Fachgespräch in Brüssel zur Solidarität der Generationen

(Doris Klingenhagen / Maike Bannick)

2012 ist das europäische Jahr des "Aktiven Alterns und der Solidarität der Generationen". Dies haben die Vertretungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD-Büro) und des Diakonischen Werkes der EKD in Brüssel gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.V. (aej) zum Anlass genommen, am 31. Mai 2012 zu einem Fachgespräch in das Haus der EKD in Brüssel einzuladen unter dem Titel "jung und (un)beschwert - alt und (in)aktiv? Die Solidarität der Generationen im Fokus der EU". Ziel des Fachgesprächs war es, Fragen nachzugehen, die sich durch den demographischen Wandel für das Verhältnis der Generationen neu stellen: Wo liegen mögliche Interessenskonflikte? Was wird für das Zusammenleben von Alt und Jung und für die Solidarität der Generationen zukünftig notwendig sein? Wie kann Solidarität zwischen den Generationen aussehen und was kann die EU dazu beitragen?

Impulse zu dieser Thematik lieferten Ilse Falk, die Vorsitzende der Evangelischen Frauen in Deutschland e.V., sowie Professor Dr. Gerhard Wegner, der Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD. An der anschließenden Diskussion beteiligten sich auf dem Podium zudem Johannes Stockmeier, der Präsident des Diakonischen Werkes der EKD, Martin Kastler, Mitglied und Berichterstatter des Europaparlaments zum Europajahr 2012, sowie Manuela Wörle, die Vorsitzende der Evangelischen Jugend in Baden. Die Moderation der Diskussion übernahm Doris Klingenhagen, Mitarbeiterin der aej und des EKD-Büros in Brüssel.

OKR‘in Katrin Hatzinger machte in ihrer Begrüßung auf die aktuelle Situation der Jugendlichen bezüglich der Arbeitsmarktsituation in Europa aufmerksam: Man spreche bereits von einer "lost generation". Selbst wenn ihnen der Eintritt in den Arbeitsmarkt gelänge, dann oft nur im Rahmen unbefriedigender Beschäftigungsverhältnisse. Das Bild von den leichten und unbeschwerten jungen Jahren muss also revidiert werden. Ein Teil der Menschen der älteren Generation sei aktiv, engagiere sich ehrenamtlich und nehme an Weiterbildungsmaßnahmen teil. Aber auch hier führe ein Schwarz-Weiß-Denken in die Irre, habe sich durch die Wirtschaftskrise in der EU das Problem der Altersarmut doch drastisch verschärft. Im Kontext der Generationen betont die Leiterin des EKD-Büros die Verbundenheit untereinander: "Junge Menschen sind auf ältere angewiesen und umgekehrt. Jedes Alter, jeder Mensch mit seinen besonderen Gaben trägt zum Gesamtwerk bei."

Die Vorsitzende der Evangelischen Frauen, Ilse Falk, zeigte sich davon überzeugt, dass es eine Vielzahl an Möglichkeiten gebe, wie sich die Generationen gegenseitig zur Seite stehen können. Voraussetzung dafür sei, dass Begegnungen ermöglicht werden: "Es sollten auch in Zukunft vielfältige Formen der Begegnung zwischen allen Generationen länderübergreifend unterstützt werden. Viele gute Erfahrungen zeigen, dass das ein richtiger Weg ist für grenzüberschreitende Solidarität.". Grundlegend für das Miteinander zwischen den Generationen sei dabei auch die eigene Wahrnehmung. Jeder solle für sich selbst ergründen, was für ihn persönlich eine mögliche Teilhabe darstelle und dementsprechend handeln.

Der Leiter des wissenschaftlichen Instituts der EKD, Professor Dr. Gerhard Wegner, stellte Zahlen, Daten und Fakten zum Verhältnis der Generationen vor. Dabei wurde deutlich, dass die sozialen Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaft und auch innerhalb der einzelnen Generationen zunehmen: "Die Chancen im Alter hängen von ungleich verteilten sozialen Voraussetzungen ab. Armutserfahrung geht mit geringer Lebenserwartung und einer geringeren Zahl bei guter Gesundheit verbrachten Lebensjahren einher." Das momentane Agieren auf vielen politischen Ebenen geschehe nicht im Sinne der Nachhaltigkeit. Um Generationengerechtigkeit zu erreichen, sollten "die Teilhabechancen zukünftiger Generationen mindestens so groß wie die der heutigen Generation sein." Schulden-, Umwelt-, Energie- und Sozialpolitik reduzierten die Möglichkeiten der nachwachsenden Generation. Zudem betont Wegner, dass das Alter heutzutage sehr individuell sei und man nicht durch das biologische Alter einer Person Zuschreibungen vornehmen dürfe, sondern eher konstatieren müsse, dass die Altersgrenzen überflüssig würden, da die noch vorhandenen Fähigkeiten ganz individuell seien. Man solle über eine Arbeitsumverteilung nachdenken, die die Arbeitskraft der Älteren, die noch aktiv sind, der jüngeren Generation zugutekommen lässt.

Manuela Wörle, die Vorsitzende der Evangelischen Jugend in Baden, sprach von einem früh beginnenden hohen Leistungsdruck, der auf der jungen Generation laste. Es bleibe wenig Raum für persönliche Entfaltung und eigene Interessen. Dies führe dazu, dass sich junge Menschen nur noch selten Zeit für soziales Engagement nehmen könnten, was einerseits ein Ausgleich zum Alltagsleben wäre und andererseits solidarisches Handeln ermögliche. Eine Förderung von Freiräumen für ehrenamtliches Engagement halte sie für sinnvoll. Viele Studien bestätigten, dass in der Jugend eingeübtes Ehrenamt sich häufig durch eine Lebensbiographie hindurch ziehe. "Wer später aktive und engagierte ältere Menschen sehen möchte, darf heute nicht an Zeit und Freiräumen für junge Menschen sparen und sie nur als Humanressource für eine funktionierende Wirtschaft sehen", so Manuela Wörle.

Johannes Stockmeier, der Präsident des Diakonischen Werkes der EKD, machte darauf aufmerksam, dass wir - wenn vielleicht auch unbewusst - stetig "Lasten für zukünftige Generationen anhäufen." Stockmeier betonte eine Erkenntnis, die durch das Europäische Jahr 2012 klar geworden sein sollte: "Wir können nicht so weitermachen wie bisher." Er warb für konkretes Handeln, das die zahlreichen Diskussionen zu dem Themenbereich unbedingt nach sich ziehen müssten. Martin Kastler, Mitglied des Europäischen Parlaments, sprach von einem notwendigen Umdenken in der Gesellschaft: Dafür sei es notwendig, die Thematik in verschiedenen Politikfeldern anzusprechen und zu bearbeiten. Zudem verweist er auf die Problematik der Rentenansprüche bei transnationalen Arbeitsverhältnissen und stellt die Frage in den Raum: "Wie können wir etwas mit Leben füllen, was wir ständig fordern: Mobilität?"

Die rege Beteiligung des Publikums zeigte, dass die Veranstalterinnen mit ihrem besonderen Fokus auf die Lebenslagen junger Menschen und der Frage nach dem Miteinander von Jung und Alt einen besonderen Akzent gesetzt hatten, den auch der Kommissionsvertreter gerne aufnahm.

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