Frische Ideen gegen die Krise - Die Beschlüsse des EU-Gipfels Ende Juni 2012 und das Van-Rompuy-Papier

(Martin Kasperek)

Die Staatsschulden- und Bankenkrise hält Europa weiter auf Trab. Beim Gipfeltreffen des Europäischen Rates am 28. und 29. Juni 2012 in Brüssel standen die Staats- und Regierungschefs vor der Aufgabe, angesichts der akuten wirtschaftlichen und finanziellen Probleme der südlichen Mitgliedstaaten von EU und Eurozone kurzfristige Maßnahmen zu beschließen, aber auch mittel- und langfristige Perspektiven für einen Ausweg aus der Krise aufzuzeigen.
Dabei trafen grundverschiedene Positionen aufeinander: Auf der einen Seite sprach sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel für strenge Haushaltsdisziplin und für Spar- und Reformauflagen im Gegenzug für Finanzhilfen aus. Auf der anderen Seite setzten sich der im Mai gewählte französische Präsident François Hollande und die Regierungschefs aus Italien und Spanien - Mario Monti und Mariano Rajoy - für starke Wachstumsimpulse ein.

Als Kompromiss konnte man sich in Brüssel darauf einigen, dem im März beschlossenen Fiskalpakt (siehe EKD-Europa-Informationen Nr. 139) einen "Pakt für Wachstum und Beschäftigung" zur Seite zu stellen. Dieser verlangt von den Mitgliedstaaten eine "wachstumsfreundliche Haushaltskonsolidierung" und ruft sie dazu auf, Strukturreformen  einzuleiten. Gleichzeitig werden sie aufgerufen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und soziale Ungleichgewichte zu beheben, wofür auch der Europäische Sozialfonds (ESF) eingesetzt werden soll. Anfang Mai hatte der EKD-Ratsvorsitzende, Präses Nikolaus Schneider, im Rahmen des WDR-Europaforums in Brüssel bereits Ähnliches gefordert, nämlich die Sparpolitik durch sozialpolitische Initiativen zu flankieren.

Wie bereits erwartet worden war, hatte auch Spanien Anfang Juni europäische Finanzhilfen für seine maroden Banken beantragt. In Brüssel konnte Ministerpräsident Rajoy durchsetzen, dass aus dem aktuellen Euro-Rettungsschirm EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) und seinem Nachfolger, dem ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus), auch Banken mit Kapital versorgt werden können. Dies wird jedoch erst möglich sein, nachdem eine der Europäischen Zentralbank unterstellte, gemeinsame Bankenaufsicht installiert wurde, wozu von der EU-Kommission noch ein konkretes Konzept erwartet wird.
Angesichts einer möglichen Inanspruchnahme von Geldern aus dem Rettungsschirm konnte der italienische Premier Monti erreichen, dass EFSF bzw. ESM künftig "in flexibler und effizienter Weise" eingesetzt werden. Angeschlagene Länder müssen dann deutlich weniger Reformauflagen erfüllen, um Hilfsgelder zu erhalten.
Diskutiert wurde auch die Finanztransaktionssteuer: Deren EU-weite Einführung war bereits im Frühjahr am Widerstand Großbritanniens und Schwedens gescheitert. Deutschland und neun andere Euroländer wollen sie nun über das Instrument der "verstärkten Zusammenarbeit" (Art. 20 EUV / Art. 326ff. AEUV) implementieren. Ziel ist, dem spekulativen Handel auf den Finanzmärkten Einhalt zu gebieten.

Wie sich EU bzw. Eurozone mittel- bis langfristig weiterentwickeln könnte, stellte Ratspräsident Herman van Rompuy beim Gipfel in seinem Bericht mit dem Titel "Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion" vor, den er zusammen mit Kommissionspräsident José Manuel Barroso, Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker und EZB-Präsident Mario Draghi erarbeitet hatte. Das Konzept enthält vier Bausteine:

  1. Ein integrierter Finanzrahmen: Es soll eine Bankenunion geschaffen werden, die eine einheitliche Bankenaufsicht einsetzt, die Abwicklung bzw. Restrukturierung maroder Banken übernimmt und die Sicherung der Spareinlagen vergemeinschaftet.
  2. Ein integrierter Haushaltsrahmen: Auf die europäische Ebene wird die Kompetenz übertragen, eine "nicht tragfähige" Haushaltspolitik in einzelnen Mitgliedstaaten korrigieren zu dürfen, wozu Obergrenzen für die Verschuldung festgelegt werden können. Außerdem sind gemeinsame Schuldanleihen vorgesehen, wobei deren genaue Form nicht festgelegt ist - denkbar ist ein Schuldentilgungsfonds, wie ihn der deutsche Sachverständigenrat fordert.
  3. Ein integrierter wirtschaftspolitischer Rahmen: Basierend auf der durch das "Europäische Semester" vorgesehenen Abstimmung der nationalen Haushaltsplanung sowie dem im März 2011 beschlossenen "Euro-Plus-Pakt" sollen Wirtschaftspolitiken der einzelnen Mitgliedstaaten stärker koordiniert werden.
  4. Stärkung der demokratischen Legitimität und Rechenschaftspflicht: Das Konzept erkennt das Budgetrecht als "Königsrecht" der nationalen Parlamente an und möchte diese sowie das Europäische Parlament eng in die künftige Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU einbinden.

Dieses Konzept stieß beim Gipfeltreffen auf viel Kritik, trotzdem soll van Rompuy die Überlegungen vorantreiben und hierzu im Herbst einen Zwischenbericht ablegen.

Auf welche konkreten Maßnahmen sich die Staats- und Regierungschefs auch einigen mögen - in der aktuellen Situation scheint es nicht nur geboten, die Finanzmärkte zu beruhigen, sondern vor allem auch den Bürgern zu zeigen, dass ihre demokratische Rechte gewahrt bleiben und die EU den sozialen Ausgleich in Europa fest im Auge behält.

Den Bericht von van Rompuy finden Sie unter:



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