsplatz" (EKD-Europa-Informationen Nr. 140) hat zum Ziel, bis 2016 insgesamt 7.400 jungen Menschen vor allem aus Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit in Europa eine Beschäftigung in einem anderen europäischen Land zu ermöglichen. Um ihre Arbeitsaufnahme im Ausland zu erleichtern, können sie von Unterstützungsmöglichkeiten wie Sprachkursen, berufliche Schulungen, Fahrtkosten für Vorstellungsgespräche, Umzugskosten wie auch weitere Betreuung nach Beginn der Tätigkeit profitieren.

In den nächsten Jahren wird es für die Akteure auf europäischer Ebene darum gehen, die Ergebnisse dieser vielen Initiativen so aufzubereiten, dass sie von Fachkräften, Unternehmen, Berufsbildungseinrichtungen und allen anderen Akteuren auf dem Arbeitsmarkt einfach genutzt werden können. Dazu zählt auch die Anforderung, dass die Informationen auch über die nächsten Jahre hinweg aktuell zu halten. Für kirchliche und diakonische Einrichtungen gilt es, die Entwicklung der verschiedenen Instrumente und Programme im Auge zu behalten, da diese auf ganze Arbeits- und Bildungsbereiche wie Gesundheit oder Pflege Auswirkungen haben können. Ebenfalls gilt es, sich die Ergebnisse zunutze zu machen, um die eigenen Strukturen und die Arbeit auf dem neuesten Stand der Entwicklung zu halten.



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