Stand der Regionalpolitik

(Christoph Schnabel)

In der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise wird neben fiskalischen Interventionen auch auf die Möglichkeiten der europäischen Regionalpolitik zurückgegriffen. 55 Milliarden Euro sind für Projekte zur Bewältigung von strukturellen Problemen für 2013 bereitgestellt. Die Regionalpolitik steht dabei in einem Spannungsfeld von Ausgleichszielen und einer möglichst wirksamen Umsetzung. Dieses Spannungsfeld wird erneut in den Verhandlungen für die nächste Förderperiode 2014-2020 ersichtlich. Neben strikteren gesamtwirtschaftlichen Auflagen bei der Verwendung der Mittel wurden auch thematische Prioritäten in den Förderbereichen gesetzt. So soll der Hauptfokus der Förderung sich auf die Bereiche der Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Forschung und Innovation und die Wettbewerbsfähigkeit von klein- und mittelständischen Unternehmen konzentrieren. 336 Milliarden Euro stehen hierzu zur Verfügung.

Am 11. Juli 2012 wurde eine wichtige Etappe in der Vorbereitung auf die nächste Förderperiode genommen. Im Rahmen des   Mitentscheidungsverfahrens hat das Europäische Parlament im zuständigen Ausschuss für Regionalentwicklung die Verordnungsentwürfe in einer Abstimmung ergänzt und einzelne Punkte des Kommissionsvorschlags gestrichen. Durch die Änderungen des Parlaments soll die Rolle der lokalen Gebietskörperschaften gestärkt und Regionen in der Umsetzung mehr Flexibilität gewährt werden. Mehr Gewicht soll daneben die territoriale Zusammenarbeit bekommen. Für grenzüberschreitende Projekte sind nunmehr sieben Prozent der Fördermittel vorgesehen. Der als "makroökonomische Konditionalität" bezeichnete Mechanismus, Fördermittelzuweisungen an Mitgliedstaaten mit erhöhten Staatsschulden auszusetzten, wurde abgelehnt. Ebenso wurde eine Leistungsreserve, welche am Ende der Förderperiode als Rücklage ausgezahlt werden sollte, als ungeeignetes Kontrollinstrument verworfen.
 
Das Ergebnis der parlamentarischen Abstimmung wurde unterschiedlich bewertet. Die Reaktionen reichten von "krasser Fehlentscheidung" (MdEP Michael Theurer, FDP) und einem "Rollback in die Zeit der frühen neunziger Jahre" (MdEP Elisabeth Schroedter, Die Grünen) bis hin zum Vorwurf einer "unseriöse Abstimmung" (MdEP Hermann Winkler, MdEP Markus Pieper, MdEP Joachim Zeller, CDU). Kritisiert wurde damit unter anderem der hohe Zeitdruck, mit welchem die mehr als 2000 Änderungsanträge in nur wenigen Tagen zur Abstimmung gestellt wurden. Die verantwortlichen Berichterstatter Lambert van Nistelrooij (EVP) und Constanze Krehl (SPD) werteten die Abstimmung als einen wichtigen Teilerfolg, um nötige Investitionen für 2014 umfänglich starten zu können und hoben die gute Koordinierung zwischen den verschiedenen Förderprogrammen hervor. Frau Krehl betonte in diesem Zusammenhang, dass "die Kohäsionspolitik das wichtigste europäische Investitionsprogramm ist, das wir für Wachstum zur Verfügung haben".

Das EKD-Büro Brüssel hatte sich bereits 2011 frühzeitig mit einer Stellungnahme in den Verhandlungsprozess eingebracht Anknüpfend an diese Arbeit wurde in einer gemeinsamen Stellungnahme mit dem Sekretariat der COMECE, der Kommission für Kirche und Gesellschaft der KEK und dem Kommissariat der deutschen Bischöfe die Rolle kirchlicher Akteure in der europäischen Kohäsionspolitik in vier wesentlichen Punkten dargestellt:

  • die Kirchen als Partner in der regionalen, transregionalen und transnationalen Kooperation
  • die Tragkraft der Bildungsinfrastruktur, welche die Kirchen in Europa bereitstellen.
  • die Bedeutung der Kirchen für die Kultur in Europa
  • die soziale Infrastruktur der Kirchen und ihre Bedeutung für die Kohäsionspolitik

Die Ausführungen wurden an entscheidenden Stellen in die parlamentarische Diskussion eingebracht und stießen auf eine durchweg positive Resonanz. Die regionalpolitische Bedeutung von Kirchen wurde außerdem mit der Vorsitzenden des Regionalausschuss, Danuta Hübner, in einer gemeinsamen Sitzung diskutiert.

Damit die Verordnungen rechtzeitig 2014 in Kraft treten können, wurden bereits die Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament unter Vorsitz von Frau Hübner und dem Rat aufgenommen. Auf Seiten der Mitgliedstaaten herrscht jedoch noch keine Einigkeit bei wichtigen Fragen der zukünftigen Regionalpolitik. So sind die makroökonomischen Konditionalitäten umstritten sowie das Finanzvolumen für die Regionalpolitik. Der Erfolg der zukünftigen Regionalpolitik hängt dabei nicht ausschließlich von dem Umfang des Budgets ab. Wesentlich für eine zielgerichtete und wirkungsvolle Implementation sind die nationalen und regionalen Verwaltungen. Sie sind maßgeblich an der Verteilung der Fördermittel beteiligt und setzen die Regionalpolitik in den entsprechenden Gebietskörperschaften durch die Konzeption der Förderprogramme, die Auswahl der Projekte und den Finanzfluss bei der Abrechnung um. Wichtiger Bestandteil ist das Partnerschaftsprinzip, welches relevanten Akteuren, wie zum Beispiel Wirtschafts- und Sozialpartnern ermöglichen soll, für eine optimale Umsetzung der Fonds die Verwaltung zu unterstützen. Jedoch bleibt abzuwarten, inwiefern die gegenwärtige Stärkung der kommunalen Gebietskörperschaften zu Lasten der zivilgesellschaftlichen Akteure und Sozialpartner ausfallen wird.

Der zuständige Kommissar Johannes Hahn stellte nochmals die neue Bedeutung der   "Kohäsionspolitik als Wachstumspolitik" heraus. Hierbei wird das Prinzip der Solidarität zugunsten der "Stärkung unserer technologischen Marktführerschaft" zunehmend an den Rand gedrängt. Zwar wird in der EU-2020-Strategie die Armutsbekämpfung immer noch als Leitziel definiert und als Interventionsbereich in den Strukturfondsverordnungen aufgeführt, jedoch werden die verbindlichen und verpflichtenden Maßstäbe der Finanzierung für diesen Bereich in Frage gestellt. Der Vorschlag der Kommission, 20 Prozent der Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds für das thematische Ziel der "Förderung der sozialen Eingliederung und Bekämpfung der Armut" aufzuwenden, wird sich nach aktuellem Stand der Debatte, nicht durchsetzten können. Die Notwendigkeit von wirtschaftlichem Wachstum zur Überwindung der nun bereits vier Jahre andauernden "Krise" sollte jedoch nicht ohne die Berücksichtigung von "sozialen Krisen" erfolgen. Die vielen europäischen Projekte der Evangelischen Kirche in Deutschland, ihrer Gliedkirchen und Wohlfahrtsverbände leisten hier einen wichtigen Beitrag.



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