Neue Kommission, neuer Dialog? - Zu den Entwicklungen des Dialogs zwischen der Europäischen Union und den Kirchen nach der Europawahl 2014

(Gastbeitrag von Dr. Matthias Belafi)

Als am 10. Juni 2014 Kommissionspräsident José Manuel Barroso zum zehnten Mal zum „High Level Religious Leaders Meeting“ (HLRLM) nach Brüssel eingeladen hatte, da wurde das kleine Jubiläum dieses Veranstaltungsformats mit einem eigenen Flyer gewürdigt, der einen Rückblick auf die zehn Treffen beinhaltete, zu denen Barroso – meistens gemeinsam mit den Präsidenten des Europäischen Rates und des Europäischen Parlaments – jährlich führende Vertreter der verschiedenen Religionen und Konfessionen nach Brüssel gebeten hatte. Da es Barrosos letztes Religionsführer-Treffen in seiner Funktion als Kommissionspräsident war, bestand in diesem kleinen Jubiläum die Chance, seine Verdienste um den Dialog der Europäischen Union mit den Kirchen zu würdigen. Vielleicht bestand der Sinn, das zehnjährige Jubiläum besonders herauszustreichen, aber auch darin, die Nachfolgekommission auf die Durchführung dieser Veranstaltung festzulegen.

Schließlich sind die Formate des Dialogs durchaus mit gutem Grund bis heute nicht festgeschrieben. Die Kirchen haben auch immer wieder betont, dass verschiedene Gesprächsebenen und Formate zum Dialog gehören und er sich nicht in dem jährlichen Treffen der Präsidenten von Kommission, Parlament und Europäischem Rat mit Vertretern verschiedener Religionen erschöpft. Gleichwohl hatte Barroso mit dem HLRLM ein öffentlich besonders wirksames Veranstaltungsformat für den Dialog der EU mit den Religionsgemeinschaften geprägt – und auch gegen zahlreiche Widerstände und Anfeindungen von Laizisten und Kirchenkritikern verteidigt. Das erste HLRLM hatte er schon direkt nach seiner Wahl zum Kommissionspräsidenten 2004 abgehalten, obwohl der Dialog zwischen der EU und den Kirchen seinerzeit lediglich im Entwurf des Verfassungsvertrags stand. Wegen des Scheiterns der Vertragsratifikation und der langwierigen Umsetzung der Reformen durch den Vertrag von Lissabon hatte der Dialog dann erst im Dezember 2009 Eingang in das Primärrecht der Union erlangt. Insofern hatte Barroso tatsächlich wegweisende Entscheidungen für die Durchführung – zumindest eines besonders sichtbaren Elements – des Dialogs getroffen.

Daneben gibt es schon seit langer Zeit Dialogseminare, die zuerst von Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) gemeinsam mit der Kommission durchgeführt worden sind, Treffen der Kirchen mit den jeweiligen Ratspräsidentschaften, bilaterale Spitzengespräche, Arbeitskontakte usw. Auch das Europäische Parlament führt eigene Dialogveranstaltungen durch – in der Vergangenheit jedoch gleichzeitig mit Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften. Erst am 24. März dieses Jahres hat das Europaparlament erstmals eine Veranstaltung nur mit Religionsgemeinschaften abgehalten und sie vom Dialog mit den Weltanschauungsgemeinschaften abgetrennt. Vielleicht hat auch der Besuch von Papst Franziskus am 25. November 2014 im Europäischen Parlament in Straßburg dazu beigetragen, das Verständnis für den spezifischen Beitrag der Kirchen zu vertiefen.

Etwas unsicherer gestaltet sich derzeit die zukünftige Ausgestaltung des Dialogs zwischen der EU und den Kirchen durch die Europäische Kommission. Das „Bureau of European Policy Advisers“ (BEPA), ein politischer Beraterstab des Kommissionspräsidenten, bei dem bislang die Zuständigkeit für den Dialog angesiedelt war, ist Ende 2014 vom neuen Kommissionspräsidenten, Jean-Claude Juncker, abgeschafft worden. Dessen Nachfolgeorganisation, das „European Political Strategy Centre“ (EPSC) ist nicht mehr für den Dialog verantwortlich. Die Zuständigkeit und die zuständige Mitarbeiterin sind nun vielmehr in die Generaldirektion „Justiz und Verbraucher“ übergegangen. Innerhalb des Kommissionskollegiums ist der Erste Vizepräsident der Kommission Frans Timmermans für den Dialog mit Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften verantwortlich.

Sowohl Juncker als auch Timmermans haben in den ersten Monaten ihrer Amtszeit durchscheinen lassen, dass ihnen der Kontakt zu den Kirchen ein wichtiges Anliegen ist. In diesem Sinn ist es sicherlich auch zu interpretieren, dass sich beide am Vorabend des Europäischen Gipfels am 18. März 2015 die Zeit für ein persönliches Treffen mit den Bischöfen der COMECE genommen haben. Dieses Treffen mit einer einzelnen Kirche ist als ein Element der verschiedenen Gesprächsformate im Rahmen des vertraglich vorgesehenen Dialogs sehr zu begrüßen. Doch der persönliche Bezug der EU-Amtsträger zum Dialog mit den Kirchen ist eine Sache, die institutionelle Ausgestaltung des Dialogs eine andere. Als der Dialog noch nicht in den EU-Verträgen festgeschrieben war, hatten die Kirchen einen „strukturierten Dialog“ mit der EU gefordert. Insofern ist nun auch darauf zu achten, dass der Dialog zwischen der EU und den Kirchen nicht nur auf der Grundlage guter persönlicher Beziehungen beruht, sondern auch eine Struktur hat und vor allem institutionell verankert ist.

Zunächst sah es so aus, als wolle die neue Kommission das Format des „High Level Religious Leaders Meetings“ nicht fortführen. Nach den Anschlägen vom 7. Januar 2015 in Paris scheint es jedoch zu einem Umdenken gekommen zu sein. Jedenfalls hat Kommissionsvizepräsident Timmermans für den 16. Juni 2015 zu einem weiteren Gespräch mit Vertretern verschiedener Religionen eingeladen, das nun jedoch in einem kleineren Rahmen als in der Vergangenheit stattfinden soll und das unter dem Thema „Living together and disagreeing well“ steht. Getrennt davon soll am 2. Juni 2015 eine Dialogveranstaltung mit den Weltanschauungsverbänden durchgeführt werden. Der Hintergrund der Veranstaltung und der Bezug auf die Konsultation „Toleranz und Respekt: Antisemitismus und anti-islamischen Hass in Europa verhindern und bekämpfen“ deuten jedoch möglicherweise auf ein schwieriges Verständnis von Religion hin: Es steht zu hoffen, dass Religion nicht nur als Ursache von Problemen wahrgenommen wird und der Dialog mit den Religionen lediglich vor dem Hintergrund von (vermeintlich) religiös motivierten Anschlägen und Gewalttaten gesucht wird. Religion ist vielmehr eine positive gesellschaftliche Kraft. Genau in diesem positiven Beitrag ist der Grund für den Dialog zu suchen, nicht in der Befriedung von möglichen gesellschaftlichen Konflikten.

Zudem gilt es der Gefahr eines weiteren Missverständnisses vorzubeugen: Nach Artikel 17 Absatz 3 AEUV führt die Europäische Union einen Dialog mit den Religionsgemeinschaften. Es ist hingegen nicht die Aufgabe der Union, einen Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften zu organisieren. Einen solchen Dialog untereinander können und müssen die Religionen schon nach eigenem Ermessen selbst führen. Beim Dialog der EU mit den Religionen geht es also nicht um eine von der EU organisierte Verständigung der Religionen untereinander, sondern um den Beitrag der Religionen in der Europäischen Union.

Gleichermaßen ist es wichtig, dass der Dialog mit Kirchen und den Religionsgemeinschaften von der Europäischen Kommission auch in Zukunft weiterhin getrennt vom Dialog mit den Weltanschauungsgemeinschaften geführt wird. Der Grund dafür ist nicht in einer mangelnden Dialogbereitschaft der Kirchen zu suchen, sondern vor allem in der Positionierung der Europäischen Humanistischen Föderation als größtem europäischem Zusammenschluss auf Seiten der Weltanschauungsgemeinschaften. Ihre rein antiklerikale Position macht einen gemeinsamen Dialog schlichtweg sinnlos. Es wäre absurd, wenn die Kommission sich von ihrer bisherigen, unter großer Kritik gehaltenen Position unter Barroso entfernen würde, den Dialog getrennt zu führen, während das Europäische Parlament nun endlich dazu übergeht, den Dialog mit den Religionen getrennt vom Dialog mit den Weltanschauungen zu organisieren.

Insgesamt führt aber auch die Ansiedlung der Zuständigkeit für den Dialog der EU mit den Kirchen in der Generaldirektion „Justiz und Verbraucher“ zu einer gewissen Besorgnis. Innerhalb der Generaldirektion ist der Dialog als ein Bereich der Religionsfreiheit der Direktion für Grundrechte zugeordnet. Der Focus der Religionsfreiheit greift jedoch viel zu kurz, wenn es um den Dialog zwischen der EU und den Kirchen geht. Die Religionsgemeinschaften müssen deshalb darauf achten und immer wieder herauszustellen, dass sich der Dialog keinesfalls nur um Fragen der Religionsfreiheit dreht. Der Dialog ist vielmehr das Mittel für die Religionen, ihre Beiträge zu allen gesellschaftlichen und politischen Fragen einfließen zu lassen. Nicht zuletzt hält Artikel 17 Absatz 3 AEUV fest, dass die EU den Dialog mit den Kirchen „in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags“ führt. Genau auf der Betonung dieser eigenen Identität und des besonderen Beitrags beruht schließlich die Tatsache, dass der Dialog mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften getrennt vom Dialog der EU mit der Zivilgesellschaft geführt wird.


Dr. Matthias Belafi ist Politikwissenschaftler und Geschäftsführer der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz.



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