Regulatorische Zusammenarbeit in TTIP – Fluch oder Segen?

(Jan-Philipp Heinisch)

Vom 20. bis zum 24. April 2015 fand in New York die neunte Runde der TTIP-Verhandlungen zwischen den USA und der EU statt. Verhandelt wurde unter anderem über die Absenkung von Zöllen, Energie- und Rohstofffragen und den Agrarsektor mit dem Schutz für geografische Kennzeichnungen.  Wie schon während der achten Verhandlungsrunde im Februar war ein zentrales Thema die sogenannte „Regulatorische Zusammenarbeit“, die die gegenseitige Anerkennung von technischen Regeln, Sicherheitsvorschriften und Produktstandards, insbesondere in den Bereichen Energie, Rohstoffe, Dienstleistungen, Investitionen und dem öffentlichen Beschaffungswesen zum Gegenstand hat. Die neunte Verhandlungsrunde konzentrierte sich in diesem Bereich vor allem auf die regulatorische Kooperation in den Sektoren Automobil-, Pharma- und Medizinprodukte.

Aus dem Verhandlungstext, den die Kommission am 10. Februar 2015 offiziell veröffentlichte und am 04. Mai, im Anschluss an die neunte Verhandlungsrunde, aktualisierte, geht hervor, dass der EU eine Art Frühwarnsystem für regulatorische Gesetzesvorhaben und Neuregelungen vorschwebt. Im Rahmen der im Verhandlungsmandat genannten Bestrebungen nach regulatorischer Kohärenz soll es frühzeitige Konsultationen zwischen EU und USA zu wichtigen Regelungen, Verwendung von Folgeabschätzungen und Bewertungen geben.

Der Verhandlungstext nennt drei Verfahrensweisen, die die regulatorische Zusammenarbeit zwischen EU und USA stärken sollen:
Eine jährliche Liste mit angestrebten Regulierungsvorhaben von beiden Seiten soll veröffentlicht werden. Diese soll über Ziele, Aufbau, Zeitplan und mögliche Folgen von Regulierungsvorhaben aufklären. Weiterhin soll die Liste Transparenz gewährleisten und beiden Seiten einen frühzeitigen Meinungsaustausch ermöglichen. In erster Linie seien davon Gesetzesvorhaben auf EU- bzw. US-Ebene betroffen, doch es bestehe auch die Möglichkeit, dass diese Regelung für Gesetzesvorhaben auf Ebene der EU-Mitgliedsstaaten bzw. US-Bundesstaaten ausgedehnt werde.
Es soll eine präzisere Analyse bei Folgeabschätzungen bezüglich regulatorischer Aktivitäten geben, in die auch Interessenvertreter einbezogen werden sollen. Die Regulierungsbehörden sollen so von ihren gegenseitigen Erfahrungen lernen. Auf diese Weise soll die Qualität von Regulierungsmaßnahmen stetig verbessert werden.
Die Arbeit bezüglich regulatorischer Zusammenarbeit auf internationaler Ebene soll weiter gefördert werden und, wenn angemessen, grundsätzlich in Erwägung gezogen werden, um verstärkt globale Lösungen zu finden.

Um die Umsetzung der genannten Maßnahmen zu überwachen, beinhaltet der Vorschlag auch die Schaffung eines Rates für regulatorische Zusammenarbeit. Das Gremium soll es Regierungsvertretern auf beiden Seiten des Atlantiks ermöglichen, sich in einer festen Struktur über den besten Regulierungsansatz auszutauschen. Neben einer jährlichen Versammlung, an der auch Interessenvertreter teilnehmen sollen, können Interessenvertreter jeder Zeit ihre Ansichten und konkrete Vorschläge dem Gremium übermitteln. Auf diese Weise soll jedem Betroffenen ausreichende Gelegenheit geboten werden, sich zu Gesetzesvorschlägen zu äußern. Der Regulierungsrat soll jedoch weder die Befugnisse haben, Regeln eigenständig zu setzen, noch das normale Gesetzgebungsverfahren in der EU oder den USA zu umgehen. Die Bestimmungen der regulatorischen Zusammenarbeit würden darüber hinaus nicht auf Streitbeilegungsverfahren im Sinne von Schiedsgerichten anwendbar sein.

Inwieweit die Modalitäten auch auf die angestrebten sektorspezifischen Bestimmungen, die die regulatorische Kompatibilität in bestimmten Waren- und Dienstleistungssektoren durch zusätzliche Maßnahmen verbessern soll, zutreffen werden, soll im Laufe der weiteren Verhandlungen diskutiert werden. Allerdings sollen im Fall von Unstimmigkeiten zwischen den Vorschriften die sektorspezifischen Bestimmungen vorrangig sein.

Die Reaktionen auf die bekannt gewordenen Vorschläge waren gemischt. Kritisiert wurde zum einen, dass der EU-Verhandlungstext erst nach Abschluss der Verhandlungsrunde veröffentlicht worden war. In einer Stellungnahme zivilgesellschaftlicher Organisationen fordern mehr als 150 NGOs, die regulatorische Zusammenarbeit aus den Verhandlungen zu streichen und bezeichnen sie als „eine Gefahr für die Demokratie“. Die NGOs kritisieren, dass das Vorhaben in erster Linie den Einfluss von Unternehmenslobbyisten auf das Gesetzgebungsverfahren stärken würde. Sie beklagen, dass die regulatorische Zusammenarbeit bereits eine starke Einflussnahme auf Gesetzesvorhaben ermögliche, bevor diese den Parlamenten überhaupt vorlägen. Nach Ansicht der beteiligten NGOs werde der Handlungsspielraum für demokratische Entscheidungen auf diese Weise massiv eingeschränkt.

Auch der am 05. Februar 2015 veröffentlichte Entwurf zu den Empfehlungen des Europäischen Parlaments an die Kommission zu den TTIP-Verhandlungen rief zur Vorsicht auf. Generell spricht sich das Parlament laut dem Entwurf für eine regulatorische Zusammenarbeit aus. Jedoch müsse die Kommission die etablierten regulatorischen Systeme auf beiden Seiten anerkennen und die Entscheidungsgewalt des Europäischen Parlamentes im Gesetzgebungsverfahren respektieren.

Der Vorsitzende der European Automobile Manufacturers Association (ACEA) sprach sich für die regulatorische Zusammenarbeit aus, da sie sich positiv auf Handel, Wirtschaft und Wettbewerb auswirken würde. Auch EU-Handelskommissarin, Cecilia Malmström, verteidigte die regulatorische Zusammenarbeit. In einer Rede vom 05. Februar 2015 erläuterte sie, dass eine Zusammenarbeit zwischen USA und EU bei Regulierungsvorhaben zu besseren Regulierungen und einer besseren Umsetzung dieser führen werde. „Das TTIP-Abkommen, das ich sehen möchte, wird Regulierungen kompatibler machen, ohne Verbraucherschutzstandards im Bereich von Gesundheit, Sicherheit oder Umwelt zu senken.“, so Kommissarin Malmström.

Die EKD-Synode hatte bereits in ihrem Beschluss zu TTIP vom 12. November 2014 betont, dass weiterhin gewährleistet sein müsse, dass die nationalen Parlamente ihre Aufgabe als demokratisch legitimierte Gesetzgeber wahrnehmen können. Die jüngsten Stellungnahmen der Nichtregierungsorganisationen zeigen, dass diese Bedenken auch von vielen anderen Akteuren geteilt werden.

Die nächste Verhandlungsrunde soll voraussichtlich vom 13. bis zum 17. Juli 2015 in Brüssel stattfinden.

Das Verhandlungsdokument und Merkblätter zur regulatorischen Zusammenarbeit finden Sie in englischer Sprache unter:
http://ekd.be/EU-Verhandlungstexte-TTIP

 



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