Die Zukunft der Menschenrechte in der Europäischen Union – EMRK-Beitritt der EU (vorerst) gescheitert!?

(Florian A. Zeitner)

Am 18. Dezember 2014 stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Gutachten 2/13 die Unvereinbarkeit des Abkommensentwurfs für den Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) mit europäischem Recht fest. Er sah die sich insbesondere aus Artikel 6 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) i.V.m. Protokoll Nr. 8 des EUV ergebenden notwendigen Bedingungen für einen Beitritt der EU als nicht erfüllt an.

Bereits in seinem Gutachten 2/94 von 1996 hatte der EuGH negativ votiert, damals noch aufgrund des Fehlens einer Rechtsgrundlage für ein Abkommen. Diese wurde mit Artikel 6 Absatz 2 EUV durch den Vertrag von Lissabon 2009 neu im Unionsrecht verankert. Gleichzeitig mussten für den Beitritt der EU als Rechtssubjekt sui generis über ein 14. Zusatzprotokoll (ZP) auch die konventionsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden.

Die im Juli 2010 begonnenen Beitrittsverhandlungen zwischen der Europäischen Kommission und dem Europarat führten zu einem Abkommensentwurf, der im April 2013 in seiner Endfassung dem EuGH zur Überprüfung vorgelegt worden war.

Trotz der in Bezug auf einen Beitritt tendenziell positiv formulierten Schlussanträge der Generalanwältin beim EuGH, Juliane Kokott, vom 13.Juni 2014 und der aktiven Beteiligung des EuGH an den Beitrittsverhandlungen durch ein Reflexionspapier und eine gemeinsame Erklärung der Gerichtspräsidenten, kritisierte der Gerichtshof im vorliegenden Gutachten die Unvereinbarkeit des Entwurfs mit den besonderen Merkmalen und der Autonomie des Unionsrechts.

Der Entwurf sei mit dem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ nicht vereinbar. Dieses besage, dass die Mitgliedstaaten normalerweise davon ausgehen müssten, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht beachten würden. Nach der EMRK seien die Mitgliedstaaten aber gegenseitig auch Vertragspartner und könnten die Beachtung der EMRK-Grundrechte untereinander vom EGMR überprüfen lassen. Dies widerspreche dem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“, so die Schlussfolgerung der EuGH-Richter.

Weiterhin kritisierten sie, dass der Entwurf für den EGMR Überprüfungskompetenzen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) vorsehe. Der EuGH selbst sei in diesem Bereich aber nur begrenzt zur Kontrolle berechtigt. Damit würden die Befugnisse des EGMR in Bezug auf bestimmte Sachverhalte weiter reichen als die des EuGH. Diese Beeinträchtigung des unionsinterne Gleichgewicht sei unionsrechtswidrig.

Außerdem bemängelte der EuGH unter anderem eine fehlende Koordinierung zwischen der Möglichkeit der Einholung eines Grundsatzgutachtens beim EGMR aus dem 16. Zusatzprotokoll zur EMRK und dem Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 267 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Nach einem Beitritt sei nicht ausgeschlossen, dass ein Ersuchen um ein Gutachten nach dem 16. ZP eine Vorabbefassung des EGMR auslösen könnte und damit das Verfahren nach Artikel 267 AEUV beim EuGH umgangen werden könne. Es bedürfte daher zumindest einer Regelung des Verhältnisses des 16. ZP zu Artikel 267 AEUV, die der gegenwärtige Abkommensentwurf nicht enthielte.

Da der EuGH alle seine im Vorfeld aufgestellten Forderungen, wie insbesondere seine grundsätzliche Vorabbefassung, wenn es um Fragen der Gültigkeit von Unionsrecht geht, durchsetzen konnte, schließt die Literatur aus dem negativen Gutachten auf einen klaren Widerwillen gegenüber dem Beitritt der EU zur EMRK.

Kritische Stimmen befürchten nun eine Schwächung des Europarats in toto. Wenn weitere Vertragspartner ihre Außen- und Sicherheitspolitik der Kontrolle des EGMR zu entziehen versuchten, könnten auch Staaten wie die Russische Föderation zukünftig der Argumentation des EuGH folgen und ebenso Ausnahmen für sich reklamieren.

Darüber hinaus ist eine gewisse „Externalisierung interner Probleme“ zu beobachten. Der EuGH fordert, dass im Entwurf für das Beitrittsabkommen Lösungen zu Problemen, wie der Koordinierung des Verhältnisses des 16. ZP mit Artikel 267 AEUV, gefunden werden, die man auch über intern verbindliche Regeln oder durch Anwendung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit würde beheben können. Daran, dass sich zwischen EuGH und EGMR ein faktisches Kooperationsverhältnisses, ähnlich dem zwischen Bundesverfassungsgericht und EuGH, herausbilden könnte, mag der EuGH offensichtlich nicht glauben. Vielmehr möchte er von Beginn an den Vorrang seiner Judikatur im Entwurf für das Beitrittsabkommen festgeschrieben wissen. So macht der EuGH die EU in ihrer Pluralität zu einem international noch schwierigeren Verhandlungspartner.

Schließlich sehen Kritiker das Gutachten als Versuch des EuGH, seine Kompetenzen gegenüber dem EGMR zu wahren und sich dessen verbindlicher externer Judikatur zu entziehen. Konsequenz des negativen Gutachtens ist nun, dass das geplante Beitrittsabkommen nur in Kraft treten kann, wenn der Entwurf oder die Verträge geändert werden. Da Artikel 6 Absatz 2 EUV immer noch den Beitritt vorsieht, ist davon auszugehen, dass die EU-Kommission die Verhandlungen alsbald wieder aufnehmen wird. Ihr bisheriges Verhandlungsmandat hierfür gilt weiterhin fort.

Das Gutachten 2/13 des EuGH vom 18.12.2014 finden Sie unter:
ekd.be/emrk-beitritt-eu

 



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